In dieser Woche meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf mehrere Quellen, dass die Bundeswehr der NATO sieben weitere Brigaden und 40.000 Mann zur Verfügung stellen soll. Überraschend kommt das nicht. Bereits im vergangenen Jahr sickerten die neuen Mimimum Capability Requirements an die Bündnismitglieder durch. Demnach forderte die militärische Führung einen Aufwuchs der Kampfbrigaden von insgesamt 81 auf 131. Dazu 38 statt bislang 24 Divisions- und 15 statt sechs Korpskommandos, mehr Hubschrauber- und vor allem Flugabwehreinheiten. Schon seit einiger Zeit war auch zu lesen, dass das fünf bis sieben zusätzliche Brigaden für Deutschland bedeuten würde. Strukturell scheint es nun also der obere Rand zu werden.
Noch nicht ganz klar ist, ob sich die genannte Zahl von 40.000 Soldatinnen und Soldaten mehr bei einer typischen Brigadestärke von 5.000 Mann auf die gesamten Anforderungen bezieht. Im Rahmen der früheren Berichte war einschließlich der zusätzlichen Korps- und Divisionstruppen ja auch schon einmal von 75.000 die Rede. Zu Änderungen für Deutschland auf den höheren Führungsebenen schweigt Reuters. Erst kürzlich sprach der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, auch weiterhin von drei Divisionen im Feldheer und der Beteiligung an zwei „Frontline Corps“. Klarheit wird wohl das bevorstehende Treffen der NATO-Verteidigungsminister und das Gipfeltreffen des Bündnisses am 24./25. Juni in Den Haag bringen.
Der NATO hinterhergehinkt
Letztlich wird die Bundeswehr – deren aktive Stärke weiter keine Anstalten macht, in Richtung der bislang für 2031 geplanten 203.000 Mann zu wachsen – auf der gegenwärtigen Geschäftsgrundlage weder 40.000 noch 75.000 mehr aufbringen können. Selbst mit dem aufgebauten Pool von 60.000 verfügbaren Reservisten und selbst wenn der von Verteidigungsminister Boris Pistorius aufgesetzte Neue Wehrdienst tatsächlich dieses Jahr zu 5.000 und einer in den Folgejahren steigenden Zahl von zusätzlichen Freiwilligen führt: bereits für das jetzige Ziel von neun bis zehn Brigaden hinkt die Truppenstärke der Entwicklung hinterher. Und im Raum steht der bei der Vorstellung des Neuen Wehrdienstes genannte Verteidigungsumfang von 460.000.
Zwar sollen davon eben 260.000 Reservisten sein, einschließlich der meisten von etwa 100.000 Heimatschützern. Aber mal abgesehen davon, dass zumindest die im Verteidigungsfall umgehend für den Einsatz zu mobilisierenden Teile dann auch in Übung gehalten werden müssen: Reservisten müssen zunächst erstmal aktiv gedient haben. Der Verteidigungsminister, für den das Modell ohnehin ein Kompromiss mit seiner Partei war, wies vor zwei Wochen im Bundestag ehrlicherweise darauf hin, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Freiwilligkeit des Wehrdienstes nicht garantiert werden könne. Kann der Bedarf damit nicht gedeckt werden, käme das vorangestellte Wörtchen „zunächst“ zum Tragen.

Um die Wehrpflicht herumgeschlichen
Gleichzeitig verbreitete Pistorius Optimismus, dass das „schwedische Modell“ schon funktionieren werde. Dass die Grundeinstellung zum Wehrdienst in Skandinavien eine andere ist und es auch dort eine Pflichtkomponente gibt, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Wehrgerechtigkeit zuwiderlaufen dürfte, blieb dabei ungesagt. Ob es zur Reaktivierung der Wehrpflicht kommt, wird sich wohl noch in dieser Legislaturperiode entscheiden. Auch wenn das Umsetzungsziel für die neuen NATO-Forderungen hinter der bisherigen Marke 2031 liegen wird: zeigt sich in den nächsten drei Jahren keine realistische Perspektive, es zu erreichen, genügte die verbleibende Zeit mit dem Alternativkurs wohl auch nicht mehr.
Pistorius verwies zwar darauf, dass es im ersten Quartal 2025 – also noch vor Einführung seines Fragebogenmodells – gegenüber dem Vorjahreszeitraum über 20 Prozent mehr Einstellungen im militärischen Bereich der Bundeswehr gegeben habe. Das macht Hoffnung, denn bereits 2024 war mit einem Plus von acht Prozent auf insgesamt 20.300 das stärkste der letzten fünf Einstellungsjahre. Allerdings brechen wie überall sonst auch etwa 25 bis 30 Prozent der Bewerber den Dienst innerhalb der sechsmonatigen Probezeit ab. Zugleich verließen letztes Jahr etwa 16.000 Soldaten regulär die Bundeswehr. Mit anderen Worten: Momentan gleichen die Neuzugänge gerade so die Abgänge aus.
Immerhin finanziell vorangeschritten
Die Zielmarke von jeweils mindestens 5.000 zusätzlichen Freiwilligen in den kommenden Jahren ist sicher nicht zufällig gewählt. Wird sie erreicht, beträgt die aktive Stärke der Bundeswehr Ende 2028 die angestrebten 203.000. Wenn nicht, und zeigt sich dann noch kein Pfad zum Ziel bis 2031, wird die Umsetzung der Rückkehr zur Wehrpflicht sicher die verbleibenden drei Jahre in Anspruch nehmen. Und dann sind ja auch noch die Zweifel am Verbündeten USA. Verkündet die Regierung von Donald Trump bis zum Ende seiner Amtszeit ebenfalls 2028 einen teilweisen oder völligen Abzug aus Europa, werden die Karten auch für die deutschen Bündnisbeiträge neu gemischt.
Immerhin der finanzielle Pfad scheint klar. Vergangene Woche erklärte Pistorius auch, dass die Verteidigungsausgaben in den kommenden fünf bis sieben Jahren um jeweils 0,2 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts steigen sollten. Ausgehend von 2,1 Prozent in 2024 wären dann 2031 die 3,5 Prozent erreicht, die sich als künftiges NATO-Ziel abzeichnen. Hoffentlich gibt es dann auch die Soldatinnen und Soldaten, in die das Geld investiert werden soll.
Stefan Axel Boes