Herr General, wie stellt sich aus Ihrer Sicht der aktuelle Sachstand der Fähigkeiten im Bereich Cyber/IT in der Bundeswehr dar? Vor welcher besonderen Herausforderung, die zeitkritisch gelöst werden muss, stehen Sie und Ihr Verantwortungsbereich aktuell? Gibt es Optimierungspotenziale, Schwerpunkte, akuten Nachsteuerungsbedarf?
Die Bundeswehr steht zurzeit vor zwei großen Herausforderungen. Zunächst müssen wir alles tun, um bis zum Ende der Dekade, also bis etwa 2029, die Bundeswehr so einsatzfähig zu machen, dass sie zusammen mit unseren Verbündeten Russland erfolgreich abschrecken kann. Die zweite, parallele Handlungslinie besteht darin, gleichzeitig auch die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen. Wir wollen und müssen also bis zum Ende der Dekade einsatzbereit sein und die Bundeswehr auch langfristig einsatzbereit halten. Die Bundeswehr muss sich so aufstellen, dass sie auch die Herausforderungen der Zukunft – ich denke hier besonders an technologische Entwicklungen – annimmt. In diesem Kontext werden Fähigkeiten in der Cyber- und Informationstechnik eine wesentliche bestimmende Handlungslinie.
Wir haben mit dem Sondervermögen, also dem 100 Milliarden Euro Paket und den dort enthaltenen gut 21 Milliarden für Führungsfähigkeit und Digitalisierung einen sehr guten Einstieg geschafft. Damit sind wir in der Lage, die komplette Funktionskette von der Infrastruktur in Deutschland bis zum abgesessenen Soldaten im Einsatzgebiet zu ertüchtigen. Die wesentlichen Verträge sind geschlossen; die Realisierung läuft mit hoher Geschwindigkeit an. Einer der wesentlichen Folgeschritte ist nun, diese initial beschafften Fähigkeiten weiter auszubauen und zu skalieren, um die angestrebten Zielumfänge von bis zu 260.000 Soldatinnen und Soldaten und einem Verteidigungsumfang von bis zu 460.000 Soldatinnen und Soldaten zu unterstützen. Parallel fordern uns gerade im Bereich der digitalen Technologien extrem kurze technologische Innovationszyklen heraus. Wir müssen also – Stichwort Zukunftsfähigkeit – die Bundeswehr besser als heute in die Lage versetzen, diese Technologien für sich zu adaptieren. Das beschreibt unsere Handlungslinien im Bereich Software Defined Defence, es geht also um die Herausforderung, über Software schnell Fähigkeitsverbesserungen auf unseren Plattformen und im Verbund, im Netzwerk zu realisieren.
Bei dem Thema Innovation müssen wir es insbesondere schaffen, diese schnell zu evaluieren, experimentell zu erproben und bei positivem Ausgang auch initial in die Bundeswehr einzuführen. Wir haben jetzt wichtige Schritte im Bereich Digitalisierung gemacht, aber Digitalisierung hört nie auf. Die Digitalisierung der Bundeswehr ist ein dauerhafter Prozess. Dafür müssen wir die notwendige Vorsorge treffen, auch in struktureller Hinsicht. Wir brauchen entsprechende Systemzentren, ergänzt um Test- und Versuchsstrukturen in allen Dimensionen der Bundeswehr. Wir müssen uns gemeinsam mit der Industrie so aufstellen, dass wir diese kurzen Innovationszyklen auch tatsächlich in militärische Fähigkeiten umsetzen können.
Die deutschen Verteidigungsausgaben sollen bis 2029 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Welche Fähigkeiten/Leistungen im Bereich Cyber- und Informationstechnik sollten aus Ihrer Sicht durch diese zusätzlichen Haushaltsmittel priorisiert oder zusätzlich aufgebaut werden?
Der Generalinspekteur hat eine Weisung zur Priorisierung der militärischen Fähigkeiten erlassen. In dieser Weisung wird richtigerweise dargestellt, dass Digitalisierung immer auch eine wesentliche Handlungslinie ist, egal um welche Fähigkeit – Luftverteidigung, Landkampf und so weiter – es sich auch handelt. Insofern sind wir auf jeder Ebene vertreten. Zusätzlich wird es für uns wichtig sein, dass wir die Projekte, die zur Kernführungsfähigkeit der Bundeswehr gehören, auch so in diesen Priorisierungsreihenfolgen verankern, dass sie mit hoher Priorität realisiert werden können.
Wenn Sie die mittelfristige Finanzplanung anschauen, sind dort erhebliche Summen, die uns in Zukunft zur Verfügung stehen werden. Wir müssen also darauf achten, dass wir über die entsprechenden Prozesse, Strukturen und Ressourcen – zuvorderst qualifizierte Menschen – verfügen, um diese Finanzmittel nutzbringend in militärische Fähigkeiten umsetzen zu können. Wir haben gemeinsam mit der Abteilung Planung ein Priorisierungsrational für den Generalinspekteur erarbeitet und setzen dies jetzt um. Die Fähigkeiten im Bereich CIT sind dabei angemessen und in der richtigen Priorität vertreten. Inhaltlich sind es die Dinge, die wir mit dem Sondervermögen angestoßen haben, die vier funktionalen Bausteine: die Infrastruktur in Deutschland inklusive der Netze, die strategische Kommunikation in die Einsatzgebiete, also Satelliten- und HF-Kommunikation, die Vernetzung in den Einsatzgebieten, somit das, was wir jetzt mit dem Projekt Tactial Wide Area Network (TaWAN) realisieren, sowie die Digitalisierung bis runter auf das Waffensystem. Künstliche Intelligenz (KI) wird eine weitere, zentrale Handlungslinie werden.
Welche besonderen Forderungen, zum Beispiel bei der Interoperabilität der IT-Systeme, ergeben sich aus der aktuellen Verteidigungsplanung der NATO? Gibt es mit Blick auf Fortschritt in der Digitalisierung im Bündnis und Interoperabilität gemeinsame Planungen und Beschaffungen?
Interoperabilität der Streitkräfte ist essenziell, um im Einsatz gemeinsam Erfolg zu haben. Für uns steht natürlich die Führungsfähigkeit der NATO-Streitkräfte im Kern. Diese muss möglichst bruchfrei über verschiedene NATO-Entitäten gewährleistet werden. Dafür greifen wir auf das bewährte Instrument des Federated Mission Networking (FMN) zurück. FMN zielt darauf ab, dass NATO-Staaten, auch wenn sie unterschiedliche IT-Systeme nutzen, miteinander interoperabel sind. Deutschland ist eine der führenden Nationen im Bereich Federated Mission Networking. Wir haben ein hohes Interesse, dass sich alle NATO-Staaten bei FMN aktiv einbringen, um die Interoperabilität der Streitkräfte nicht nur zu gewährleisten, sondern auch Voranzubringen. Im Mai wurde erneut die Übung CWIX 25 (Red.: Coalition Warrior Interoperability eXploration, eXperimentation, eXamination eXercise) durchgeführt.
Das ist die größte Interoperabilitätsübung der NATO. Es war schon sehr ermutigend zu sehen, wie viele technische Initiativen sowohl aus der Industrie als auch von den verschiedenen Nationen auf den Plan gebracht werden. Eine weitere Initiative, in die sich derzeit 18 NATO-Nationen einbringen, nennt sich „Allied Software from Cloud to Edge“ (ACE). Mit ihr sollen Lösungen für Cloud Computing auf der sogenannten FOG-Ebene und am „Edge“, also auf der Mittelebene und vorne am taktischen Rand, weitgehend standardisiert werden. Wir werden uns hier aktiv einbringen.
Interview mit Generalleutnant Michael Vetter, Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im BMVg
Das komplette Interview lesen Sie in Ausgabe 4/25 des HHK!
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