Ihre Sucheingabe

[naviPost_search]

100 Tage Trump – Teil 2: Das Reich der Mitte und der Nahe Osten

Donald Trump zeigt Benjamin Netanjahu im Oval Office, wo der Hammer hängt.
Donald Trump zeigt Benjamin Netanjahu im Oval Office, wo der Hammer hängt. (Foto: Picture Alliance/Sipa USA)
mockup complete

Erhalten Sie jetzt einen Zugang zu allen HHK+ Inhalten – online und jederzeit verfügbar.

Partner unsere Sonderpublikationen

Der erste Teil dieses Beitrags konzentrierte sich in der vergangenen Woche auf die 100-Tage-Bilanz der Regierung Donald Trump in der Ukraine. Eine Folgerung war allerdings, dass sich die USA auch darüber hinaus gegenwärtig in ihrer Rolle als westliche Führungs- und internationale Ordnungsmacht beschädigen. Nämlich indem sie sich gleichzeitig mit der ganzen Welt anlegen, und dabei Freund und Feind die Grenzen ihrer Macht demonstrieren. Besondere Ironie: Trump verdankt seinen Aufstieg teilweise der Ernüchterung über die so langdauernden wie erfolglosen amerikanischen Umgestaltungsversuche des Nahen und Mittleren Ostens während des „Kriegs gegen den Terror“ gerade unter republikanischen Wählern. Nun versucht er das Ganze noch eine Nummer größer.

Dass er und seine Anhänger, die einst George W. Bush ebenso bejubelten, aber heute nichts mehr davon wissen wollen, dabei eher auf die wirtschaftliche denn die militärische Stärke der USA vertrauen, macht es nicht wesentlich besser. Schon dass sie offenbar vergessen haben, dass die NATO nach den Anschlägen des 11. September 2001 das erste und einzige Mal den Bündnisfall erklärte – und über die nächsten 20 Jahre insgesamt mehr als 600.000 Soldaten nach Afghanistan entsandte, um an der Seite ihrer amerikanischen Kameraden zu kämpfen – zeigt, dass sie nichts gelernt haben. Erst als in Europa ernsthafte Pläne entstanden, innerhalb der nächsten zehn Jahre weitgehend ohne die USA auszukommen, schien Trumps Team langsam zu dämmern, dass eine Führungsmacht nichts ohne Verbündete ist.

Wie man vom Baum wieder runterkommt

Kürzlich hat Vizepräsident J. D. Vance bei einer Folgeveranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz seinen neuen versöhnlichen Tonfall noch verstärkt. Allerdings hat die Rückwendung der Regierung Trump zu den Europäern auch damit zu tun, dass man diese dringend als Verbündete an weiteren leichtsinnig eröffneten Fronten braucht. Zuallererst im Handelskrieg mit China, nachdem sich überraschenderweise gezeigt hat, dass selbst die USA einen solchen nicht gegen die ganze Welt gleichzeitig führen können. Daher die Rücknahme der Anfang April verhängten abenteuerlichen Zölle gegen alle anderen Länder nur Stunden, nachdem die EU eine Erwiderung auf die frühere Erhöhung für Stahl und Aluminium beschlossen hatte. Hintergrund dürfte nicht zuletzt die konkurrierende chinesische Charmeoffensive gegen Europa gewesen sein.

Letztlich hat Trumps Handelskrieg bislang vor allem die gegenseitigen Abhängigkeiten bestätigt. Nach der anfänglichen Eskalation zwischen den USA und China nahmen beide mehr oder weniger leise knapp ein Viertel des gegenseitigen Handelsvolumens wieder von den zuvor verhängten exorbitanten Zöllen aus, weil sie nicht ohne die entsprechenden Importe auskommen. In den vergangenen Wochen ließen beide Seiten noch über regierungsnahe Social-Media-Kanäle verbreiten, dass die jeweils andere kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stehe und um Gespräche gebeten habe, was man aber natürlich erst nach öffentlichen Friedensgesten erhören werde. Währenddessen suchten beide hinter den Kulissen schon nach Wegen, von den jeweiligen Bäumen wieder herunterzukommen.

Wie man ahistorische Anfälle kriegt

An vergangenen Wochenende trafen dann hochrangige Delegationen auf sich angeblich ganz zufällig überschneidenden Europareisen in der Schweiz zusammen, um sich gesichtswahrend an einen Tisch zu setzen. Anschließend verkündeten auch sie, die in den dreistelligen Bereich eskalierten Zölle jeweils wieder für 90 Tage um 115 Punkte zu senken. Als dringend notwendigen Erfolgsnachweis verkündeten die USA und Großbritannien zudem vergangene Woche den Abschluss eines minimalen Freihandelsabkommens. Über ein solches war schon 2019 während Trumps erster Präsidentschaft verhandelt worden, das aber damals unter anderem an – jetzt ausgeklammerten – Fragen zur Kompatibilität mit einem künftigen britisch-europäischen Abkommen scheiterte. Wendet sich also alles wieder zum Normalen?

US-Finanzminister Scott Bessent (r.) und der Handelsbeauftragte Jamieson Greer (l.) in Genf nach den Waffenstillstandsgesprächen im Handelskrieg mit China.
US-Finanzminister Scott Bessent (r.) und der Handelsbeauftragte Jamieson Greer (l.) in Genf nach den Waffenstillstandsgesprächen im Handelskrieg mit China. (Foto: Picture Alliance/Anadolu/Beyza Binnur Donmez)

Wer weiß. Noch letzte Woche kriegten Vance und Außenminister Marco Rubio öffentlich ahistorische Anfälle, als das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstufte. Bei dieser Weltsicht muss man wohl froh sein, dass beide noch nicht auf der Welt waren, als das Bundesverfassungsgericht in den 1950er Jahren die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei und die Kommunistische Partei verbot. Womöglich hätte sie bei so viel Demokratiefeindlichkeit der Schlag getroffen. Schneller als gedacht scheint auch das früher unzerstörbar scheinende amerikanisch-israelische Verhältnis unter die Räder des Bedarfs an schnellen Erfolgserlebnissen zu kommen. Zu besichtigen war das kürzlich beim Besuch Benjamin Netanjahus in Washington, wohin er offenbar auf Drängen Trumps gereist war.

Wie man Trump gefällt (oder nicht)

Nachdem Israel schnell noch alle Zölle auf amerikanische Importe abgeschafft hatte, erwartete Netanjahu israelischen Berichten zufolge einen reziproken Zug Trumps und danach vor allem Gespräche über Schläge gegen das iranische Nuklearprogramm. Stattdessen erklärte Trump ihm vor der versammelten Presse: ein Land, dem man jährlich vier Milliarden Dollar Militärhilfe zahle, könne ja wohl nicht die Rücknahme der kürzlich von ihm verhängten Extrazölle erwarten. Überdies würden die USA demnächst Gespräche über ein neues Atomabkommen mit dem Iran aufnehmen. Zu guter Letzt lobte er noch den autokratischen türkischen Präsidenten, heftigen Israelkritiker und selbsternannten Beschützer der Palästinenser Recep Erdogan.

Tatsächlich führen die USA und der Iran seitdem Verhandlungen über ein Abkommen, das nach allem, was bekannt ist verdächtig dem Joint Comprehensive Plan of Action von 2015 ähnelt. Diesen hatte Trump bekanntlich 2018 – nicht zuletzt auf Drängen Netanjahus – als „schlechtesten Deal aller Zeiten“ aufgekündigt. Kollateral haben die USA und die jemenitischen Huthis, die letzte handlungsfähige Stellvertreter-Streitmacht des Iran, einen Waffenstillstand geschlossen. Dieser bezieht sich allerdings nur auf die wechselseitigen Angriffe zwischen den Huthis und Schiffen der U.S. Navy im Roten Meer, nicht auf den Beschuss Israels mit vom Iran gelieferten Raketen aus dem Jemen. Trump wird damit weitere zuhause unbeliebte bewaffnete Auseinandersetzungen im Nahen Osten los. Allerdings zur Konsternation Israels.

Wie man israelische Premiers kaltstellt

Letztere setze bereits ein, als der US-Gesandte für die Geiselsituation in Gaza, Adam Boehler, im März entgegen allen bisherigen Prinzipien in Doha direkte Gespräche mit der Hamas führte. In Israel heftig kritisiert, führten die bilateralen Bemühungen in dieser Woche zur Freilassung der israelisch-amerikanischen Geisel Edan Alexander. Währenddessen ist Netanjahu innenpolitisch seit über einem Jahr zunehmenden Vorwürfen ausgesetzt, die Fortsetzung des Krieges und damit den Erhalt seiner rechtsgerichteten Regierungskoalition und seiner eigenen Macht über die Rückkehr der israelischen Geiseln zu stellen. Hinzu kommen Berichte über Trumps Ablehnung gemeinsamer Militärschläge gegen den Iran und die Fortsetzung des Gaza-Kriegs sowie die amerikanische Aufgabe der offiziellen Anerkennung Israels als Bedingung für ein Abkommen zur zivilen Atomenergie mit Saudi-Arabien.

Der letzte Stich war, dass der US-Präsident auf seiner Nahost-Reise diese Woche keine Station in Israel machte. Bei all dem mag eine Rolle spielen, dass er Netanjahu noch immer dessen unbotmäßig schnelle Gratulation an Joe Biden nach der amerikanischen Präsidentenwahl 2020 nachträgt, die zu einer öffentlichen Schimpftirade über die Unzuverlässigkeit des israelischen Verbündeten führte. Bekanntlich schätzt Trump persönliche Loyalität über alles andere und hält an der Erzählung der gestohlenen Wahl als ein Kernpunkt seiner Selbstdarstellung fest. Im Hintergrund ist aber in der Causa Israel – auch verbunden mit der Haltung zur Ukraine – ein Kampf zwischen zwei verschiedenen Lagern in der Regierung und der Anhängerschaft Trumps erkennbar: die konsequenten und die inkonsequenten Anti-Globalisten.

Wie man als Amerikaner Anti-Amerikanismus schluckt

Im Hinblick auf die Ukraine hat der weltweite Anti-Globalismus ohnehin die russische Erzählung eines korrupten, undemokratischen Marionettenstaates übernommen, der von einer weltweiten liberalen Elite als Rammbock gegen das (auch politisch) orthodoxe Russland eingesetzt wird. Dass der Anti-Globalismus sowohl in seiner politisch links- als auch rechtsgerichteten Ausprägung zutiefst anti-amerikanisch ist, weil die USA – zu Recht – als Kern- und Führungsmacht der bestehenden liberalen Weltordnung angesehen werden: das stört seine amerikanischen Anhänger nicht, solange die falsche Regierung in Washington an der Macht ist. Mit der Regierung Trump, die die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse zuhause und in der Welt verspricht, wähnen sich diese am Ziel. Wen das auf bizarre Weise an sozialistische Revolutionsrhetorik erinnert, der hat natürlich nicht unrecht.

Wolodymyr Selenskyj wartet in der Türkei auf Godot oder andere russische Gesprächspartner.
Wolodymyr Selenskyj wartet in der Türkei auf Godot, Putin oder andere russische Gesprächspartner. (Foto: Picture Alliance/AP/Evgeniy Maloletka)

Doch wie sozialistische Revolutionsbewegungen hat auch diese ihre ideologisch verfeindeten Flügel. Vor allem die noch während des Kalten Krieges als traditionelle Konservative aufgewachsenen älteren Amerikaner halten weiterhin an der besonderen Beziehung zu Israel fest, obwohl der Anti-Globalismus diese als eine Kernverbindung der zu überkommenden Weltordnung betrachtet. Demgegenüber kommt die jüngere Generation zu dem Schluss, dass alles, was über undankbare europäische Verbündete gesagt wird, die die USA ausnutzen, umso mehr auf Israel zutrifft. Das ist aus dieser Binnensicht auch nicht falsch: im Gegensatz zu den NATO-Partnern erhält Israel tatsächlich direkte finanzielle Militärhilfe, stellt aber keine strategischen Stützpunkte zur Verfügung oder hat jemals Truppen für gemeinsame Einsätze entsandt.

Wie man vom Personalkarussell fällt

Der Vergleich mit der Ukraine liegt daher im positiven wie negativen Sinne nahe. Auch was moralisch konnotierte Aspekte von historischen Landansprüchen, Angriff und Verteidigung zwischen ungleich großen Nachbarn mit unterschiedlichen Weltanschauungen und interne politische Auseinandersetzungen betrifft. So wie Unterstützer Israels und der Ukraine häufig dieselben sind, sind konsequente Anti-Globalisten Kritiker von beiden. Dass das mit den üblichen Verschwörungsgedanken über die „jüdische Lobby“ einhergeht, versteht sich von selbst. Als kürzlich mehrere enge Mitarbeiter von US-Verteidigungsminister Pete Hegseth nach der Signalgate-Affäre wegen angeblicher Durchstecherei eines zweiten, privaten Chats über Angriffspläne im Jemen gefeuert wurden, verbreiteten sich rasch Geschichten über die Beteiligung von Israel-Lobbyisten.

Diese hätten demnach wegen der kritischen Einstellung der Betroffenen zur Bekämpfung der Huthis und der Unterstützung Israels für deren Entlassung gesorgt. Auch bei der Versetzung des bisherigen nationalen Sicherheitsberaters Michael Waltz auf den Posten des amerikanischen UN-Botschafters spielte nach einem Bericht der „Washington Post“ eine Rolle, dass dieser angeblich Absprachen mit Netanyahu zu möglichen gemeinsamen Schlägen gegen den Iran traf. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass sich das Lager der konsequenten Anti-Globalisten in der Regierung durchsetzt. Hier können ebenfalls wieder der Wert persönlicher Loyalität für Trump und seine Abneigung gegen „nicht gewinnbringende“ Militäraktionen entscheidend sein. Waltz wäre dann wohl lediglich das erste Opfer des typischen Personalkarussells, dass schon Trumps erste Amtszeit prägte.

Wie man vielleicht doch noch den Ukraine-Krieg beendet

Für Europa – und im Fall Israels speziell für Deutschland als dessen zweitwichtigster Verbündeter – bedeutet eine amerikanische Abkehr von bisherigen Partnern in jedem Fall mehr Chancen, aber auch Verantwortung zur Gestaltung. Dass das funktioniert, wenn Europa und die USA an einem Strang ziehen, zeigte sich bei den letzten raschen Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Zumindest, wenn beide gerade in dieselbe Richtung ziehen. Nachdem Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand die Initiative ergriffen und sich dafür Rückendeckung bei Trump holten, sprang letzterer postwendend auf Wladimir Putins Gegenvorschlag auf, doch stattdessen zu den 2022 gescheiterten Friedensverhandlungen in Istanbul zurückzukehren. Wolodymyr Selenskyj ging bei diesem Pokerzug umgehend mit und kündigte an, in Istanbul auf Putin persönlich zu warten.

Am Ende schickte der nur eine relativ rangniedrige Delegation, was bei Trump möglicherweise den von Selenskyj erwünschten Eindruck hinterlässt, dass Putin es mit den Friedensbemühungen nicht so ernst meint. Dass eine erste Gesprächsrunde schnell zu Ende ging, weil die russische Seite erneut Maximalforderungen nach der Überlassung weiterer Gebiete stellte, dürfte das verstärken. Zumindest jedoch redet man in verschiedenen Konstellationen von Russen, Ukrainern, Europäern und Amerikanern wieder miteinander. Vielleicht kommt endlich die Dynamik auf, die man nach Trumps Wahl erhofft hatte, bevor die USA die Lösung allein versuchten und sich gleichzeitig in zahllosen anderen Kämpfen verzettelten. 100 Tage später ist die Hoffnung, dass diese gemeinsam aufrechterhalten werden kann und keiner ein Ende des Ukraine-Kriegs durch Alleingänge vergeigt.

Stefan Axel Boes

Verwandte Themen: