Die dritten 100 Tage Trump: zurück zum Anti-Globalismus?

Da waren sie noch Freunde - vielleicht werden sie es wieder: US-Präsident Donald Trump und die republikanische Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Green (m.) im Juni.
Da waren sie noch Freunde - vielleicht werden sie es wieder: US-Präsident Donald Trump und die republikanische Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Green (m.) im Juni. (Foto: Weißes Haus/Daniel Torok)

Nach den zweiten 100 Tagen der erneuten Präsidentschaft von Donald Trump wurden an dieser Stelle Anzeichen der Besserung in der US-Außenpolitik festgestellt. Nachdem das forsche internationale Vorgehen der neuen Regierung bereits im April auf die unnachgiebigen Grenzen der Realität stieß, änderte sich nicht zuletzt der Umgang mit den europäischen Verbündeten zum Positiven – und die Haltung gegenüber Russland im Ukrainekrieg zum Kritischeren. Allerdings wurde schon damals warnend darauf hingewiesen, dass Trump noch einmal auf gerade dadurch verprellte Teile seiner Wählerschaft angewiesen sein könnte, wenn nächstes Jahr die amerikanischen Halbzeitwahlen drohen. Bereits jetzt mehren sich die Zeichen für einen entsprechenden Schwenk zurück zum anti-globalistischen Lager am rechten Rand der Make America Great Again (MAGA)-Bewegung.

Zuletzt hatte die erratische Politik des Präsidenten für zunehmende Verwerfungen innerhalb seiner Basis gesorgt. Die harten Anti-Globalisten betrachteten bereits sein Eingreifen in den Krieg zwischen Israel und Iran im Juni zugunsten des ersteren als Verrat am Prinzip „America first“. Da Russland dieses Prinzip auch gut gegen die westliche Unterstützung für die Ukraine zu instrumentalisieren weiß, waren sie zudem unzufrieden mit der scheinbaren Verlagerung der außenpolitischen Sympathien Trumps. Nachdem dessen russischer Amtskollege Wladimir Putin sich als nicht bereit zu einem „Deal“ erwies, der nicht die faktische Kapitulation der Ukraine beinhaltete, hatte er sich eher dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den europäischen Verbündeten zugewandt, was russische Propagandakanäle entsprechend beklagten.

Wechsel unter den Wählern?

Diese fachten zudem die Kritik der verschwörungsgläubigen Rechten an Trumps Entscheidung an, nicht wie im Wahlkampf versprochen alle Akten zum Fall des angeblichen Pädophilennetzwerks um den Investor Jeffrey Epstein freizugeben. Weitere Gegensätze kamen hinzu: Konservative Latinos, die wesentlich zu seinem Wahlsieg beigetragen hatten, kühlten gegenüber seiner rabiaten Abschiebepolitik ab, nachdem auch legale Einwanderer und sogar US-Staatsbürger lateinamerikanischer Herkunft in die großangelegten Razzien der Bundesbehörden gegen illegale Einwanderer gerieten. Mancher vermutet, dass die aktuelle militärische Drohkulisse gegen die sozialistische Regierung Venezuelas unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenhandels nicht zuletzt der Wiedergewinnung dieser antikommunistisch eingestellten Wählergruppe dient.

Bundesagenten des Department of Homeland Security und des Immigration and Customs Enforcement nehmen im Januar einen lateinamerikanisch aussehenden Mann fest.
Bundesagenten des Department of Homeland Security und des Immigration and Customs Enforcement nehmen im Januar einen lateinamerikanisch aussehenden Mann fest. (Foto: ICE)

Dem stehen allerdings wiederum die Anti-Globalisten kritisch gegenüber. Als hätte Trump noch nicht genug Probleme, entzog er kürzlich deren profiliertester parlamentarischer Vertreterin, der Kongressabgeordneten Marjorie Taylor Greene, wegen ihrer hartnäckigen Forderung nach Freigabe der Epstein-Akten öffentlichkeitswirksam seine Unterstützung. Bei dieser Gelegenheit beleidigte er auch gleich noch ihren Mitstreiter Thomas Massie. Am gestrigen Freitag gab Greene dann ihren Sitz im Repräsentantenhaus auf. Selbst weniger radikale Unterstützer stieß Trump zudem mit der Interviewaussage vor den Kopf, 600.000 chinesischen Studenten Visa zum Studium an US-Universitäten erteilen zu wollen. Am schwersten für die Masse seiner Wähler wiegt aber wohl, dass sich ihre wirtschaftliche Situation seit seinem Amtsantritt nicht verbessert hat, obwohl dies ein Hauptgrund für ihre Entscheidung war.

Wechsel im republikanischen Miami?

Der Präsident, der die USA gegen alle Warnungen in einen weltweiten Handelskrieg gestürzt hat und bereits gezwungen war, diverse Maßnahmen – insbesondere gegen China, zuletzt auch Brasilien – zurückzunehmen, irritierte seine Unterstützer kürzlich mit diversen Vorschlägen dazu. Man könne ja Hypotheken mit 50-jähriger Laufzeit erlauben, damit Amerikaner wieder früher Häuser kaufen könnten. Oder jedem außer Spitzenverdienern einen Scheck über 2.000 Dollar aus Zolleinnahmen ausstellen, um damit Krankenversicherungen zu bezahlen. Die Quittung erhielten seine Republikaner Anfang des Monats mit einer Reihe von Wahlniederlagen in Virginia und New Jersey sowie New York City. Am 9. Dezember steht noch die Stichwahl des Bürgermeisters von Miami an, nachdem in der seit Jahrzehnten republikanisch regierten Stadt die demokratische Kandidatin in der ersten Runde vorn lag.

Während sich die anderen Wahlausgänge mit dort ohnehin starken demokratischen Wählerschaften erklären ließen, ist das politisch stark von konservativen Exil-Kubanern und anderen Latinos geprägte Florida ein deutliches Warnsignal. Ebenso allerdings die Wahl des neuen New Yorker Bürgermeisters Zohran Mamdani, ein Sohn muslimischer Einwanderer, der sich selbst als demokratischen Sozialisten bezeichnet. Im Wahlkampf erregte er in einer wiederum stark jüdisch geprägten Stadt Aufsehen mit anti-israelischen Aussagen Aufsehen, erhielt aber dennoch die Stimmen von bis zu einem Drittel der jüdischen Wähler. Vor allem punktete er jedoch mit sozialistischen Rezepten gegen die hohen Lebenshaltungskosten und sonstigen wirtschaftlichen Probleme vieler New Yorker. Damit kopierte er in vielerlei Hinsicht Trumps populistisches Konzept von links. Bei einem Treffen gestern schienen beide sich auch prächtig zu verstehen.

Wechsel der politischen Generationen?

Gerade im Hinblick auf die amerikanisch-israelischen Beziehungen vollzieht sich in den USA ein Generationenwechsel, der politische und auch religiöse Lager überschreitet. Auf der Linken war die vielfach von modischem Postkolonialismus beeinflusste kritische Haltung vieler jüngerer Amerikaner schon spätestens mit den verbreiteten Protesten gegen den Gazakrieg sichtbar. Doch gehört diese auch schon seit jeher zum Repertoire der anti-globalistischen Rechten – anderes Wort, selber Inhalt. Die Ermordung des MAGA-Aktivisten Charlie Kirk im September warf ein Schlaglicht auf die Verschiebung in der jungen Generation. Kirk, der mit seinen Diskussionsveranstaltungen etwa an Universitäten konservative Thesen in dieses Zielpublikum trug und selbst pro-israelisch eingestellt war, hatte diese nach Aussagen von Vertrauten bereits besorgt als möglichen Spaltpilz wahrgenommen.

Der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson räsoniert im September bei der Trauerfeier für den ermordeten MAGA-Aktivisten Charlie Kirk über mächtige Leute, die auch schon beschlossen hätten, Jesus zu töten.
Der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson räsoniert im September bei der Trauerfeier für den ermordeten MAGA-Aktivisten Charlie Kirk über mächtige Leute, die auch schon beschlossen hätten, Jesus zu töten. (Foto: Weißes Haus/Daniel Torok)

Für Aufsehen sorgte aber vor allem die Meldung, dass er sich intern über jüdische Spender beklagt hatte, die ihre Unterstützung einstellten, nachdem er sich nicht von dem anti-globalistisch und zunehmend anti-israelisch auftretenden ehemaligen Fox-News-Moderator Tucker Carlson distanzieren wollte. Von da war es nicht mehr weit bis zu rechten Verschwörungstheorien, dass Israel oder „die Juden“ hinter Kirks Ermordung steckten. Carlson machte sogar bei dessen Trauerfeier öffentlich entsprechende Andeutungen. Dass der früher in der ganzen Bewegung verehrte Ex-Fox-Mann bereits revisionistischen Erzählungen über die Schuld am Zweiten Weltkrieg – einschließlich im Interview mit Wladimir Putin – und kürzlich selbst dem offen anti-semitischen ehemaligen Trump-Unterstützer Nick Fuentes eine Bühne geboten hatte, führte schließlich zu einer erregten Debatte im MAGA-Lager.

Wechsel vom Befürworter zum Gegner und zurück?

Zwölf Monate vor den Zwischenwahlen, die ihm in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit einen obstruktiven Kongress mit demokratischen Mehrheiten bescheren könnten, steht Trump damit einem möglichen Zerbröseln seiner Wählerbasis gegenüber. Zwar waren die kürzlichen Niederlagen nicht unbedingt von nationaler Bedeutung, und zudem sicherlich von einer niedrigen Beteiligung außerhalb eines regulären Wahljahres begünstigt. Dennoch haben die Demokraten diese Abstimmungen erfolgreich zu Referenden über Trumps Politik erklärt. Erste sichtbare Auswirkung: In dieser Woche erklärte er plötzlich seine Unterstützung für den von ihm lange bekämpften Kongressantrag zur Veröffentlichung der Epstein-Akten und unterschrieb den Gesetzentwurf dazu am Tag nach dessen Verabschiedung.

Bedenklicher war allerdings eine Meldung vom selben Tag, dass Trumps Allzweck-Gesandter Steve Witkoff bereits Ende Oktober mit dem Putin-Berater Kirill Dmitriew einen 28-Punkte-Plan zur Beendigung des Ukrainekrieges aufgesetzt hatte, der weitgehend die Forderungen Moskaus erfüllt: Abtretung der ukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk bei Einfrieren der Fronten in Saporischschja und Cherson sowie russischem Rückzug aus anderen Gebieten, Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte um 40 Prozent und Verbot von Langstreckenwaffen, Verzicht auf NATO-Beitritt durch die Ukraine und das Bündnis selbst, keine NATO-Truppen auf ukrainischem Gebiet. Dafür wird „erwartet“, dass Russland die Ukraine nicht wieder angreift und das auch in einem Gesetz verankert. Was angesichts des russischen Umgangs mit früheren Versprechen natürlich absolut beruhigend wäre.

Wechsel vom Gaza- zum Ukraine-Plan?

Ansonsten ist nur wolkig von „verlässlichen Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine die Rede, für die die USA überdies eine „Entschädigung“ erhalten. Großzügig erlauben Moskau und Washington dem Land immerhin, der hierzu nicht befragten EU beizutreten – und legen schon mal fest, dass es während der Beratungen darüber kurzfristig bevorzugten Zugang zum europäischen Markt erhält. Die EU werde überdies 100 Milliarden Euro zu Mitteln aus eingefrorenen russischen Vermögen in gleicher Höhe zu amerikanisch geführten Wiederaufbauvorhaben für die Ukraine beisteuern, deren Gewinne zu 50 Prozent an die USA gehen. Im Gegenzug werden die Sanktionen gegen Russland aufgehoben und dieses wieder in die G8 eingeladen.  Das Ganze soll von einem Friedensrat unter Vorsitz von Trump überwacht werden.

Der US-Sondergesandte Steve Witkoff (r.) und der russische Präsidentenberater Kirill Dmitriew im April in Moskau.
Der US-Sondergesandte Steve Witkoff (r.) und der russische Präsidentenberater Kirill Dmitriew im April bei einem Treffen in Moskau. (Foto: Büro des Russischen Präsidenten)

Soweit diese Fantasie, erkennbar inspiriert von dem – weiter wackeligen – Plan zur Beendigung des Gazakriegs. Dass die Ukraine nicht das wesentlich von US-Hilfe abhängige Israel ist, dass amerikanische Versuche, über die Köpfe der Ukraine und der diese viel stärker unterstützenden Europäer hinweg bilateral einen Deal mit Russland auszuhandeln schon vor einem halben Jahr an den eingangs erwähnten Grenzen der Realität scheiterten: was soll’s. Die Reaktionen in Europa waren denn auch alles andere als begeistert, während es aus Kiew hieß, dass man an dem Plan „arbeite“. In Russland bestritt man, überhaupt davon zu wissen. Aus den USA gab es Äußerungen, dass es sich um ein „lebendiges“ Dokument handele. Sowie Vermutungen, dass es von russischer Seite an die Öffentlichkeit gebracht wurde.

Wechsel von Trump in Rot zu Trump in Blau?

Das ist auch nicht unwahrscheinlich, da es Präsident Selenskyj in einem unpassenden Moment ereilte: während eines Korruptionsskandals mit Verwicklung enger Mitstreiter und am Vorabend des Besuchs einer hochrangigen amerikanischen Delegation. Nachdem die Nachricht einmal in der Welt war, machte Trump sie sich auf gewohnte Art zu eigen und stellte allen Beteiligten ein Ultimatum bis Thanksgiving am Donnerstag kommender Woche, um dem Plan zuzustimmen. Der Druck auf die Ukraine ist offenbar so erheblich, dass Selenskyj sich zu der öffentlichen Feststellung genötigt sah, dass diese sich nunmehr zwischen ihrer Würde und dem Verlust des wichtigen Partners USA entscheiden müsse. In Moskau kann man das entspannt sehen. Denn beide Alternativen kommen den russischen Kriegszielen entgegen.

Ringen Ukraine und Europäer Trump dagegen wie schon früher Änderungen ab, kann man diese einfach ablehnen, und der US-Präsident steht mal wieder als schwacher Führer da. Das Ganze zeigt eine hartnäckige Lernunfähigkeit in amerikanischen Regierungskreisen. Und schlimmstenfalls eine Rückwendung zum anti-globalistischen Lager in der eigenen Wählerschaft, um diese vor den Zwischenwahlen mit innen- und außenpolitischen Zuckerstückchen wieder an Bord zu holen. Kriegt Russland, was es will, wird es diese Gruppe nach möglichen unangenehmen Enthüllungen aus den veröffentlichten Epstein-Akten eher beruhigen als nochmals zusätzlich aufstacheln zu wollen. Ist das allerdings der Fall, können sich nicht nur die Ukrainer warm anziehen, sondern auch die Israelis und die NATO-Verbündeten.

Denn bestimmen künftig die Anti-Globalisten mit ihrer konsequenten „America First“-Haltung und ihren anti-israelischen bis anti-semitischen Verschwörungserzählungen auch (wieder) die US-Außenpolitik, müssen sich die Gegner des westlichen Lagers nur zurücklehnen und zusehen, wie sich dieses zerlegt, während seine Führungsmacht USA gegen die Wand fährt. Dass die letzten drei Präsidentschaftswahlen 2028 einen weiteren Farbwechsel im Weißen Haus nahelegen, kann dabei nur bedingt beruhigen. Zwar haben die Demokraten die kürzlichen Wahlen in Virginia und New Jersey mit Kandidaten der Mitte gewonnen, die die Wirtschaftspolitik in den Fokus stellten. Für 2028 läuft sich etwa bereits der demokratische Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, warm. Angesichts der Verschiebungen unter jüngeren Wählern könnte aber auch jemand wie Zohran Mamdani Präsident werden. Das wäre dann Trump in Blau.

Stefan Axel Boes

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