Was sich 2014 mit der Annexion der Krim durch Russland bereits ankündigte, brachte 2022 mit dem Angriff auf die Ukraine auch in Deutschland wieder die Erkenntnis in Erinnerung, dass Friede, Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit, sondern ein schützenswertes Gut sind. Diesen Schutz zu gewährleisten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Streitkräfte eine wesentliche Rolle übernehmen.
Diese Rolle wiederzufinden, also kriegstüchtig zu sein, stellt für unsere Streitkräfte unter dem Begriff „Zeitenwende“ die wesentliche Leistung dar. Eine innere Orientierung des Personals, militärisch wie zivil, am Auftrag Landes- und Bündnisverteidigung ist der Kitt, der alle anderen messbaren Faktoren zusammenhält und ist das, was sich hinter dem Begriff „Mindset Landes- und Bündnisverteidigung“ verbirgt. Eine solche Einstellung zu kultivieren, bedarf Zeit und glaubwürdiger Rahmenbedingungen.
Innerhalb von nur knapp zweieinhalb Jahren hat sich viel bewegt. Prozesse werden kritisch hinterfragt und verkrustete Strukturen ohne Denkverbote aufgebrochen, um Kriegstüchtigkeit mit Kohäsion, Schnelligkeit (Kaltstartfähigkeit) und Durchsetzungsfähigkeit (Vollausstattung) zu hinterlegen. Das Zielbild Heer passt sich dynamisch den Forderungen an Landstreitkräfte im Krieg an, die Aufstellung der Panzerbrigade 45 in Litauen erfolgt geordnet in außergewöhnlich hohem Tempo, persönliche Ausrüstung erreicht die Truppe, Rüstungsprojekte nehmen Fahrt auf, und Ausbildungsgänge werden den absehbaren Notwendigkeiten hochflexibel angepasst. Diese positiven Entwicklungen neben dem selbstkritischen Überprüfen bestehender Regelungen und Prozesse im Blick zu halten, ist wichtig und richtig, denn diese Fortschritte füllen den Begriff „Zeitenwende“ mit Leben.
Das Mindset
Um die Bedeutung des Wandels zu verstehen, muss man einen Blick auf den Ausgangpunkt werfen: Die Landstreitkräfte waren es nach Jahrzehnten des internationalen Krisenmanagements gewohnt, als bunt zusammengewürfelter Truppenkörper für vier bis sechs Monate in den Einsatz zu gehen. Nach dem Einsatz ging es zurück in die Friedensstandorte, und es begann die stufenweise, genauestens durchgeplante Vorbereitung auf den nächsten Einsatz. Jeder Einsatz war politisch hochsensibel, und jeder Gefallene oder Verwundete barg das Potenzial einer parlamentarischen Debatte sowie der Suche nach Schuldigen.
Die Folgen waren eine militärische Verwaltungskultur sowie eine Gesellschaft, die das Militär als externen Leistungserbringer und attraktiven Arbeitgeber wahrnahm. Unsere Ausbildungspläne wurden höchst detailliert reglementiert, um sich im Falle eines Vorfalls dem Vorwurf der Achtlosigkeit entziehen zu können. Höchste Stäbe beschäftigten sich mit der Besetzung von Einzeldienstposten. Stäbe übernahmen die Kontrollfunktion über die Umsetzung von Einzel weisungen sowie Meldungen von Kommandeuren. Einheitsführer waren im Grundbetrieb zunehmend Verwalter eines Personalkörpers mit begrenzt verfügbarem Gerät. Die Truppe wurde zum Arbeitgeber und Attraktivität zum entscheidenden Faktor für das Werben um Personal.
Die Frage, die sich vor zwei Jahren mit Blick auf die Fähigkeit zu Landes- und Bündnisverteidigung stellte, war, ob und wie geeignet ein solches System für einen hochintensiven Konflikt – einen Krieg – ohne Vorwarnzeit, ohne definiertes Ende und mit höchster Belastung aller Gesellschaftsanteile sei. Die Antwort war und ist klar: „Gar nicht!“ Der Angriff Russlands führte vor Augen, dass unsere Truppenkörper für einen solchen Krieg in Europa nicht kriegstüchtig sind. Spätestens jetzt war klar, es besteht Handlungsbedarf, nicht nur militärisch, sondern auch gesellschaftlich. Das bedeutet: Wenn wir die Bedrohung ernst nehmen und glaubwürdig abschrecken wollen, müssen wir nunmehr mühsam die Begriffe Dienen, Führen, Kriegstüchtigkeit, Kaltstartfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Robustheit und Durchhaltefähigkeit wieder glaubhaft mit Leben füllen.