Die Beweggründe hinter den seit einigen Jahren von mehreren multinationalen Herstellerkonsortien verfolgten Projekten zu Luftkampfsystemen der sogenannten 6. Generation lassen sich graduell wie folgt skizzieren: Es gilt, in künftigen Szenarien militärischer Auseinandersetzungen zwischen etwa gleich starken Gegnern (Near Peer) das durch fortschrittliche Luftabwehr- und Flugkörpersysteme getragene Verweigern des Eindringens in Luftraum, Land oder – speziell im Pazifik – zur See (Anti- Access/Area Denial, kurz: A2AD) zu überwinden.
Westliche Militärs beziehungsweise speziell die USA betrachten zum Beispiels Aufrüstung speziell mit A2AD-Wirkmitteln als ansteigende Bedrohung, etwa im Hinblick auf mögliche Auseinandersetzungen rund um Taiwan. Und in der Ukraine – wenn auch auf niedrigerer Ebene – wird A2AD bereits gelebt, indem westliche Luftabwehr wie Patriot, IRIST- SLM oder NASAMS die russische taktische Luftwaffe weitgehend von der Ukraine fernhält und zur immer noch zerstörerisch wirksamen Verwendung von Abstandswaffen wie Marschflugkörper oder Gleitbomben zwingt. Kollaboratives Ganzes In den abgeleiteten Konzepten sind sonders ähnliche Philosophien dominant.
Es zeichnen sich (doch noch immer) bemannte, von der äußeren Form schwer erfassbare (Stealth) Mehrzweckmuster von – ob der gesuchten Reichweiten – offenbar beachtlicher Größe beziehungsweise Masse und Nutzlast ab. Sie bringen gänzlich neue (auch Laser-)Waffen, Sensoren, Triebwerke (eventuell mit variablem Strömungszyklus) sowie Netzwerkarchitektur- und Gefechtsmanagement mit KI-Unterstützung mit sich. Letztere soll in Kooperation mit unbemannten bewaffneten Plattformen als zur Abnutzung gegnerischer Schlüsselelemente (AWACS, Tanker, EW/SIGINT-Flugzeuge etc.) vorausgeschickte kollaborierende „Wingmen“-Kampfdrohnen (CCA) wirken. Vielleicht bedingt all das bezüglich Arbeitsbelastung sogar wieder einen zweiten Menschen im Cockpit.
Hat China alle überholt?
Während die hier in Folge betrachteten vier gegenständlichen Projekte in USA und Europa noch Jahre vom Erstflug entfernt sind, kommt die frischeste „Sensation“ in diesem künftigen – und teuren – Segment aus dem in allen Bereichen an die Spitze strebenden China: nicht einer, sondern gleich zwei ostentativ am 26. Dezember am hellen Tag, über dicht besiedeltem Gebiet für jedermann sichtbar bereits fliegende Prototypen. Geht diese vom Zensurstaat China bewusst nicht unterbundene hundertfache Verbreitung in sozialen Medien mal in Richtung Serie, wäre das ein gewaltiger Sprung an die Spitze des globalen Kampfflugzeugbaus. Jene (vorläufig unbestätigt) J-36 und J-50 genannten Nurflügler ohne jegliche vertikalen Steuerflächen dürften innen wohl noch ziemlich „leer“ sein, und operationelle Nutzung ist wohl erst gegen 2030 denkbar, aber immer noch lange vor allen anderen.
Die kleinere und zweistrahlige Shenyang J-50 ist noch sehr wenig analysiert und vielleicht ein Marineflieger- Konzept, aber das massive Delta J-36 von Chengdu mit rund 50 Grad Anfangs-Pfeilwinkel ist sichtlich ein für große Flughöhen, Reichweiten und Geschwindigkeiten ausgelegter Entwurf mit wohl reichlich internem Treibstoff und offenbar vier geräumigen Waffenschächten mit mittig rund sieben Meter Länge. Es erreicht seine Beweglichkeit um die Hoch- beziehungsweise Längsachse durch ganze zwölf Klappen an der Delta-Hinterkante, wobei die äußeren vier als große Spreizklappen-Querruder wirken. Und die errechnet wohl 45 Tonnen (MTOW) schwere und wahrscheinlich – Stichwort Arbeitsbelastung – zweisitzige Angriffsplattform bedingt sogar das weitere Novum von drei Triebwerken. Augenfälligstes Merkmal an der J-36 ist daher auch der Stealth-Lufteinlauf für das mittlere Triebwerk auf dem Rumpfrücken. Das Gerät ist deutlich für ein Luftdominanz- Szenario im Netzwerk-Flugkörperkampf über große Entfernungen gemacht, gegen Multiplikatoren wie AWACS, Tanker und EW/SIGINT-Maschinen. Aber auch mit Seezielflugkörpern gegen Flugzeugträger sowie Marschflugkörper gegen pazifische Luftbasen.
Der NGAD der Amerikaner
Genau dafür werden aber ebenso die europäischen beziehungsweise das amerikanische Pendant, genannt NGAD (Next Generation Air Dominance), geplant – und das seit dem 26. Dezember nun wohl mit mehr Motivation. Jenen potenziellen Ersatz für die 2009 auf nur 187 Stück begrenzte F-22A der U.S. Air Force (USAF) hat noch kein Unberufener gesehen, er soll aber im Geheimen entwickelt und – eventuell mit bis zu drei Demonstratoren – im Südwesten der USA auch schon vor oder seit Jahren geflogen sein.