Kurz vor der Sommerpause scheuchte interessanterweise ausgerechnet die amerikanische Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg das Bundeswehr-affine Publikum mit einem Donnerschlag auf: deutsche Beschaffungspläne sähen innerhalb der nächsten zehn Jahre 1.000 neue Kampfpanzer Leopard und weitere große Mengen an sonstigen Panzerfahrzeugen vor, so etwa 2.500 gepanzerte Transportkraftfahrzeuge Boxer. Ein „wesentlicher Teil“ davon solle bereits bis 2029 ausgeliefert werden. Die Reaktionen des Publikums schwankten zunächst zwischen fassungsloser Freude und von jahrzehntelangem Rüstungs-Klein-Klein geprägten Unglauben. Doch wie immer die persönliche Einschätzung der Wahrscheinlichkeit lautet, dass Politik und Industrie eine solche echte Zeitenwende in der Beschaffung hinkriegen – der Wille scheint echt, wie sich nach und nach aus Folgeberichten herauskristallisiert.
Recht zügig war auch von 400 zusätzlichen Schützenpanzern Puma, 500 gepanzerten Unterstützungsfahrzeugen, nicht weniger als 4.000 Transportpanzern Patria 6×6 für die Fuchs-Nachfolge und 1.000 Radpanzern Piranha – vermutlich in den Versionen 8×8 für das Kommunikationssystem TaWAN und 6×6 für den neuen Spähpanzer Korsak – die Rede. In dieser Woche sprach wiederum die Nachrichtenagentur Reuters in leicht geänderten Zahlen von bis zu 3.500 Patria 6×6 und dafür bis zu 3.000 Boxern. Letztere sollten „mehrere hundert“ Flugabwehrsysteme Skyranger 30 einschließen. Zum Thema Flugabwehr wurden auch zusätzliche Raketensysteme IRIS-T und 20 weitere Eurofighter erwähnt. Wobei der Zungenschlag nahelegt, dass es sich bei ersteren um die Version IRIS-T SLS handelt, die auf dem künftigen Boxer-Flugabwehrraketenpanzer das System Skyranger ergänzen soll.
Schwindelerregende Beschaffungspläne
Zuletzt bezifferte erneut Bloomberg die Gesamtzahl der zu beschaffenden gepanzerten Fahrzeuge auf 8.500, darunter gar bis zu 5.000 Boxer einschließlich 600 Skyranger, sowie „mehrere hundert“ Leopard. Auch von Drohnen im Wert von mehreren Milliarden Euro berichtete die Agentur, als Teil von über 60 Beschaffungsaufträgen, die bis Ende des Jahres abgeschlossen werden sollten. Dem maximal an niedrige dreistellige Bestellzahlen gewöhnten Beobachter kann bei so vielen Nullen durchaus schwindlig werden. Amtlich bestätigt ist noch nichts davon. Sicherlich will man hier dem Bundestag nicht vorgreifen, der die Beschaffungspläne genehmigen muss. Doch unabhängig von der Varianz der Zahlen sind die verschiedenen Berichte im Kern zu übereinstimmend, um bloßes Wunschdenken zu repräsentieren.
Letztlich paart sich hier Notwendigkeit mit, endlich, Voraussicht für den Ausbau der Bundeswehr in den kommenden Jahren. Die personellen Ziele sind genannt: ein Friedensumfang von 260.000 und ein Verteidigungsumfang von 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Ein Anfang ist mit der Erhöhung der Planstellen auf über 220.000 im aktuellen Haushaltsentwurf gemacht. Diese umfassen nicht nur die zuvor berichteten 10.000 neuen Stellen für Zeit- und Berufssoldaten, sondern auch weitere 20.000 für den geplanten Neuen Wehrdienst – im diese Woche vom Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf als „Zeitsoldatinnen und -soldaten (bis 23 Monate)“ bezeichnet. Dahinter verbirgt sich offenbar der erste deutliche Schritt zur Attraktivitätssteigerung: wurden die bisherigen Freiwillig Wehrdienstleistenden nach der Wehrsoldtabelle bezahlt, werden ihre Nachfolger nun finanziell ihren länger dienenden Kameradinnen und Kameraden gleichgestellt.

Ambitionierter Einstieg in die Freiwilligengewinnung
Für den frischen Rekruten sind das nach Tabelle mal eben knapp 1.000 Euro brutto mehr im Monat. Zugleich ist dies ein deutlich ambitionierterer Einstieg in die Freiwilligengewinnung, als es noch Anfang letzten Monats schien. Damals wurde an dieser Stelle über ziemlich herausfordernde Steigerungsraten spekuliert, um bis 2029 eine Gesamtzahl von 114.000 Mann und Frau zu erreichen. Mehr Geld, so wohl zumindest die Hoffnung, macht auch hier einiges einfacher. Billig wird es ohnehin auf keinen Fall. Die NATO fordert von Deutschland sieben zusätzliche Kampfbrigaden. Und die wollen auch ausgestattet werden. Konservativ geschätzt dürfte es sich dabei um je drei schwere und mittlere sowie eine leichte Brigade handeln. Vernünftigerweise wird mittlerweile mit einem Ausstattungssoll von 140 Prozent einschließlich Umlauf- und Ausfallreserve geplant.
Übrigens nicht nur bei den Fahrzeugen, sondern auch der persönlichen Ausstattung, wie verschiedene Fachblogs in dieser Woche im Zusammenhang mit der geplanten querschnittlichen Einführung des Multicam-Tarndrucks in der Truppe berichteten. Da steckt sicher noch einiges in den „über 60 Beschaffungsaufträgen“ im laufenden Jahr, von denen Bloomberg weiß. Man darf gespannt sein, was nach der parlamentarischen Sommerpause alles so an 25-Millionen-Euro-Vorlagen auf den Tagesordnungen der Bundestags-Ausschüsse auftaucht. Erst dann wird über die Umfänge wirklich Klarheit herrschen. Doch für die Bundeswehr zeichnet sich materiell, und hoffentlich auch personell, ein ordentlicher Schluck aus der Pulle ab. Für die Industrie wiederum bedeuteten die genannten hohen Stückzahlen über einen Zehn-Jahres-Zeitraum vor allem die lange geforderte Planungssicherheit.
Putin wird nicht am Daumen lutschen
Damit wird das unternehmerische Risiko zum Aufbau der notwendigen Fertigungskapazitäten zumindest überschaubar. Für den Haushälter versprechen die Zahlen nach dem ersten harten Schlucken wenigstens günstigere Stückpreise aufgrund wirtschaftlicher Skaleneffekte – auch der Kampfpanzer sollte im Dutzend billiger sein, wenn er nicht mehr quasi in Manufakturarbeit, sondern wieder am Fließband produziert wird. Was jetzt noch zu tun bleibt ist, den bürokratischen Regelungsdschungel für Beschaffungswesen und Industrie zu lichten. Dazu ist bereits das neue Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz in Vorbereitung. Es scheint alles zu schön, um wahr zu sein. Und weil das meist auch der Fall ist, bleibt Zurückhaltung angebracht.
In einer schönen neuen Zeitenwendewelt würden ab jetzt jedes Jahr zehntausende Freiwillige zur Bundeswehr gehen, während die Industrie unbeschwert von Planungsschwierigkeiten neue Fabriken hochzieht, das notwendige qualifizierte und sicherheitsüberprüfte Personal gewinnt und einen stets modernen, ausgewogenen Materialmix für eine stets auf der Höhe der militärischen Entwicklung agierende Truppe produziert. Anschließend würde der Finanzminister dann lässig die Schulden für die Finanzierung abzahlen, alle NATO-Partner wären sich über Verteidigungsausgaben und Bündnisverpflichtungen einig, und Wladimir Putin würde im Kreml sitzen, frustriert am Daumen lutschen und nicht mal dran denken, nochmal einen europäischen Nachbarn zu überfallen. So wird es aber natürlich nicht laufen. Es bleiben genug Herausforderungen, auch nur die berichteten Planungen umzusetzen. Und doch: ein Weg ist erkennbar.
Stefan Axel Boes




