Wehrdienst-Modernisierungsgesetz: die kommenden Jahre

Das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz sieht Anreize für Freiwillige, aber auch verpflichtende Musterungen ab kommendem Jahr vor: Rekruten beim Gelöbnis vor dem nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf.
Das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz sieht Anreize für Freiwillige, aber auch verpflichtende Musterungen ab kommendem Jahr vor: Rekruten beim Gelöbnis vor dem nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf. (Foto: Bundeswehr/Tesche)

Gerade noch rechtzeitig für ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2026 hat die schwarz-rote Koalition beim Gesetz zur Modernisierung des Wehrdienstes die Kurve gekriegt – nach langem Streit und teilweise seltsamen Kompromissen, die umgehend weder kassiert wurden. Am gestrigen Freitag stimmte sie dem Ergebnis nun bei einem Abweichler aus der SPD-Fraktion fast geschlossen zu. Die Opposition stimmte pflichtschuldig bis auf eine Enthaltung aus den Reihen der Grünen ebenso fast geschlossen dagegen. Die Grünen, die in der Vorgängerregierung an der Substanz des Gesetzes unter Federführung des Ministeriums von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius selbst mitgewirkt hatten, hatten einen Entschließungsantrag eingebracht, um für etwas anderes stimmen zu können. Dieser kritisierte eine mangelnde Beteiligung der direkt betroffenen jungen Generation und forderte eine Stärkung der Freiwilligendienste insgesamt.

Die Linke verlangte in einem eigenen Antrag gleich die Streichung der Wehrpflicht aus dem Grundgesetz überhaupt. Währenddessen bot die AfD das seltene Schauspiel eines auf offener parlamentarischer Bühne ausgetragenen innerparteilichen Streits zwischen nationalkonservativen Fachpolitikern und dem vorwiegend ostdeutschen Pro-Russland-Flügel um Björn Höcke. Letzterer hatte zuvor eine gemeinsame Positionsfindung zur im Grundsatzprogramm verankerten Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht torpediert, so dass die AfD ohne eigenen Gegenentwurf in die Bundestagsdebatte ging. Dieser Konflikt wird mittlerweile auch in der Partei zugeneigten publizistischen Kreisen als gefährlich für deren Profilierungsversuche als patriotische Kraft und ihre Zukunft insgesamt betrachtet. Verkürzt: Präsentiert sie sich als feindliche Spionage- und Sabotageorganisation für Russland (und China), wäre ihr Verbot keine Frage von Parteipolitik und Verfassungsrecht mehr, sondern eine der Gefahrenabwehr.

Die Freiwilligen und die Zeitsoldaten

Unabhängig davon muss nun noch der Bundesrat in seiner letzten Sitzung vor der Weihnachtspause am 19. Dezember dem Wehrdienstgesetz zustimmen. Ab dem 1. Januar würden dann wie geplant alle jungen Männer und Frauen beginnend mit dem Jahrgang 2008 einen Fragebogen zur Wehrwilligkeit und -fähigkeit nach eigener Aussage erhalten. Schon zum gleichen Zeitpunkt wird es nach entsprechender Einigung innerhalb der Regierungskoalition verpflichtende Musterungen geben – früher als ursprünglich von Pistorius selbst für 2027 geplant. Diese betreffen theoretisch alle Männer eines Jahrgangs. Aufgrund des nötigen Kapazitätsaufbaus werden aber zunächst vorwiegend diejenigen herangezogen, die ihre Bereitschaft zum Wehrdienst erklärt haben. Die merkwürdige Kompromisskonstruktion, schon hier das Los entscheiden zu lassen, ist damit offenbar vom Tisch.

In zwei Punkten haben sich CDU und CSU mit ihren Forderungen durchgesetzt. So werden Freiwillige nicht schon ab der sechsmonatigen Mindestverpflichtungszeit als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit geführt. Die etwas sperrige Bezeichnung lautet nun „Freiwilliger Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement“. Dafür steigt der Wehrsold auf anfänglich 2.600, für Gefreite auf 2.630 und für Obergefreite auf 2.650 pro Monat, knapp unterhalb der Besoldungstabelle A. Hinzu kommen ein Kindergeldzuschlag von 115 Euro pro Kind und bei Auslandsverwendungen ein weiterer Zuschlag von 495 Euro. Der Status als Zeitsoldat mit der entsprechenden Besoldung und allen sonstigen Vergünstigungen wird nun aber bereits ab einer Verpflichtungszeit von zwölf Monaten zuerkannt.

Soldaten der Heimatschutztruppe: ob die Planung mit dem Bedarf Schritt hält?
Soldaten der Heimatschutztruppe: ob die Planung mit dem Bedarf Schritt hält? (Foto: Boes)

Der Wehrdienst und die Wehrpflicht

Ebenfalls ab einer zwölfmonatigen Dienstzeit kann künftig ein Zuschuss zum Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse B, C oder C1 in Höhe von bis zu 5.000 Euro gewährt werden. Mit diesen finanziellen Anreizen, so die Hoffnung, wird die Bundeswehr vom gegenwärtigen Stand von rund 184.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten bis 2029 um jährlich 3.000 bis 5.000 wachsen. Dann bis 2033 um 6.000 bis 8.000 und bis 2035 noch um 14.000 bis 15.000 pro Jahr. Entsprechend soll die Zahl der Reservisten von derzeit rund 50.000 bis 2033 um jährlich 20.000 auf dann mindestens 200.000 steigen. Diese Zahlen – und das ist der zweite Erfolg der Union – stehen nun als „Aufwuchspfad“ im Gesetz.

Werden sie nicht durch freiwillige Verpflichtungen erreicht oder erfordert die Situation einen schnelleren Aufwuchs, soll der Bundestag ein weiteres Gesetz zu einer Auswahlwehrpflicht beschließen, zu der Wehrpflichtige durch ein Zufallsverfahren herangezogen werden können. Die Wehrpflichtdebatte ist damit vor allem nach Hoffnung der SPD in die nächste Legislaturperiode vertagt. Ob das so kommt und die Truppenstärke 2029 wie vorgesehen zwischen 198.000 und 205.000 plus 120.000 bis 140.000 Reservisten liegt, ist aber nicht ausgemacht. Hinzu kommen Unwägbarkeiten wie die weitere Entwicklung der Bedrohung durch Russland in Abhängigkeit vom Verlauf des Ukrainekriegs. Auch wollen die USA nach jüngsten Berichten bereits ab 2027 die konventionelle Verteidigung Europas weitgehend den NATO-Verbündeten überlassen.

Die Planung und der Bedarf

Solche Entwicklungen könnten schon vor der nächsten Bundestagswahl Makulatur aus dem „Aufwuchspfad“ im Gesetz machen. Bereits jetzt ist dieser angesichts der militärischen Bedarfsmeldungen aus den Teilstreitkräften recht schmal. Allein das Heer kalkulierte beim Weggang seines letzten Inspekteurs Generalleutnant Alfons Mais laut seines Schreibens an Generalinspekteur Carsten Breuer im September bis 2029 für Feldheer, Heimatschutztruppe und Anteil Unterstützungsbereich mit 116.500 aktiven und 214.500 Reservedienstposten. Schon letzteres übersteigt den geplanten Mindest-Endumfang von 200.000, geschweige denn die für dieses Jahr vorgesehene Zahl von Reservisten. Bis 2035 würde der Bedarf laut Mais weiter auf 161.500 plus 229.500 klettern – die mögliche Übertragung zusätzlicher Aufgaben an den Heimatschutz noch nicht einbezogen.

Kürzlich erklärte auch der neue Luftwaffeninspekteur Generalleutnant Holger Neumann, dass seine Teilstreitkraft bis zu diesem Zeitpunkt auf 50.000 Stellen wachsen wolle. Selbst bei geplanten 255.000 bis 270.000 aktiven Soldaten wird dann der verbleibende Spielraum für die beiden kleineren Mitbewerber Marine sowie Cyber- und Informationsraum eng. Die Frage, ob diese Zahl mit Freiwilligen erreicht werden kann, stellt sich aber nicht erst 2035. Ob sich der Bundestag mit einem weiteren Gesetz befassen muss, diesmal wie vorsorglich schon im aktuellen vorgesehen zu einer wie auch immer gestalteten Wiedereinführung der Wehrpflicht, könnte sich vielmehr schon in den nächsten zwei Jahren entscheiden.

Stefan Axel Boes

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