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Wehrbereitschaft und Wehrpflicht: Bevölkerungsbefragung 2024

Die Bevölkerungsumfrage 2024 beantwortet unter anderem Fragen zur Wehrpflicht und Wehrbereitschaft im Zuge der gestiegenen Bedrohungswahrnehmung durch Russland. (Foto: Bundeswehr/Tom Twardy)
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Antworten auf Fragen zu Wehrbereitschaft und Wehrpflicht lieferte kürzlich wieder die jährliche Bevölkerungsbefragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Festzustellen ist zunächst, dass sich das Bedrohungsgefühl der Deutschen seit dem Anstieg nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 wenig geändert hat. Im Vergleich zur „Vorkriegszeit“ ist der Anteil derer, die die Lage für sich persönlich, für Deutschland und die Welt mehr oder weniger sicher einschätzen, deutlich gesunken. Unverändert empfinden etwa zwei Drittel der Befragten insbesondere Russland als Bedrohung. Nach einer leichten Entspannung im letzten Jahr sind diese Unsicherheitswerte mit der generellen Rückkehr der Initiative im Ukraine-Krieg auf die russische Seite sogar wieder um einige Prozentpunkte gestiegen.

Gleiches gilt für die Zustimmung zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben und des Personalumfangs der Bundeswehr (knapp 60 Prozent gegenüber weniger als 20 vor dem Ukraine-Krieg) sowie zur NATO-Mitgliedschaft und Bündnissolidarität Deutschlands. Obwohl letztere im Vergleich am schwächsten ausgeprägt bleibt, stimmen aktuell immerhin 51 Prozent einer militärischen Unterstützung der baltischen Staaten gegen Russland zu – gegenüber einem Tiefpunkt von 24 Prozent 2018. Auffällig dabei ist, dass nur 22 Prozent angeben, viel oder sehr viel über die Mission der Bundeswehr in Litauen zu wissen, 32 Prozent aber gar nichts.

Wehrpflicht wird mit zunehmendem Alter populärer

Nun ist es bekanntlich immer einfach, höheren Ausgaben oder mehr Engagement für ein bestimmtes Politikfeld zuzustimmen, solange der Befragte sich selbst nicht davon betroffen wähnt. Das gilt regelmäßig für die Frage nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die mit zunehmendem Alter populärer wird. Etwas beliebter bleibt das Modell einer allgemeinen Dienstpflicht, ungeachtet der Zweifel an der Vereinbarkeit mit nationalen, europäischen und internationalen Bestimmungen. Diese betrachten die Wehrpflicht wegen ihrer Bedeutung für die Landesverteidigung grundsätzlich als einzige Ausnahme vom Verbot der Zwangsarbeit.

Lässt man die Frage der Wehrpflicht beiseite, ist die erklärte persönliche Bereitschaft zur Landesverteidigung auch unter jungen Menschen durchaus ausgeprägt. 60 Prozent der Männer im Alter von 16 bis 29 und 63 Prozent derer von 30 bis 49 Jahren würden demnach Deutschland im Fall eines Angriffs mit der Waffe verteidigen wollen. Gleiches gilt für 21 Prozent aller Frauen unter 50. Bei einer Jahrgangsstärke von jeweils etwa 350.000 Männern und Frauen mit deutscher Staatsbürgerschaft in den kommenden Jahren wären das theoretisch 280.000 Wehrwillige in jeder Abschlussklasse. Allein damit wäre der künftig als notwendig betrachtete Verteidigungsumfang von 460.000 Männern und Frauen erreicht. Also alles gar kein Problem?

Theorie und Praxis der Wehrbereitschaft

Wie stets bei hypothetischen Fragen ist Vorsicht geboten. Zunächst bezieht sich die hier gestellte ausdrücklich auf einen Angriff auf Deutschland, nicht den Bündnisfall. Selbst dann würde es sich der eine oder die andere in der konkreten Situation sicher noch einmal überlegen, wirklich zu den Waffen zu greifen oder lieber doch aus dem Land zu fliehen, wenn die Wahl bestünde. Nicht jeder, der es wirklich wollte, wäre auch tauglich. Und schließlich sind Scharen von unausgebildeten Freiwilligen, die sich erst im Moment des tatsächlichen Angriffs melden, zunächst einmal von eher geringem Wert. Während also die grundsätzliche Wehrbereitschaft begrüßenswert ist, muss sie in geregelte Bahnen für den Aufbau eines einsatzfähigen Potenzials gelenkt werden.

Gelöbnisveranstaltung am Tag der Bundeswehr 2023 in Bruchsal.
Nur Wehrdienst oder auch Wehrpflicht? Gelöbnisveranstaltung am Tag der Bundeswehr 2023 in Bruchsal. (Foto: Bundeswehr/Roland Alpers)

Das bislang geplante Modell des „neuen Wehrdienstes“ bietet sich dazu theoretisch gut an. Im Vergleich zu 280.000 Freiwilligen auf einen Schlag soll es, den gegenwärtigen Unterbringungs- und Ausbildungskapazitäten der Bundeswehr angepasst, im kommenden Jahr mit zunächst 5.000 Stellen starten. Angesichts der gemessenen Wehrbereitschaft im Angriffsfall scheint das durchaus erreichbar, wenn alle 18-jährigen konkret mit der Frage konfrontiert werden. Immerhin können sich der Bevölkerungsbefragung zufolge unabhängig vom konkreten Szenario auch 29 Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen von 16 bis 29 „vorstellen“, zumindest zeitweise in der Bundeswehr zu dienen.

Nach Ampel-Aus: Jetzt doch Wehrpflicht?

Dass dies bei den Männern eine erhebliche Steigerung gegenüber den Vorjahren darstellt, ist vielleicht die eigentliche Nachricht. Schon vor dem Ukraine-Krieg war das Interesse unter diesen Wert gesunken und verharrte in den letzten beiden Jahren bei 19 Prozent. Inwieweit das Bedrohungsgefühl, die Bemühungen um den Wiederaufbau militärischer Fähigkeiten oder vielleicht schlicht die schwierige wirtschaftliche Situation zur jetzigen Steigerung beigetragen haben, ist allerdings fraglich. Tatsächlich ist gleichzeitig seit 2022 der Anteil derjenigen gesunken, die die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber betrachten – bei Männern von 47 auf 37 Prozent.

Dennoch: Selbst nach Abzug aller Unsicherheitsfaktoren scheint es realistisch, die von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius schließlich erhofften zusätzlichen 10.000 Freiwilligen pro Jahrgang auf diesem Wege zu gewinnen. Zumal in seinem Modell der sechsmonatige Grundwehrdienst im Heimatschutz als Wahlmöglichkeit ein niedrigschwelliges Angebot ist, das sich schon bislang eines großen Interesses erfreut. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil die regionale Organisation naheliegende Dienstorte verspricht und Menschen dazu neigen, am ehesten das zu verteidigen, was ihnen am nächsten liegt: die Heimatstadt wahrscheinlicher als das ganze Land oder ein ganzes Bündnis.

Nach dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition ist die Umsetzung von Pistorius‘ Plänen allerdings fraglich. Aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hieß es, man wolle vor einer Neuwahl nicht mehr mit SPD und Grünen für den kurz zuvor noch vom Kabinett dazu beschlossenen Gesetzentwurf stimmen. Die Union wolle eine echte Wehrpflicht und keinen unverbindlichen Fragebogen, die Zeiten seien zu ernst für politische Formelkompromisse. Allerdings verzögert sich damit absehbar auch der im Entwurf enthaltene Wiederaufbau von Wehrerfassung und -überwachung, möglicherweise um ein ganzes Jahr. Ob und wann sich die gestiegene Wehrbereitschaft künftig in Freiwilligenzahlen oder der Entscheidung zwischen Wehr- und Zivildienst im Rahmen einer neuen Wehrpflicht ausdrückt, bleibt damit abzuwarten.

Stefan Axel Boes

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