Ausrichtung und Strukturen der ABC-Abwehr
Von Oberstleutnant Hendrik Herbst, ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr
Im Krieg sterben Menschen“ und „Krieg ist gefährlich“ sind auf den ersten Blick verharmlosend wirkende Aussagen, jedoch auch traurige Gewissheiten, die für uns als Soldaten im letzten Jahrzehnt wieder mehr in den Fokus gerückt sind.
Sie sind aber auch Ausdruck dessen, welch hohen Preis die notwendige Neuausrichtung auf Landesund Bündnisverteidigung hat und haben muss. Der militärische Auftrag steht im Mittelpunkt. Risiken für den Einzelnen können dabei nicht ausgeschlossen werden, ihnen muss aber weiterhin bestmöglich begegnet werden. Das bedeutet in vielen Bereichen ein Umdenken: eine Zeitenwende. Die Begriffe „Kaltstartfähigkeit“ und „Kriegstauglichkeit“ drücken Anforderungen an das komplexe System Bundeswehr aus, zu deren Erfüllung noch viel Wille, Tatkraft und Ressourcen erforderlich sind. Darüber hinaus verwischen zusehends die Grenzen zwischen Frieden und Krieg. Hybride Bedrohungen existieren bereits, wenn rechtlich noch kein Krieg herrscht, faktisch aber auch kein Frieden mehr ist. Befeuert wird diese Entwicklung durch den rasanten technologischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte. Die mit fortschreitender Digitalisierung verknüpfte stärkere Vernetzung aller Lebensbereiche ermöglicht folgenschwere Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur sowie eine schnelle und unkontrollierbare Weitergabe von Wissen und Technologie, die durch staatliche und nichtstaatliche Akteure auch missbräuchlich verwendet werden können. Mit der Verfügbarkeit des 3D-Drucks können diese zudem in vielen Bereichen recht einfach in konkrete Bauteile umgesetzt werden. Eine der dadurch verstärkten Bedrohungen in Frieden, Krise und Krieg ist die Verfügbarkeit und Freisetzung atomarer, biologischer oder chemischer Kampf- oder Gefahrstoffe. Für die ABC-Abwehr innerhalb der Bundeswehr ist seit seiner Aufstellung im April 2013 das in Bruchsal stationierte ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr als Fähigkeitskommando der Streitkräftebasis verantwortlich.
Es hat den Kernauftrag, die Streitkräfte als Joint Enabler dabei zu unterstützen, ihren Auftrag auch durchführen zu können, wenn mit einer beabsichtigten oder unbeabsichtigten Freisetzung von ABC-Kampf- oder Gefahrstoffen zu rechnen ist (ABC-Bedrohung) oder diese durch ein ABC-Ereignis bereits stattgefunden hat (ABCBedingungen). Die Art der Freisetzung, ob durch einen gegnerischen Angriff mit einem neuartigen chemischen Kampfstoff, durch einen Cyberangriff auf einen Industriepark oder durch den versehentlichen Beschuss eines Kernkraftwerkes, ist dabei nachrangig. Es geht um das Reduzieren der eigenen Verwundbarkeit durch präventive und reaktive Maßnahmen, um die militärische Handlungsfreiheit zu erhalten. Damit die ABC-Abwehrmaßnahmen zur richtigen Zeit dort wirken können, wo sie benötigt werden, existiert in der Bundeswehr ein abgestuftes System ABC-Abwehr mit drei Befähigungsstufen: Basisbefähigung, Erweiterte Befähigung und Qualifizierte Befähigung. Die der Basisbefähigung ABC-Abwehr zugeordneten Tätigkeiten müssen durch alle Angehörigen des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung durchgeführt werden können.
Die der Erweiterten Befähigung zugeordneten ABC-Abwehraufgaben werden durch zusätzlich ausgebildete Soldatinnen und Soldaten in allen Einheiten, Verbänden und Dienststellen aller Organisationsbereiche sowie auf Kriegs- und Hilfsschiffen gewährleistet: das sogenannte ABC-Abwehrdienstpersonal. Dieses Personal, beispielsweise der Kompanietruppführer einer Panzerkompanie als ABC-Abwehrdienstfeldwebel oder der/die stellvertretende Kommandeur/-in eines Artilleriebataillons als ABCAbwehrdienstberater/- in, nimmt die ABC-Abwehraufgaben in Zweitbefähigung wahr. Die qualitative Spitze des Systems ABC-Abwehr stellen mit der Qualifizierten Befähigung neben Kräften im Heer und im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr im Wesentlichen die im ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr außerhalb der Dimensionen zentralisierten ABC-Abwehrkräfte der Bundeswehr dar. Dabei handelt es sich um die hauptamtlichen „ABCisten“ mit fachlich hervorragend ausgebildetem Personal und modernstem Material. Das ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr stellt derzeit aus drei verminderten Verbänden heraus einsatzbereite Kräfte, insbesondere für die drei Kernfähigkeiten ABC-Abwehrberatung, ABC-Aufklärung und Dekontamination.
ABC-Abwehrberatung, ABC-Aufklärung und Dekontamination
Die zentrale Fähigkeit der ABC-Abwehr ist die ABCAbwehrberatung. Deren Herz schlägt im Lagezentrum des ABC-Abwehrkommandos, in dem unter anderem die ABC-Lage geführt und ABC-Bedrohungs- und Risikoanalysen für die operative und militärstrategische Ebene durchgeführt werden. Es ist zudem Anknüpfungspunkt für fachlich verwandte zivile Einrichtungen wie die Bundesämter für Strahlenschutz, Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe oder das Robert Koch-Institut sowie für die ABC-Abwehroffiziere und -stabsoffiziere, die als ABC-Abwehrberater und -beraterinnen in den Zellen ABC-Abwehr von Großverbänden und Kommandostäben eingesetzt sind und dort die Truppenführerinnen und Truppenführer in allen Angelegenheiten der ABC-Abwehr beraten. Die ABC-Abwehrberatung nimmt dabei die Ergebnisse der ABC-Aufklärung oder des ABC-Melde- und Warndienstes auf, bewertet diese und übersetzt sie in einen militärischen Ratschlag z. B. zum Einsatz von Dekontaminations- oder weiteren ABC Aufklärungskräften. ABC-Aufklärungskräfte erkunden Bedrohungspotenziale mit ABC-Bezug wie kritische Infrastruktur, überwachen besonders schützenswerte Räume und Einrichtungen bei ABC-Bedrohung. Sie detektieren und identifizieren freigesetzte ABC-Kampf und Gefahrstoffe nach einem ABC-Ereignis und tragen gegebenenfalls dazu bei, dessen Herkunft zu bestimmen. Des Weiteren markieren und überwachen sie die Kontamination im Gelände.
Sie gewinnen Informationen und tragen damit zur Verdichtung des Lagebildes sowie zur schnellen und zutreffenden Warnung und Alarmierung eigener und verbündeter Kräfte bei. Dekontaminationskräfte beseitigen Kontamination von Personal, Material und Infrastruktur oder reduzieren die Menge der Kontamination zumindest auf ein Maß, das das Weiterführen einer militärischen Operation möglich macht. Über die Kräftegestellung hinaus macht das ABCAbwehrkommando der Bundeswehr fachliche Vorgaben für die ABC-Abwehr in der Bundeswehr. Solche Vorgaben haben Einfluss auf viele Prozesse wie z. B. die funktionalen Forderungen an Wehrmaterial. So soll die spezielle ABC-Härtung von Wehrmaterial unter anderem gewährleisten, dass dieses gegen die Einwirkung von ABC-Kampf- und Gefahrstoffen, gegen die Wirkung von Kernwaffenexplosionen und gegen Dekontaminationsmittel resistent ist sowie unter ABC-Bedingungen funktionstüchtig und bedienbar bleibt. Eine Vorgabe, deren Berücksichtigung im Falle eines ABCEreignisses essenziell für die Durchhaltefähigkeit der Kräfte und die Operationsführung an sich ist, auch wenn damit ggf. höhere Kosten bei Rüstungsprojekten einhergehen.
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