Interview mit Andreas Seitz, Geschäftsführer der TDW Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme mbH
Sehr geehrter Herr Seitz, vor welchen großen Herausforderungen steht die TDW? In den vergangenen Jahren hatte die TDW stabile Jahresumsätze bei steigenden Auftragseingängen. Die Umsatzplanungen zeigen jetzt deutlich nach oben, zusätzlich verstärkt durch die Entwicklungen in der Ukraine. Die TDW startet in eine rasche Wachstumsphase und wird sich voraussichtlich auf einem deutlich höheren Umsatzniveau einfinden. Wir sehen eine gestiegene Nachfrage in unserem Kerngeschäft. Sie betrifft eine Vielzahl von Produkten: Naval Strike Missile NSM, Brimstone, Meteor, Enforcer, Rolling Airframe Missile RAM. Darüber hinaus ergeben sich aktuell Möglichkeiten, direkt in das Endkundengeschäft einzutreten, dafür ist die Panzerabwehrrichtmine PARM ein gutes Beispiel. Wir stehen vor der Herausforderung, Entwicklungs-, Produktions- und Lieferzyklen deutlich zu beschleunigen, um den Sicherheitsinteressen Deutschlands und alliierter Nationen gerecht zu werden. Neben der Leistungserbringung stehen vor allem die Erweiterung der Produktionsflächen und der Ausbau der Fertigungskapazitäten im Fokus. Das erfordert Investitionsbedarf in Anlagen, Personalaufbau und Bevorratung von Rohstoffen. Für uns sind Beauftragungen über kontinuierliche Fertigung und damit Planungssicherheit entscheidend. Nur so können wir gemeinsam mit unseren Partnern unseren Wachstumspfad erfolgreich beschreiten. Insgesamt sehen wir den Faktor Zeit als den entscheidenden Treiber in unserem Geschäftsumfeld. Dies hatte zuletzt ja auch der Verteidigungsminister in seiner Weisung an die unterstellten Bereiche deutlich gemacht. Das ist eine wesentliche Änderung der Rahmenbedingungen für die TDW, der wir uns stellen und zu der wir einen aktiven Beitrag leisten wollen.
Welche Ziele und Schwerpunkte setzen Sie als neuer Geschäftsführer? Ich bin seit 1. Juli 2023 in der Verantwortung als Geschäftsführer. Ich setze in bestem Einvernehmen mit meinem Vorgänger, wo immer möglich, auf Kontinuität. Der Fokus verlagert sich allerdings maßgeblich in Richtung Landes- und Bündnisverteidigung. Das erfordert eine grundlegende Anpassung des Geschäftsablaufes. Höhere Stückzahlen bei gleichzeitiger Kostensensitivität sind von herausragender Bedeutung. Aktuell ist Geschwindigkeit, Verfügbarkeit und Aufbau der Industrieressourcen das Gebot der Stunde. Ein besonderer Fokus liegt auch bei uns auf Absicherung und Ausbau der Lieferketten. Wir haben die Risiken der Zulieferketten analysiert und Maßnahmen eingeleitet, um die Produktion abzusichern. Nichtsdestotrotz ist die Rüstung genauso wie die gesamte Industrie von Engpässen betroffen, beispielsweise auf dem Halbleitermarkt. Zusätzlich muss die Produktionskapazität für rein militärische Ausgangsmaterialien wie Sprengstoffe in der gesamten westlichen Welt, insbesondere in Europa, ausgebaut werden, um Einsatz- und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte zu sichern. Der Markt wird Jahre brauchen, bis er sich auf einem höheren Nachfrageniveau eingependelt hat. Investitionen in neue Anlagen und Fertigungsstätten brauchen eine lange Vorlaufzeit, bis sie ihre Wirkung entfalten. Bis dahin sind wir industrieseitig gezwungen, finanziell in Vorleistung zu gehen, um große Vorräte zu sichern oder überhaupt beliefert zu werden. Das funktioniert nur, wenn wir unsere Produkte auch verkaufen können. Stichwort Export, Rahmenverträge mit langfristigen Abnahmezusicherungen des Amtskunden sind für uns immens wichtig. Rahmenverträge sind nicht gleichzusetzen mit einseitig durch den Kunden auslösbaren Bestelloptionen, wie dies derzeit mitunter umgedeutet wird. Mittel- und langfristig werden aber auch Verbesserungen und Weiterentwicklungen notwendig, alleine schon, um die Stückkosten mit effizienten Fertigungsverfahren moderat zu halten. Dabei werden wir auf Wiederverwendung, Modularität und Design to Cost setzen.
Sie erwähnten die Panzerabwehrrichtmine PARM. Also gewissermaßen „Zurück in die Zukunft“? Der Überfall Russlands auf die Ukraine zeigt eindrücklich die Rückkehr des klassischen Krieges in Europa auf. Damit einher gehen operative und taktische Lagen, die eine Ausstattung von Streitkräften erfordern, die heute oft nicht mehr in der Bundeswehr und dem westlichen Bündnis gegeben ist. Eines dieser Felder ist die Möglichkeit, Sperren anzulegen. Die Bundeswehr hat ebenso wie die meisten NATO-Partner in diesem Bereich nahezu alle Fähigkeiten abgegeben und keine Weiterentwicklung betrieben. Die Erfahrung der Ukraine zeigt, dass die Möglichkeit zum Anlegen von Sperren unverzichtbar für die mobile Gefechtsführung ist. Hier leistet die PARM einen Beitrag in der Ukraine. Die Waffe wirkt, so das Feedback aus der Ukraine. Besonders hervorgehoben werden die einfache Bedienbarkeit und die hohe Wirkung im Ziel. Für die Anforderungen etwa der Leichten Kräfte oder der notwendigen Ausrüstung einer kampfstarken Brigade für Litauen kann die einsatzbewährte PARM einen Beitrag zur wirkungsvollen Verteidigung leisten, sofern sie in ausreichender Stückzahl beschafft wird. Wir sind überzeugt, dass wir mit der PARM ein hervorragendes Sperrmittel zur Verfügung stellen können, um einen feindlichen Vormarsch wirkungsvoll zu verhindern. Zudem ist die PARM aufgrund ihres modularen Aufbaus zukunftsfähig, indem neue Sensoriken und die Fähigkeit zu Schärfung und Entschärfung über Fernsteuerung eingebracht werden. Dadurch wird auch eine Reichweitensteigerung möglich. Die Verhandlungen für eine Ersatzbeschaffung der abgegebenen PARM sind weit fortgeschritten, eine Beauftragung noch in diesem Jahr ist beabsichtigt.
Woran arbeiten Sie aktuell? Zunächst vorweg die grundsätzliche Anmerkung, dass sich die Wirksysteme der TDW jeweils in Gefechtskopf- und Zündsysteme unterteilen. Die TDW hat bereits vor der Zeitenwende maßgeblich in moderne Zündsysteme, die sogenannten Electronic Safe and Arm Devices (ESAD), investiert. Diese elektronischen Sicherungsvorrichtungen stellen ein Schlüsselelement für das dynamische Gefechtsfeld der Zukunft dar. Unsere ESADs wurden so entwickelt, dass sie nach voreingestellten Kriterien in einen „Sicher“- Zustand zurückfallen. Nicht genutzte Wirksysteme wie netzwerkfähige Panzerabwehrrichtminen, Loitering Munition oder Drohnenschwärme können somit bei Bedarf wieder gesichert werden. So können zum Beispiel eigene Kräfte sicher passieren oder die Wirkmittel können ohne Risiko geborgen oder weiterverwendet werden. Bei der Gefechtskopftechnologie fokussieren wir uns insbesondere auf die Steigerung der Wirkung. Unsere Zielsetzung ist es, bei gleicher Leistung kleiner zu bauen oder die Wirkung bei vorgegebenem Volumen zu erhöhen. Bei Flugabwehrgefechtsköpfen ist es uns gelungen, durch reaktive Materialien eine deutliche Steigerung der Wirkung im Ziel zu erreichen. Bei den auf Tandem-Hohlladungstechnologie basierenden Panzerabwehrgefechtsköpfen sind wir in der Lage, aus sehr kleinen Volumina sehr gute Durchschlagsleistungen auch gegen moderne reaktive Panzerungen zu erzeugen. Damit sind wir exzellent im Bereich der Anwendung für schultergestützte Waffen oder für Loitering Munition positioniert. Einen Ritterschlag hat die TDW Ende des vergangenen Jahres erhalten, als unser Konsortium NewHEAT im Rahmen des European Defense Fund ausgewählt und beauftragt wurde. Wir sind sehr stolz darauf, hier als Konsortialführer zusammen mit unseren nationalen und internationalen Partnern einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gefechtskopftechnologie in Europa zu leisten. Wir sehen uns technologisch für die Zukunft bestens aufgestellt, würden uns aber natürlich mehr Ambition bei neuen Entwicklungsprojekten aus Deutschland wünschen, damit wir diese Spitzentechnologie auch in Produkte umsetzen können.
Technologisch sind Sie gut aufgestellt. Aber wie sieht es denn mit den Chancen auf dem Weltmarkt aus? Wir verstehen uns bei TDW als europäisches Unternehmen mittelständischer Prägung mit Sitz in Deutschland. Wir liefern Gefechtskopfsysteme an die namhaften europäischen Lenkwaffenhersteller. Unsere hohe Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit sind auf dem Weltmarkt gefragt. Die andere Seite der Medaille sind nationale Exportregularien, die im Gegensatz zu den Exportstandards unserer europäischen Partner stehen. Die Lenkwaffen- Systemhäuser, unsere Kunden, sind auf zuverlässige und vorhersehbare Exportmöglichkeiten angewiesen. Sie verfolgen zunehmend eine „German- Free-Politik“. Entwicklungen von ausländischen Partnerunternehmen, ganz gezielt ohne deutsche Beteiligung, sind inzwischen auf der Tagesordnung. Letztlich gehen damit Marktanteile für deutsche Unternehmen verloren, was letztlich die Konsolidierung und Stärkung der Rüstungsindustrie in Deutschland und Europa behindert.
Sehr geehrter Herr Seitz, vielen Dank für die interessanten Informationen und viel Erfolg in Ihrer neuen Aufgabe!
Das Interview führte Burghard Lindhorst.