Europas Luftverteidigung

Die russische Drohne Geran-3 ist etwa 3,5 Meter lang, hat eine Spannweite von 3 Meter, wiegt bis zu 380 Kilogramm und kann Berichten zufolge etwa zwei Stunden in der Luft bleiben. Sie ist mit einem Düsentriebwerk ausgestattet und basiert auf dem iranischen Modell Shahed-238. (Foto © Gov Ukr)
Die russische Drohne Geran-3 ist etwa 3,5 Meter lang, hat eine Spannweite von 3 Meter, wiegt bis zu 380 Kilogramm und kann Berichten zufolge etwa zwei Stunden in der Luft bleiben. Sie ist mit einem Düsentriebwerk ausgestattet und basiert auf dem iranischen Modell Shahed-238. (Foto © Gov Ukr)

Der Krieg in der Ukraine legt die Schwächen offen

Seit Beginn des Großangriffs im Februar 2022 attackiert Russland die Ukraine mit Langstreckendrohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen. Die Intensität hat in der jüngeren Vergangenheit zugenommen: Die Angriffe richten sich gegen militärische, immer häufiger aber auch gegen zivile Ziele. Wie geschützt ist Europa gegen die Bedrohung aus der Luft? Noch klaffen große Fähigkeitslücken.

Der Luftkrieg gegen die Ukraine ist integraler Bestandteil der russischen Kriegsführung und hat sich in den vergangenen Jahren dynamisch entwickelt. Die Gesamtsumme aller Flugkörper stieg von rund 4.500 im Jahr 2023 auf 13.500 im Jahr 2024, davon waren rund 11.000 Drohnen. Von Januar bis Juli dieses Jahres setzte Russland 29.000 Drohnen und 951 ballistische Raketen ein. Den Höhepunkt bildete der Einsatz von 810 Drohnen und 13 Iskander-Raketen in der Nacht vom 6. auf den 7. September.

Russland hat zudem qualitative Veränderungen vorgenommen, die sowohl die Letalität der Langstreckendrohnen erhöhen als auch ihr Abfangen erschweren. Die Geran-2-Drohne wurde durch ein Endphasen- Zielsuchsystem, eine resistentere Elektronik und einen 90-Kilogramm-Sprengkopf kampfwertgesteigert. Eine neue Bedrohung erwächst durch die Geran-3-Drohne. Sie verfügt über einen Düsenantrieb, erreicht eine Gipfelhöhe von 9,1 Kilometern, eine Geschwindigkeit von 600 km/h und ist daher nur schwer bekämpfbar.

Marschflugkörper sind aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit, ihrer geringen Flughöhe, ihrer Präzision und ihrer großen Nutzlast eine dauernde und gefährliche Bedrohung. Gleiches gilt für ballistische Raketen. Gleitbomben und Flugabwehrraketen der Typen S-300 und S-400, die als Angriffswaffen gegen zivile Ziele in Frontnähe eingesetzt werden, ergänzen das russische Kriegspotenzial. Gemessen an ihrem Wirkungsgrad (größte Anzahl verursachter Treffer) ergibt sich folgende Reihenfolge:

  1. Marschflugkörper Kh-101,
  2. ballistische Rakete Iskander-M,
  3. Marschflugkörper Kh-59,
  4. die Kinschal-Hyperschallrakete.

Russland feuert Marschflugkörper und ballistische Raketen immer in Kombination aus Täusch- und Angriffsdrohnen bestehenden Drohnenschwärmen ab, um so die ukrainische Luftverteidigung zu übersättigen und Angriffsschneisen zu schlagen. Trotzdem zeigt die ukrainische Luftverteidigung bemerkenswerte Abwehrleistungen. Die Abwehrrate gegen Drohnen beträgt rund 90 Prozent und gegen Marschflugkörper rund 80 Prozent. Die Abwehrrate gegen ballistische Raketen ist hingegen vergleichbar niedrig. Dies ist der zu geringen Anzahl von Patriot-Feuereinheiten geschuldet.

Dreh- und Angelpunkt militärischer Logistik

Europa muss für den Fall eines russischen militärischen Vorgehens auf eine vergleichbare Luftbedrohung eingestellt sein. Deutschland als logistische Drehscheibe für die Verlegung von NATO-Streitkräften an die Ost- und Nordostflanke rückt dabei in den Fokus. Als logistische Drehscheibe ist Deutschland gefordert, ein Reinforcement and Sustainment Network zu betreiben. Dieses Netzwerk besteht aus Straßen-, Eisenbahn-, Wasser-und Luftwegen und verbindet Häfen, Flughäfen und Versorgungszentren miteinander. Diese Infrastruktur wird im Mittelpunkt der russischen Zielplanung stehen. Als verfügbare Erstangriffskräfte stehen die 152. Raketenbrigade in der Exklave Kaliningrad und die auf der Luftwaffenbasis Monschegorsk (Oblast Murmansk) stationierten Aufklärungs- und Bomberregimenter bereit. Russische Drohnen flogen seit Kriegsbeginn in der Ukraine auch mehrfach in den polnischen Luftraum. Dies gipfelte in der Nacht vom 9. auf den 10. September mit dem Eindringen von 19 russischen Geran- 2-Drohnen und Gerbera-Täuschdrohnen, von denen vier durch NATO-Luftverteidigungskräfte bekämpft wurden. Diese Abschussquote ist im Vergleich zum Wirkungsgrad der ukrainischen Luftabwehr gegen das gleiche Zielspektrum deutlich zu niedrig. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist eine enge Zusammenarbeit mit der Ukraine bei der Weiterentwicklung der Luftverteidigung unabdingbar.

Das Integrierte Luftverteidigungs- und Flugkörperabwehrsystem

Das Integrierte Luftverteidigungs- und Flugkörperabwehrsystem der NATO (NATO Integrated Air and Missile Defence System, NIAMD) bildet den operativen Rahmen für die alliierte Luftverteidigung. Es schützt in Friedens-, Krisen- und Kriegszeiten Europa gegen Bedrohungen und Angriffe durch Drohnen, Marschflugkörper, ballistische Raketen und Flugzeuge in einem 360-Grad-Ansatz. Das NIAMD besteht aus einem Verbund von Führungseinrichtungen, Sensoren und Waffensystemen und untersteht dem Obersten Alliierten Befehlshaber Europas. Die eigentliche Führung erfolgt durch das Allied Air Command in Ramstein.

Während im Frieden nur wenige Kräfte dauerhaft Teil des Systems sind, werden in Krise und Krieg weitere Kräfte der fliegenden und bodengebundenen Luftverteidigung unterstellt. Die zu schützenden Lufträume werden den jeweiligen Waffensystemen zugewiesen. Dies gilt sowohl für besonders schutzbedürftige Ziele als auch für den Schutz mobiler Landstreitkräfte. Gegenwärtig hat das NIAMD zwei Hauptmissionen: Luftraumüberwachung (Air Policing) und die Ballistische Raketenabwehr (Ballistic Missile Defense, BMD).

Die deutsche Luftwaffe hält für die Luftraumüberwachung zwei Alarmrotten Eurofighter im 24/7-Modus für den deutschen Luftraum bereit und verstärkt zusätzlich die Luftraumüberwachung in Polen und Rumänien mit jeweils fünf Eurofightern. Für die BMD verfügt das System über eigene Gefechtsstände zur Führung. Die Abwehrfähigkeiten werden mit Masse durch die USA bereitgestellt. Es sind permanent in Europa stationierte Kräfte und temporäre Kräfte zu Land und auf See. Deutschland leistet hier seinen Beitrag mit Patriot-Kräften zum Schutz besonders gefährdeter Einrichtungen. Das NIAMD deckt zusammen ein Einsatzgebiet von etwa 80 Millionen Quadratkilometern ab und reicht vom nördlichsten Punkt Norwegens bis zum Mittelmeer sowie vom östlichsten Punkt der Türkei bis zum Nordatlantik.

Von Brigadegeneral a.D. Heinrich Fischer

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