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Neue NATO-Forderungen: Die Zahlen klären sich

(Foto: Bundeswehr/Marco Dorow)
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Schon seit einigen Monaten geistern Berichte über neue NATO-Forderungen und künftige Personalzahlen der Bundeswehr herum. Anfang Juni zitierte der „Spiegel“ aus vertraulichen Papieren des Bundesverteidigungsministeriums, wonach die Forderungen „nach zusätzlichen Korps- und Divisionstruppen sowie Brigaden samt Unterstützungskräften“ einen Zusatzbedarf von 75.000 Soldatinnen und Soldaten bedeuteten. Im eine Woche später veröffentlichten Konzept für einen „neuen Wehrdienst“ von Minister Boris Pistorius war zwar weiterhin von 200.000 Mann und Frau als Friedensumfang die Rede. Jedoch auch davon, dass Deutschlands Beitrag zur Bündnisverteidigung nach heutiger Bewertung einen Verteidigungsumfang von 460.000 erfordere (der „Hardthöhenkurier“ berichtete).

Am Wochenende zitierte nun die „Welt am Sonntag“ aus einem weiteren in guter Tradition durchgestochenen vertraulichen Papier des BMVg. Demnach haben General Christopher Cavoli, SACEUR, und Admiral Pierre Vandier, Supreme Allied Commander Transformation – sicher nicht nur zu zweit bei einer guten Flasche – angesichts des erwarteten russischen Bedrohungspotenzials deutliche Erhöhungen der Minimum Capability Requirements festgelegt, die die Verbündeten zum Gesamtdispositiv der NATO beitragen sollen. Letzteres in Zahlen: 131 statt bisher geplanten 82 Kampftruppen-Brigaden; 38 statt 24 Divisions- und 15 statt sechs Korpskommandos; 104 statt 90 Hubschrauberverbände; und allein 1.467 statt 293 bodengebundenen Flugabwehreinheiten.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bei der Verabschiedung der ersten Soldaten der Brigade Litauen. (Foto: Bundeswehr/Marco Dorow)

Die „Welt am Sonntag“ berichtet weiter aus dem Dokument, Deutschland seien zuletzt „circa 9,28 Prozent aller Gesamtfähigkeiten zugewiesen“ worden. Die Planer gingen daher davon aus, dass man fünf bis sechs weitere Kampftruppenbrigaden, den Stab eines zusätzlichen „Warfighting Corps“ und einen weiteren Hubschrauberverband stellen werde müssen. Der Rechenweg wird dabei nicht erläutert, aber selbst bei einfacher Anwendung des genannten Anteils auf 131 Brigaden ergäben sich zwölf, die die Bundeswehr beitragen müsste. Zur Erinnerung: Mit großer Kraftanstrengung wird momentan die Aufstellung einer neunten Brigade zur Vornestationierung in Litauen unternommen, trotz mancherlei Zweifel an Finanzierung und Personalaufkommen.

Derweil ist der Gesamtumfang der uniformierten Truppe mit Stand vom 31. August weiter auf nur noch knapp über 180.000 gesunken. Es ist noch nicht einmal das ursprünglich vorgesehene Ziel von 185.000 in Sicht, geschweige denn das für 2031 angestrebte von 203.000. Das 100-Milliarden-Sondervermögen zur Wiederherstellung der vollen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ist inzwischen nahezu vollständig gebunden und läuft 2027 aus. Der verbleibende Investitionsbedarf, um lediglich die Auswirkungen der Sparpolitik in den drei Jahrzehnten vor 2022 vollends zu heilen, wird gemeinhin von weiteren 300 Milliarden Euro an aufwärts geschätzt. Wohlgemerkt zusätzlich zu den zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den jährlichen Unterhalt einer vollauf einsatzfähigen Truppe.

Kommt die Entscheidung zur Wehrpflicht früher als gedacht?

Auf der personellen Seite klärt sich nun zumindest die Basis für die kolportierten Zahlen. Bereits vor den Plänen für die zusätzliche Brigade in Litauen gab es Schätzungen, dass der für 2031 geplante Umfang eher 240.000 als 203.000 Soldatinnen und Soldaten erfordern werde. Das Delta müsste im Verteidigungsfall mit mobilisierten Reservisten gefüllt werden. Was der Grund für die Bemühungen um den Aufbau entsprechender Kapazitäten ist, von der Einführung der sechsjährigen Grundbeorderung für ausscheidende Soldaten noch unter Annegret Kramp-Karrenbauer bis zu Pistorius‘ „neuem Wehrdienst“. Die neuen Forderungen betreffen letztlich auch erst den Zeitraum nach 2031, möglicherweise ab Mitte des kommenden Jahrzehnts.

Heimatschutzkräfte sichern den Seehafen Rostock während der Übung „National Guardian 2024“. (Foto: Bundeswehr/Anne Weinrich)

Kommen dann aber außer der neuen Panzerbrigade 24 noch drei bis sechs weitere hinzu, plus dann fällige Logistik-,  Führungs- und Kampfunterstützungstruppen für ein bis zwei zusätzliche Divisions- und ein Korpskommando, sind 75.000 Mann mehr schnell zusammen. Und im Übrigen ein Verteidigungsumfang jenseits der 300.000, vermutlich zuzüglich Heimatschutztruppen und einer Ersatzreserve, mit denen die genannten 460.000 erreicht werden. Diese Zahl wird schon deshalb einen großen Anteil Reservisten beinhalten müssen, weil der Zwei-plus-Vier-Vertrag die Streitkräfte des vereinten Deutschland bekanntlich auf eine aktive Stärke von 370.000 beschränkt.

Ob aber ein deutscher Beitrag zur Bündnisverteidigung von zwölf bis 15 Kampftruppenbrigaden in vier bis fünf Divisionen unter zwei Korpskommandos – die Anteile Luftwaffe, Marine, CIR und Unterstützungsbereich noch gar nicht erwähnt – auf einer Friedensstärke von bestenfalls 203.000 Mann beruhen kann? Ein rascher Aufwuchs um mehr als 50 Prozent durch Reservisten, die für die Herausforderungen des modernen Gefechtsfelds und seiner komplexen Systeme den Ausbildungsstand ihrer aktiven Kameraden erreichen müssen, scheint ein ambitioniertes Ziel. In jedem Fall muss die personelle Basis für den Gesamtumfang geschaffen werden. Vielleicht kommt die Entscheidung über die Reaktivierung der allgemeinen Wehrpflicht und die mögliche Einbeziehung von Frauen früher als gedacht.

Stefan Axel Boes

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