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Beweglichkeit ist Sicherheit: Der EU-Aktionsplan 2.0 zur militärischen Mobilität drei Jahre später

Überprüfung des ersten europäischen Musterkorridors von den Niederlanden über Deutschland nach Polen durch eine Verlegeübung im September 2024. (Foto: Bundeswehr/Christian Prinzler)
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Wenn Rechnungshöfe Verteidigungsausgaben überprüfen, ist immer Vorsicht geboten. „Sicherheit“ ist ein Produkt, das sich schwer in Geldwerten beziffern lässt. Die dem Prinzip der Sparsamkeit zum Umgang mit Steuergeldern verpflichteten Rechnungsprüfer neigen so dazu, die Kosten von Entwicklungen zu kritisieren, die für den Soldaten im Gefecht durchaus einen Unterschied zwischen Leben und Tod oder schwerer Verwundung ausmachen können – und für Länder und Bündnisse über ihre Verteidigungsfähigkeit entscheiden. Natürlich ist das Beschaffungswesen anderseits auch von politischen und wirtschaftlichen Interessen beherrscht, die nicht unbedingt der günstigeren Lösung für die angestrebte Fähigkeit den Vorrang geben. Eine Korrekturinstanz ist also notwendig. Diese Widersprüche gilt es besonders zu bedenken, wenn Bewertungen von der EU-Ebene kommen, die gar keine originäre Zuständigkeit für Verteidigungsangelegenheiten hat.

Umso nachdenklicher stimmt der gerade erschienene Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes zur militärischen Mobilität in der EU. Mit diesem Aspekt hat sich Brüssel bereits nach den ersten russischen Angriffen auf die Ukraine 2014 eines Themas angenommen, das einerseits eine bedeutende Rolle bei der Rückversicherungspolitik der osteuropäischen Mitglieder sowohl von NATO als auch EU spielt, und für das es tatsächlich die Kompetenz besitzt. Damit reagierte sie auf Hinweise wie die des damaligen NATO-Oberbefehlshabers Ben Hodges, dass zwar der zivile Waren- und Personenverkehr in Europa weitgehend grenzenlos funktioniere, die Verlegung von Truppen und Militärmaterial aber immer noch auf politische und physische Grenzen stoße. Gefordert sei daher ein „Military Schengen“. Für die Funktion der Drehscheibe Deutschland gilt das ganz besonders.

Vorhaben der EU

Schon 2018 veröffentliche die Europäische Kommission einen Aktionsplan zur Verbesserung der militärischen Mobilität innerhalb der Union. Dieser umfasste die Ermittlung und Vereinbarung militärischer Anforderungen; die Bewertung der Verkehrsinfrastruktur für die militärische Nutzung; die Angleichung nationaler Verordnungen für Militärtransporte und der EU-Verkehrsverordnungen; eine Klärung von Zöllen und Mehrwertsteuern für militärische Güter; und die Erleichterung grenzüberschreitender militärischer Bewegungen. Nach der russischen Vollinvasion der Ukraine 2022 wurde dies zum „Mobilitätsplan 2.0“ erweitert: multimodale Korridore und Logistik-Drehkreuze sowie regulatorische Unterstützungsmaßnahmen – etwa durch die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen – sollten geschaffen, die Resilienz und Vorsorge vor Angriffen auf kritische Infrastrukturen und die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der NATO und strategischen Partnern verstärkt werden.

Was ist Sicherheit wert? Sitz des Europäischen Rechnungshofes in Luxemburg.
Was ist Sicherheit wert? Sitz des Europäischen Rechnungshofes in Luxemburg. (Foto: Euseson)

Für Verkehrsinfrastrukturprojekte mit doppelter zivil-militärischer Nutzung stellte die EU im Mehrjährigen Finanzrahmen für 2021 bis 2027 aus der Fazilität „Connecting Europe“ 1,5 Milliarden Euro bereit. Ursprünglich geplant waren 5,8 Milliarden, jedoch wurde der Haushalt zugunsten von COVID-Hilfen umgeschichtet. Hinzu kamen ab 2024 weitere 1,5 Milliarden Euro aus dem Europäischen Verteidigungsfonds. Letzterer stellt seit 2022 auch neun Millionen Euro für das Projekt Secure Digital Military Mobility System im Rahmen der Säule „regulatorische Unterstützungsmaßnahmen“ bereit. Für den nun erschienen Bericht überprüfte der Europäische Rechnungshof den Stand der militärischen Mobilität in der EU.

Viele Köche in Brüssel und anderswo

Wie er zunächst feststellte, gibt es in diesem Bereich zahlreiche überlappende Zuständigkeiten innerhalb und außerhalb der Union. Unter anderem der Europäischen Verteidigungsagentur EDA, der NATO, der einzelnen Mitgliedstaaten in den Organisationen und innerhalb des Projekts einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit zur militärischen Mobilität. Hinzu kommen überlappende Finanzierungen der verschiedenen und weiterer Akteure wie der Europäischen Investitionsbank, die im Rahmen ihrer acht Milliarden Euro schweren Strategischen Europäischen Sicherheitsinitiative ebenfalls entsprechende Projekte fördert. Es gebe, so der Rechnungshof, keine zentrale Funktion oder Stelle, die Tätigkeiten im Bereich der militärischen Mobilität in der EU koordiniert. Darüber hinaus stellte er unter anderem fest:

  • Die begrenzten EU-Mittel waren bereits vollständig eingesetzt, bevor die dringendsten Prioritäten bestimmt wurden.
  • Die Antragsteller im Rahmen von Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für die Fazilität „Connecting Europe“ und für militärische Mobilität sind häufig dieselben.
  • Die militärische Bewertung und die geostrategische Dimension wurden bei der Auswahl von Infrastrukturprojekten mit Doppelnutzung nicht ausreichend berücksichtigt.

Gemischte Ergebnisse

Insgesamt erkennt der Rechnungshof unterschiedliche Fortschritte bei den vier Säulen des Aktionsplans. Im Bereich „Multimodale Korridore und Logistik-Drehkreuze“ waren diese bei zentralen Maßnahmen auf EU-Ebene solide. Alle an die Mitgliedstaaten gerichteten Handlungsaufforderungen wurden umgesetzt. Bei den regulatorischen Unterstützungsmaßnahmen gab es immerhin noch einige Fortschritte auf EU-Ebene und gemischte Fortschritte bei den an die Mitgliedstaaten gerichteten Handlungsaufforderungen. Ersteres galt auch beim Thema „Resilienz und Vorsorge“, während der Erfolg der Anweisungen an die Mitgliedstaaten mangels klarer Kriterien nicht eindeutig bewertet werden konnte. Bei der partnerschaftlichen Dimension mit NATO und anderen Akteuren, die allein die EU-Ebene betrifft, gab es ebenfalls „einige“ Fortschritte. Im Ergebnis gibt der Bericht unter anderem folgende Empfehlungen ab:

  • Die Governance-Regelungen für die militärische Mobilität in der EU bis zum Ende des Jahres durch Bündelung der Koordinierung zu verbessern.
  • Maßnahmen zu ergreifen, um im Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2027 die Vorhersehbarkeit einer etwaigen Förderung der militärischen Mobilität zu verbessern.
  • Den Auswahlprozess für Infrastrukturprojekte mit Doppelnutzung im selben Rahmen zu verbessern.
  • Die Maßnahmen der EU im Bereich der militärischen Mobilität insgesamt zielgerichteter gestalten.

Endlich ein Rechnungshof, der mehr Sicherheit will

Zusammengefasst krankt die Umsetzung des Aktionsplans an zu geringen Mitteln, ungenauen Kriterien und mangelnder Koordination. Angesichts der eingangs erwähnten Tendenz von Rechnungshöfen, zu geringe Ergebnisse für zu viel Ausgaben zu beklagen, ist das bemerkenswert. Zyniker mögen einwenden, dass der Bericht der Tradition aller Bürokratien folgt, vor allem den eigenen Kontrollbedarf zu erhöhen. Dennoch sollte man auch sein Lob insbesondere im besonders praxisrelevanten Bereich „Multimodale Korridore und Logistik-Drehkreuze“ wahrnehmen. Hier sind drei von fünf Maßnahmen auf der EU-Ebene abgeschlossen – wenn auch eine mit Verzögerung – und die beiden übrigen im Gange. Auf Ebene der Mitgliedstaaten können sogar alle Anweisungen als umgesetzt gelten. Ergebnisse sind etwa mit der Einrichtung des ersten Musterkorridors von den Niederlanden über Deutschland nach Polen sichtbar.

Daraus ergibt sich: die EU kann durchaus eine wichtige Rolle in der europäischen Sicherheit spielen. Was fehlt, ist ein entsprechender Fokus, der Mittel und Kräfte dafür priorisiert. Das liegt sicherlich teilweise daran, dass eine allzu große Rolle der Union in der Verteidigungspolitik – erst recht als mögliche Konkurrenz zur NATO – von den Mitgliedstaaten gar nicht gewollt ist. Insofern muss die Rolle, die sie neben und ergänzend zur NATO spielen kann, klar definiert, anerkannt und implementiert werden. Das ist eine Zielsetzung, die in der Säule „partnerschaftliche Dimension“ des Aktionsplans umzusetzen wäre. Und daraus folgt vermutlich: bevor mehr Geld, schärfere Kriterien und klare Verantwortlichkeiten für die Verbesserung der militärischen Mobilität in Europa zur Verfügung gestellt werden, müssen zunächst hier die Hausaufgaben erledigt sein.

Stefan Axel Boes

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