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Wenn SNAFU zu FUBAR wird: Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und J. D. Vance bei ihrer Performance am 28. Februar im Oval Office.

100 Tage Trump – Teil 1: SNAFU mit Aussicht auf FUBAR

Wenn SNAFU zu FUBAR wird: Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und J. D. Vance bei ihrer Performance am 28. Februar im Oval Office. (Foto: Weißes Haus)
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Kennen Sie den Unterschied zwischen SNAFU und FUBAR? Schauen Sie mal nach Washington. Die neue US-Regierung unter Donald Trump war durchaus begleitet von Hoffnungen selbst bei Skeptikern angetreten, dass frischer Wind in diverse sicherheitspolitische Angelegenheiten käme. Das reichte vom leidigen Thema der europäischen Beiträge zur gemeinsamen Sicherheit in der NATO bis zu Friedensbemühungen in der Ukraine und Nahost. Trumps Vorgänger Joe Biden agierte hier oft zu zaghaft, wohinter sich wiederum Partner wie Deutschland gerne versteckten – wie bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Vielleicht, so dachte auch der Autor, würde sich der neue Präsident trotz seiner bekannten Schwäche für Autokraten wie Wladimir Putin auf übliche brachiale Weise über den etablierten Diskurs aus Maximalforderungen und Atomkriegsängsten hinwegsetzen.

Auf der Jagd nach internationaler Anerkennung, so die Hoffnung, könne er tatsächlich beide Seiten zu einer tragfähigen Lösung zwingen. Natürlich war nach Trumps Wahl schnell keine Rede mehr von seiner Behauptung, den russischen Angriffskrieg noch vor seiner Amtseinführung innerhalb von 24 Stunden beenden zu können. Der selbst gesteckte Zeithorizont lautete nun auf 100 Tage. Was immer noch ambitioniert war, aber bei konsequentem Engagement durchaus möglich schien. Dazu hätte vor allem die Erkenntnis gehört, dass Russland kein Interesse an einer Verhandlungslösung hat, solange es auf dem Schlachtfeld weiter stetig, wenn auch langsam und unter hohen Verlusten vorrückt. Eigentlich hätte die Ukraine zunächst in den Stand versetzt werden müssen, dies zu stoppen.

Von amerikanischer Stärke zum russischen Diktat

Stattdessen schwankte Trump zwischen ineffektiven Sanktionsdrohungen gegen Russland und Angriffen auf seinen ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj bis hin zur Sabotage der ukrainischen Verteidigung. Dabei ging es wohl auch um Druck für die Unterzeichnung des Abkommens über die Ausbeutung ukrainischer Rohstoffe zugunsten der USA. Die vorübergehende Einstellung der US-Militärhilfe trug vermutlich zum ukrainischen Rückzug von russischem Territorium bei Kursk bei, das einem möglichen Austausch besetzter Gebiete dienen sollte. Das Embargo verursachte darüber hinaus ernsthafte Zweifel der NATO-Partner an der Verlässlichkeit der USA als Verbündeter überhaupt. Letztere schlossen zudem die Europäer von den Verhandlungen aus, obwohl diese den größeren Teil der Hilfe leisten und die Absicherung eines Waffenstillstands übernehmen sollten.

Die anhaltenden Forderungen an das EU-Mitglied Dänemark zur Abtretung Grönlands an die USA verbesserten die Stimmung auch nicht gerade. Entsprechend war man in Europa Berichten zufolge auch nicht geneigt, amerikanischem Druck zur Einstellung der Ukraine-Unterstützung oder Anerkennung des russischen Anspruchs auf die Krim nachzugeben, um die gescheiterte US-Herangehensweise zu retten. Daher war die ukrainische Position nicht so schwach, wie Trump vielleicht dachte. Auf der anderen Seite diktierte Russland der amerikanischen Seite weitgehend die Bedingungen, einschließlich der Person des Verhandlungsführers. Der eigentliche Ukraine-Beauftragte Keith Kellogg galt offenbar als nicht russlandfreundlich genug und wurde von der Trump-Administration folgsam durch Steve Witkoff ersetzt. Letzterer eigentlich Nahost-Beauftragter und vor allem durch seine Eigenschaft als langjähriger Geschäfts- und Golfpartner des Präsidenten für politische Ämter qualifiziert.

Von der großen Lösung zu minimalen Schritten

Russland lehnte auch einen umfassenden Waffenstillstand ab, der nicht einer endgültigen Lösung unter Erfüllung aller eigenen Forderungen – also im Prinzip einer ukrainischen Kapitulation – entsprach. Zustimmung erhielten nur minimale Schritte, die russischen Interessen entsprachen. Dazu gehörte das Moratorium für Angriffe auf Energieinfrastruktur: der für die Ukraine besonders kritische Winter war ohnehin vorbei, und umgekehrt sind ihre Schläge gegen russische Öl- und Gasanlagen ein zunehmendes Ärgernis für Moskau geworden. Auch für das Schwarze Meer, aus dem die Ukraine die russische Flotte weitgehend vertrieben hat, wollte man gerne einen Waffenstillstand haben. Zuletzt rief Putin einen solchen während der Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs am 9. Mai aus, um die traditionelle Militärparade auf dem Roten Platz nicht zu gefährden.

Xi Jinping und Wladimir Putin bei der Siegesparade auf dem Roten Platz am 9. Mai.
Xi Jinping und Wladimir Putin bei der Siegesparade auf dem Roten Platz am 9. Mai. (Foto: Russisches Präsidialamt)

Ob Trump einfach wieder seiner Diktatorenverehrung verfiel oder es als leichteren Weg sah, die schwächere Partei unter Druck zu setzen: der Erfolg blieb jedenfalls aus. Zum Glück für die Ukraine konnte sie mittlerweile mehrere Probleme lösen. Dazu gehört die zunehmende Produktion von Präzisionswirkmitteln, die nicht nur den Mangel an Personal und Artillerie ausgleichen, sondern auch ohne Einschränkungen gegen russisches Territorium eingesetzt werden können. Hinzu kamen Störmaßnahmen gegen russische Gleitbomben, die bislang Hauptmittel gegen ukrainische Verteidigungspositionen waren. Infolgedessen und durch Einsetzen der Frühlings-Schlammperiode hat sich der russische Vormarsch zuletzt deutlich verlangsamt. Nach dem weitgehenden Rückzug aus der Region Kursk hat die Ukraine zudem neue Operationen gegen russisches Grenzgebiet gestartet.

Von der Aufkündigung der Solidarität zur Bitte um Kritik

Erst als die 100-Tage-Grenze bedrohlich nahe rückte, versuchte die US-Regierung die vergrätzten Europäer wieder ins Boot zu holen. Außenminister Marco Rubio versicherte die NATO-Partner Anfang April der fortbestehenden amerikanischen Bündnissolidarität. Vizepräsident J. D. Vance, der letztere auf der Münchner Sicherheitskonferenz am lautesten in Frage gestellt hatte, machte in einem Interview mit einer rechtsgerichteten britischen Nachrichtenseite die bemerkenswerte Aussage, dass die Europäer natürlich nicht nur Vasallen sein sollten, sondern etwa in der Irak-Frage 2003 durchaus richtige Kritik an den USA geäußert hätten. Was ihn immerhin von denjenigen Republikaner unterscheidet, die seinerzeit inländische Kritiker als Verräter und ausländische als käsefressende Kapitulationsaffen, unter Trump aber die damalige Regierung George W. Bush als lügende Kriegstreiber bezeichneten – ohne je das Copyright zu erwähnen.

Schließlich setzen sich Rubio und Witkoff endlich mit Europäern und Ukrainern an einen Tisch, um zumindest die Vorstellungen zu einer Verhandlungslösung abzugleichen. Dabei kamen zwar immer noch drei voneinander abweichende Papiere heraus, die aber am Anfang des Prozesses durchaus Grundlage für die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen hätten sein können. Nun allerdings trat Trumps mangelndes Stehvermögen bei komplexen Problemen zu Tage. Schon in seiner ersten Präsidentschaft zog er sich etwa mit den Worten „keiner wusste, dass das so kompliziert ist“ von dem republikanischen Hauptwahlversprechen zurück, die Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama rückgängig zu machen. Nunmehr mussten Rubio und Vance kommunizieren, dass sich der Präsident ja nicht ewig auf eine Sache konzentrieren könne.

Vom Diktatfrieden zur fortgesetzten Unterstützung

Wenn es also nicht innerhalb der 100-Tage-Frist Ergebnisse gäbe, würden sich die USA aus diesem Verhandlungsgedöns zurückziehen. Das war vielleicht dazu gedacht, Druck auf alle Beteiligten einschließlich Putin auszuüben, der immerhin mit Trump noch auf das für Russland günstigste Ergebnis hoffen konnte. Am Ende zeitigte es nur das Minimalergebnis eines abgespeckten Rohstoffabkommens mit der Ukraine, das so recht die Erwartungen keiner Seite erfüllte, aber doch als ein Erfolg verkauft werden konnte. Parallel genehmigte die amerikanische Seite ein Versorgungspaket für die von europäischen NATO-Partnern gelieferten ukrainischen Kampfflugzeuge F-16. Solche Hilfen gelten künftig als US-Beitrag zum mit dem Abkommen vereinbarten gemeinsamen Wiederaufbaufond. Die Lieferung von nicht flugfähigen amerikanischen F-16 als Ersatzteilspender hat bereits begonnen.

Mittlerweile äußert auch der neue Bundeskanzler Friedrich Merz nach 100 verschwendeten Tagen die Hoffnung auf einen baldigen echten Waffenstillstand durch gemeinsame europäisch-amerikanische Bemühungen. Natürlich muss dabei am Ende immer noch Putin mitspielen. Soweit also: „situation normal, all fucked up“, wie der amerikanische Soldat sagen würde – kurz SNAFU. Elegant übersetzt: „Lage wie üblich beschissen“. Die Steigerung davon ist FUBAR: „fucked up beyond all recognition“, also eher „vermurkst bis zur Unkenntlichkeit“. Im Gegensatz zur SNAFU, der sich der typisch beschwerdefreudige Soldat täglich durch inkompetente Vorgesetzte, realitätsfremde Vorschriften und fehlende oder ungeeignete Ausrüstung gegenübersieht, erfordert FUBAR in der Regel den aktiven Einsatz von Dummheit, Ignoranz und sogar Bosheit, um den Karren so richtig in den Dreck zu fahren.

Friedrich Merz, Donald Tusk, Keith Starmer und Emmanuel Macron (v. l.) vor der Abreise in die Ukraine am 9. Mai.
Friedrich Merz, Donald Tusk, Keith Starmer und Emmanuel Macron (v. l.) vor der Abreise in die Ukraine am 9. Mai. (Foto: No. 10 Downing Street)

Von der klugen zur dummen Supermacht

Das eigentliche Problem der ersten 100 Tage Trump ist nun folgendes: eine kluge Supermacht erweckt den Eindruck grenzenloser Stärke, indem sie ihre Grenzen nie austestet. Eine dumme demonstriert Freund und Feind diese Grenzen, indem sie sich blindlings den Schädel daran einschlägt. Team Trump hat der ganzen Welt seit Amtsantritt gezeigt, was die größte Militär- und Wirtschaftsmacht auf diesem Planeten alles nicht kann: Russland und die Ukraine zum Frieden bewegen, dem Nachbarn Kanada oder dem kleinen Dänemark ihren Willen aufzwingen, oder auch die Freilassung aller israelischen Geiseln in Gaza erreichen. Oder – weniger überraschend – einen Handelskrieg gegen die ganze Welt führen, ohne dabei die eigene Wirtschaft an den Rand des Abgrunds zu fahren.

Nun war die Annahme sowohl unter Anhängern Trumps als auch Skeptikern stets, dass entsprechende großartige Ankündigungen vor allem Verhandlungstaktik sind, um am Ende ein mäßiges Ergebnis als Erfolg zu verkaufen. Trumps Kabinettsmitglieder beteuerten natürlich, dass das alles ernst gemeint sei. Die Adressaten nahmen es auch so auf – was blieb beiden Seiten auch anderes über. Spätestens die Signalgate-Affäre um interne Chats zu Angriffen auf die jemenitischen Houthis zeigte zudem, dass sich Team Trump untereinander genauso äußert wie öffentlich. Das ist also kein Schauspiel, kein Werben um die eigene Wählerschaft, kein Trollen und kein vierdimensionales Schach, wie die Anhänger gerne behaupten. Die sind wirklich so unwissend über die Zusammenhänge der Welt und grundlegende Prinzipien von Politik, und so unreif im Ausdruck.

Von SNAFU zu FUBAR

In gewisser Weise ist das natürlich Folge jahrzehntelanger „kluger“ Supermachtpolitik und des Eindrucks unbegrenzter Macht. Irgendwann fragt sich die weniger glückliche Wählerschaft, warum diese denn nicht zur Verbesserung der eigenen Lage genutzt wird. Erzählungen entstehen, dass die Regierung gegenüber dem Rest der Welt einfach zu zaghaft und rücksichtsvoll sei, sich von Ausländern ausnutzen lasse oder gar gesteuert werde. In Deutschland als informeller Führungsmacht der EU gibt es diese Meinungen weiß Gott ebenso wie in den USA. Wo sie gerne in der Vorstellung münden, man müsse all diese Macht doch einfach nur mal nutzen, um die Welt auf amerikanische Linie zu bringen, und zack – schon fließen Milch und Honig für den ehrlichen, hart arbeitenden Durchschnittsamerikaner.

Wenn allerdings die Regierung selbst diesem Glauben aufsitzt und gegen die Grenzen ihrer Macht rennt, hat SNAFU Aussichten, zu FUBAR zu werden. Denn wo diese Grenzen sichtbar werden, verlieren Systemkonkurrenten und strategische Gegner ihre Scheu, ihrerseits zu diesen vorzurücken. Und zeigt sich der Kaiser erst ohne Kleider, kann er in der heutigen Welt damit rechnen, dass jeder die Handybilder davon sieht. Schon die erwähnte Regierung George W. Bush verfiel bekanntlich der Vorstellung, man könne den ganzen Nahen und Mittleren Osten nach Gutdünken umgestalten, mit oder ohne Verbündete. Und schon danach beschädigten selbstherrliches Verhalten gegenüber unbotmäßigen Verbündeten, die Verluste und schließlich Rückzüge des „Krieges gegen den Terror“ die amerikanische Rolle als westliche Führungs- und internationale Ordnungsmacht.

Die völlige Selbstdemontage der USA in dieser Rolle jedoch würde die internationale Ordnung seit dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Immerhin: Trumps Handelskrieg hat durch seine wirtschaftlichen Auswirkungen gegenwärtig noch die besten Aussichten, den Ukraine-Krieg zu beenden. Fällt der Ölpreis nämlich in Erwartung sinkender Nachfrage in einer Wirtschaftskrise weiter, geht Russland irgendwann das Geld dafür aus. Zwar hatte Trump dieses Prinzip selbst erwähnt, die eigene Wirtschaft zu ruinieren war aber vermutlich nicht Teil dieses Plans. Dafür spricht jedenfalls, dass sein Team mittlerweile nicht nur gegenüber Europa versöhnliche Töne anschlägt. Dazu nächste Woche mehr an dieser Stelle.

Stefan Axel Boes

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