„Die Bundeswehr muss wachsen – und sie kann es auch“

Personalchef der Bundeswehr, Generalleutnant Robert Sieger [Foto ©Bundeswehr/Sarah Wetjen]
Personalchef der Bundeswehr, Generalleutnant Robert Sieger (Foto ©Bundeswehr/Sarah Wetjen)

Der Personalchef der Bundeswehr, Generalleutnant Robert Sieger, erklärt im Gespräch mit ES&T, warum er die Bundeswehr für einen attraktiven Arbeitgeber hält.

Der NATO-Gipfel in Den Haag zog klare Konsequenzen: Deutschland muss personell massiv aufstocken, nicht nur in Panzer und Flugzeuge investieren. Stärkerer Personalaufwuchs, eine schlagkräftige Reserve, angepasste Ausbildung und eine neue Personalstruktur stehen an. Generalleutnant Robert Sieger, Präsident des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) und Personalchef der Bundeswehr, erklärt im ES&T-Interview, wie der Umbau gelingen soll. Ein radikaler Wandel bahnt sich an.

Herr Sieger, seit Jahren ist das Ziel von rund 203.000 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr nicht erreicht worden. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe – und was muss jetzt anders laufen?

Ich glaube, man muss zunachst mit dem ein oder anderen Missverstandnis aufraumen. Die Vorgabe von 203.000 Soldatinnen und Soldaten war auf einen Zeitraum bis 2031 angelegt – ein langfristiger Aufwuchspfad, Jahr für Jahr. Mit den Maßnahmen der Task Force Personal, die ich mitverantwortet habe, wären wir in der Lage gewesen, dieses Ziel zu stemmen. Es ist uns im Jahr 2024 gelungen, den Abwärtstrend zu stoppen, und wir sind in diesem Jahr bereits mit rund 2.000 Soldatinnen und Soldaten im Plus. Der Personalumfang der Streitkräfte wird Ende 2025 nochmals deutlich ansteigen. Unsere Maßnahmen wirken und das zeigt: Die Bundeswehr kann wachsen. Aber sie kann es nur, wenn die Grundlagen stimmen. Und da hat sich einiges verändert.

Was genau meinen Sie damit?

Die sicherheitspolitische Lage hat sich grundlegend verändert – nicht zuletzt durch die Aggression Russlands. Das betrifft sowohl die Zielzahlen als auch die Dringlichkeit. Die NATO fordert mehr Beiträge. Wir rechnen – als grobe Einordnung – mit etwa 50.000 bis 60.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten mehr als heute und einem Verteidigungsumfang von insgesamt rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Das ist nicht nur eine militärische Zielmarke, das ist ein gesellschaftlicher Kraftakt. Wir sprechen damit von rund 260.000 aktiven Kräften und etwa 200.000 in der Reserve. Dieser Aufwuchs wird bis in die 2030er-Jahre hinein erfolgen. Um das zu erreichen, müssen wir nicht nur effizient sein, wir müssen wirksam werden. Wir müssen größere Bewerbendenzahlen generieren, mehr Menschen einstellen, sie gezielter binden und gleichzeitig die Voraussetzungen dafür schaffen bei Ausbildung, Unterbringung und Ausstattung.

Wie bewerten Sie den bisherigen Kurs in der Personalgewinnung?

Wir reden über einen personellen Aufwuchs unter vollständiger Freiwilligkeit. Gerade in den letzten beiden Jahren haben wir enorme Fortschritte gemacht und bei den Bewerbungs- und Einstellungszahlen ordentlich zugelegt. Für den militärischen Dienst haben sich im Jahr 2024 rund 51.200 Menschen beworben, das ist ein Anstieg um fast 19 Prozent zum Vorjahr. Daraus ergaben sich etwa 20.300 Einstellungen und damit rund 1.500 Einstellungen mehr als 2023. Es war das einstellungsstärkste Jahr seit fünf Jahren im militärischen Dienst. Dennoch müssen wir sämtliche Potenziale der Personalwerbung und Personalgewinnung weiterhin ausschöpfen. Gerade, weil es um die Gewinnung von Freiwilligen geht, setzen wir auf maßgeschneiderte und vor allem noch stärker regionalisierte Angebote. Wir wollen all diejenigen, die sich für die Bundeswehr interessieren, dort abholen, wo sie sich aufhalten, zum Beispiel bei Veranstaltungen, auf Messen oder in den sozialen Medien. Hautnah, regional und authentisch. Das ist und bleibt unser Ansatz und der Erfolg gibt uns recht. Die Attraktivität unserer Streitkräfte wird durch unsere Soldatinnen und Soldaten gesehen und geschätzt, was nicht zuletzt auch die steigenden Zahlen in der Personalbindung bestätigen.

Wie sieht denn das Verhältnis konkret aus, also von Beratung bis Einstellung?

Ganz grob: Zwei Beratungen ergeben eine Bewerbung. Zwei Bewerbungen führen zu einer Einstellung. Das ist eine sehr gute Quote, vor allem im internationalen Vergleich. Andere NATO-Staaten schauen sich sehr genau an, wie wir das machen. Aber: Wir brauchen mehr Bewerbungen, mehr Einstellungen, mehr nachhaltige Bindung. Und das funktioniert nur mit gezielten Maßnahmen und passgenauen Angeboten. In Zahlen ausgedrückt: In diesem Jahr bedeutet das rund 100.000 qualifizierte Beratungen und mehr als 50.000 Bewerbungen. Und daraus wollen wir mehr als 25.000 Menschen für den militärischen Dienst in der Bundeswehr gewinnen.

Sie waren Leiter der Task Force Personal im Verteidigungsministerium. Welche Ihrer Maßnahmen haben sich bisher als besonders wirkungsvoll erwiesen und welche nicht?

Zwei Beispiele möchte ich hervorheben: Erstens die sogenannte „130-Prozent-Regel“. Bei Verbänden und in Regionen mit hoher Nachfrage können wir bis zu 30 Prozent mehr Bewerbende einstellen. Dadurch können wir zusätzliche personelle Umfänge berücksichtigen. Das bedeutet, wir dürfen jetzt Dienstposten bis zu 130 Prozent besetzen – vorausgesetzt, der Bedarf ist da und die Infrastruktur vor Ort lässt das zu. Das ist ein echter Kulturwandel.

Zweitens: Wir haben die Entscheidungskompetenz zurück an die Truppe gegeben. Ein Bataillonskommandeur kann heute abschließend eine Laufbahnentscheidung treffen. Das stärkt die Eigenverantwortung und beschleunigt Verfahren. Insgesamt haben wir über 60 Maßnahmen auf den Weg gebracht – von der schnelleren Bearbeitung bis zu einer noch gezielteren Nachwuchswerbung. Und wir prüfen kontinuierlich, welche Stellschrauben weiter justiert werden müssen.

Wir haben unser Augenmerk vor allem darauf gerichtet, welche Maßnahmen kurzfristig Wirkung entfalten können. Daneben haben wir einen „Themenspeicher“ mit Ideen angelegt, die sich mit „Fernlicht“ ebenfalls positiv auf das Personal auswirken können. Die Potenziale werden fortlaufend geprüft. Wo wir deutlich Nachholbedarf haben, ist die Gewinnung von mehr Frauen für den Dienst in den Streitkräften. Wir tun schon eine ganze Menge: Wir bieten zum Beispiel gezielt Events für Frauen an oder setzen verstärkt auf Frauen in der Karriereberatung. Als Multiplikatorinnen können sie authentisch ihre Erfahrungen vermitteln und Fragen von Bewerberinnen auch aus ihrer persönlichen Perspektive beantworten. Wir haben darüber hinaus für all‘ unsere Beschäftigten die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ständig im Blick und unterstützen die Karriereentwicklung von Frauen in den Streitkräften, unter anderem durch Mentoring-Programme oder das Coaching von Führungspersonal. Aber das reicht noch nicht. Hier werden wir uns noch mehr anstrengen müssen.

Das Interview wurde zuerst in Heft 8/2025 unserer Schwesterzeitschrift ES&T veröffentlicht.

Den kompletten Artikel lesen Sie in Ausgabe 5/25 des HHK!

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