Verteidigungsausgaben und Neuer Wehrdienst: Zahlen, bitte

Geld ist jetzt da, fehlen nur noch Soldaten: Verteidigungsminister Boris Pistorius muss jetzt Verteidigungsausgaben in Truppenstärke übersetzen.
Geld ist jetzt da, fehlen nur noch Soldaten: Verteidigungsminister Boris Pistorius muss nun Verteidigungsausgaben in Truppenstärke übersetzen. (Foto: Bundeswehr/Tom Twardy)

Während Deutschland einschließlich Bundestagsabgeordneten und sogar Redakteuren des Hardthöhenkuriers in die Sommerferien geht, bleibt die Welt nicht einfach stehen – auch wenn man sich das angesichts rasanter und nicht unbedingt positiver Entwicklungen in der Sicherheitspolitik wünschen mag. Der Bundestag befasst sich kommende Woche immerhin noch mit dem Haushaltsgesetz 2025, darunter speziell am Mittwoch mit dem Einzelplan 14 für die Verteidigungsausgaben. Zumindest darum machen sich Beobachter der Szene wenig Sorgen. Nach der wegweisenden Ausnahme von der Schuldenbremse soll der Verteidigungshaushalt für das laufende Jahr auf 62,4 Milliarden Euro steigen. Hinzu kommen weitere 24,1 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr.

Zusammen mit Mitteln für Zivil- und Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienste, IT-Sicherheit und die Unterstützung der Ukraine erreicht Deutschland damit dieses Jahr voraussichtlich eine NATO-Quote von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Weg zur weiteren Steigerung auf 3,5 Prozent bis 2029 ist in den gemeinsam mit dem Haushalt 2025 und 2026 vom Bundeskabinett beschlossenen Finanzplanung für den Rest der Legislaturperiode bereits vorgezeichnet. Trotz kürzlicher Wortmeldungen vom linken Flügel der SPD gegen mehr Rüstung und für mehr Diplomatie im Ukrainekrieg – wie immer man sich das bei Wladimir Putins Vorgeschichte vorstellen will – ist dieser Kurs weitgehender Konsens in der schwarz-roten Koalition. Geld dürfte künftig keine Ausrede mehr sein.

Die dicken Bretter

Die dicken Bretter kommen erst nach der parlamentarischen Sommerpause, insbesondere beim personellen Aufbau der Bundeswehr. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat bereits angekündigt, im Gesetz zum Neuen Wehrdienst auch schon die Option zur Reaktivierung der Wehrplicht zu verankern. Stelle man bis zum Ende der Legislaturperiode fest, dass der Bedarf nicht mit Freiwilligen gedeckt werden könne, so argumentierte der Minister nachvollziehbar, bleibe keine Zeit für ein neues Gesetzgebungsverfahren. Denn 2029 hat er ja auch als das Datum ausgegeben, zu dem Russland militärisch zum Angriff auf NATO-Territorium in der Lage sein werde. In seiner Partei hieß es dazu bislang meist, dass man falls nötig in der nächsten Legislaturperiode zum Pflichtdienst zurückkehren könne.

Entsprechend stellten sich vor allem die Jungsozialisten auf dem SPD-Parteitag gegen gesetzliche Regelungen, die bei Feststellung unerfüllten Bedarfs einfach nur noch aktiviert werden müssten. Am Ende stand ein Formelkompromiss, in dem sich die Partei „zu einem Neuen Wehrdienst, der auf Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientiert“ bekennt. Dabei erklärt sie einerseits: „Wir müssen reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage oder die Bedarfe der Bundeswehr dies erfordern“, fügt aber im nächsten Satz hinzu: „Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind.“ Wann dieser Punkt erreicht ist, ist natürlich interpretationsfähig. Und zwar im Zweifelsfall durch den Minister.

Die großen Zahlen

Dieser will nach jüngsten Berichten bis 2029 insgesamt 114.000 Freiwillige für einen sechsmonatigen Wehrdienst gewinnen. Das bedeutet offensichtlich nicht, dass die aktive Truppe um diese Zahl wachsen soll. Dazu hat Pistorius ja bereits erklärt, dass letztere um 50- bis 60.000 Mann und Frau über das bisherige Ziel 203.000 aufgestockt werden müsse, um bis 2035 die neuen Minimum Capability Requirements der NATO zu erfüllen. Die neuen Berichte präzisieren das auf einen Zuwachs von etwa 80.000 über die gegenwärtigen 183.000. Ziel ist demnach eine künftige Friedensstärke von 260.000 und eine Verteidigungsstärke von 460.000 Mann. Allerdings müssen die genannten Freiwilligen mit dem Neuen Wehrdienst zusätzlich zur bisherigen Bewerberzahl rekrutiert werden.

Freiwilliger Wehrdienst oder Wehrpflicht? Soldatinnen und Soldaten beim Aufstellungsappell der Heimatschutzdivision.
Freiwilliger Wehrdienst oder Wehrpflicht? Soldatinnen und Soldaten beim Aufstellungsappell der Heimatschutzdivision. (Foto: Bundeswehr/Marco Dorow)

Letztere lag 2024 bei 20.300 und ist im ersten Quartal 2025 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 20 Prozent gestiegen. Optimistisch könnte man also für das laufende Jahr von etwa 24.000 ausgehen. Allerdings brechen wie überall sonst auch etwa 25 bis 30 Prozent der Bewerber den Dienst innerhalb der sechsmonatigen Probezeit ab. Zugleich verließen letztes Jahr etwa 16.000 Soldatinnen und Soldaten regulär die Bundeswehr. Die Neuzugänge gleichen also gerade so die Abgänge aus. Mit dem Neuen Wehrdienst müsste man in den nächsten vier Jahren durchschnittlich jeweils 28.500 zusätzlich erreichen, um auf das Ziel von 114.000 zu kommen. Wobei sicher auch aus Kapazitätsgründen bei Unterbringung und Ausbildung vorgesehen ist, klein anzufangen und dann stark zuzulegen.

Die kleinen Unklarheiten

Die Haushaltsentwürfe sehen zumindest optimistisch für nächstes Jahr schon einmal 10.000 zusätzliche Planstellen in der Bundeswehr vor – was auch Ärgernissen wie dem Beförderungsstau entgegenwirkt. Rechnet man sich das durch, werden allerdings die notwendigen Steigerungsraten klar. Selbst wenn alle diese Planstellen mit 20.000 Sechs-Monats-Dienern gefüllt würden, müsste deren Zahl jährlich um etwas über 5.000 steigen. Für die ursprünglichen Ampel-Pläne strebte Pistorius jedoch lediglich insgesamt 5.000 in 2025 an. Eher wird es also um eine jährliche Verdopplung gehen. Für die Mathe-Fans: diese Rechnung geht bei einem Anfangswert von 7.600 genau auf. 2029 müsste man dann 60.800 dieser Freiwilligen gewinnen. Damit wird deutlich, wie hoch die Schwelle für die Vermeidung der Wehrpflicht liegt.

Selbst wenn sie erreicht würde, würden die Sechs-Monats-Diener die Stärke der Bundeswehr 2029 erst um etwa 30.000 erhöhen. Wobei die Hoffnung sicherlich ist, dass sich nicht wenige aufgrund dieser Erfahrung für längere Zeit verpflichten. Andernfalls bildeten sie zumindest einen Pool für die angestrebten 200.000 Mann Reserve. Die Bundesregierung wird ihre Vorstellungen dazu hoffentlich in nächster Zeit klarer kommunizieren. Allerdings operiert die Koalition in der Wehrdienstfrage schon seit Anfang an mit unklaren Begriffen wie dem „schwedischen Modell“, das sich vom Koalitionsvertrag bis in den kürzlichen Beschluss des SPD-Parteitags durchzieht. Wie auch hier schon mehrfach erwähnt, handelt es sich beim aktuellen Wehrdienstmodell in Schweden aber um eine Auswahlwehrpflicht, die in Deutschland der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wehrgerechtigkeit zuwiderliefe.

Die Grenzen von Verteidigungsausgaben

Mit dem Neuen Wehrdienst von Pistorius teilt dieses Modell eigentlich nur noch den – allerdings auch von Frauen – obligatorisch auszufüllenden Fragebogen. Dass die Motivation unter jungen Schwedinnen und Schweden zum freiwilligen Militärdienst, aber auch dem Ableisten der Wehrpflicht höher ist, ist jedenfalls nicht zuerst gesetzlichen Regelungen zu verdanken. Nähme man den Begriff des „schwedischen Modells“ hierzulande ernst, spräche man eher von einer allgemeinen Dienstpflicht für den Kriegsfall, im Sinne des Konzepts der Totalverteidigung. Wer weiß: vielleicht haben die Koalitionäre hier insgeheim schon weitergedacht, während Nicht-Fachpolitiker noch darüber diskutieren, wie man den Wehrdienst für Freiwillige attraktiver machen kann.

Wobei Kritiker vielleicht nicht ganz unrecht haben, wenn sie CDU/CSU in der Frage eines eigenen Besoldungssystems für Soldaten mit deutlichen Erhöhungen gerade für Mannschaftsdienstgrade Angst vor den Verbänden des Öffentlichen Dienstes vorwerfen. Aber selbst, wenn die Rückkehr zur Wehrpflicht weniger politischen Mut erfordern würde, als den eifersüchtigen Wächtern über die Besoldungsordnung A eine Sonderbehandlung für die Bundeswehr vergleichbar der von Richtern, Staatsanwälten und wissenschaftlichen Beamten abzuringen: Ob die genannten Personalzahlen allein mit mehr Geld für den Einzelnen erreichbar wären, bleibt fraglich. Trotz aller gelockerten Bremsen bei den Verteidigungsausgaben – dessen Zahlen allein lassen sich am Ende nicht beliebig in Truppenstärke übersetzen.

Stefan Axel Boes

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