Höre ich „historisch“, entsichere ich meine Friedenstruppe

Winke mit diversen Zaunpfählen: Die Präsidenten Wladimir Putin und Donald Trump eingerahmt von Tarnkappenjägern F-22 in Alaska.
Winke mit diversen Zaunpfählen: Die Präsidenten Wladimir Putin und Donald Trump eingerahmt von Tarnkappenjägern F-22 in Alaska. (Foto: picture alliance/ap/Julia Demaree Nikhinson)

In Situationen, die schon zu ihrer Zeit als historisch bezeichnet werden, neigt der Mensch ja zu historischen Zitaten. Wobei viele davon möglicherweise nie so gesagt wurden – oder jedenfalls nicht von der Persönlichkeit, der sie zugeschrieben werden. Eines dieser Bonmots über Frankreich im Absolutismus lautet: „Der mächtigste Mann im Land ist immer der, der zuletzt mit dem König gesprochen hat.“ Es bezog sich auf die Beeinflussbarkeit der diversen royalen Ludwigs durch konkurrierende Berater. Wer den König von seinen Vorstellungen überzeugen konnte, konnte auch auf deren Umsetzung qua absolutistischer Machtfülle hoffen. Natürlich nur so lange, bis der Konkurrent seine eigene Audienz hatte. Wenn das nicht echt ist, müsste man es für den gegenwärtigen US-Präsidenten eigens erfinden, wie jüngste Gipfeltreffen wieder gezeigt haben.

Zuerst trafen sich Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska. Nachdem Trump langsam zu realisieren schien, dass der Kremlherrscher kein wirkliches Interesse an einem Frieden in der Ukraine hat und mit Sanktionen drohte, ließ letzterer sich auf diesen von dem Amerikaner schon lange gewünschten Gipfel ein. Bekanntlich war Trump ja immer der Auffassung, er könne diesen Krieg in Nullkommanichts durch einen im persönlichen Gespräch erzielten Deal beenden. Da ihn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in mal mehr, mal weniger gelungenen Treffen von seiner Verhandlungsbereitschaft überzeugen konnte, lief Putin nun Gefahr, neue amerikanische Maßnahmen auf sich zu ziehen. Kein Problem, dachte der sich vermutlich: spreche ich halt mit Trump, und der frisst mir wieder aus der Hand wie 2018 in Helsinki.

Willkommen ist, wenn Bomber fliegen

Damals hatten beide sich bei einem bilateralen Gipfel zu einem Vier-Augen-Gespräch zurückgezogen, bei dem sonst nur noch ein russischer Dolmetscher anwesend war und keine Notizen gemacht wurden. Danach erklärte Trump unter anderem, laut Putin hätte Russland sich nicht wie ihm vorgeworfen in den vorangegangen US-Wahlkampf eingemischt, und warum sollte es das auch. Der Russe konnte also guter Dinge nach Alaska fliegen – ehemals russischer Boden, wie heimische Medien sorgfältig vermerkten. Zumal bereits die Einladung an sich den zuvor vom Westen Isolierten und mit internationalem Haftbefehl Gesuchten auf Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten stellte. Sein Außenminister Sergei Lawrow setzte noch einen drauf und trat mit UdSSR-Shirt auf. Genauso gut hätte er draufschreiben können: die Sowjetunion ist zurück, Yankees.

Natürlich winkte auch Trump mit dem machtpolitischen Zaunpfahl. Er ließ erstmal einen Stealth-Bomber vom Typ B-2 über Putins Kopf fliegen, wie er kürzlich zu Moskaus Missfallen noch iranische Atomanlagen bombardiert hatte. Dann fuhr die Kolonne mit den Präsidenten an einer endlosen Reihe von Tarnkappenjägern F-22 vorbei. Die militärische Überlegenheit der USA, sollten sie jemals in den Ukrainekrieg eingreifen, stand also unmissverständlich zur Schau. Erst kürzlich hatte Trump sich von den üblichen russischen Nukleardrohungen unbeeindruckt gezeigt, als er Ex-Präsident Dmitri Medwedew – mittlerweile als stellvertretender Leiter des russischen Sicherheitsrates vor allem für die Rolle des Internet-Trolls zuständig, von dem man nie recht weiß, ob er unter Alkoholeinfluss schreibt – postwendend mit der Verlegung von Atom-U-Booten zurückdrohte.

Was man könnte, wenn man wollte: F-22 begleiten einen Stealth-Bomber B-2 über den Köpfen der Präsidenten beim "historischen" Gipfel in Anchorage.
Was man könnte, wenn man wollte: F-22 begleiten einen Stealth-Bomber B-2 über den Köpfen der Präsidenten beim „historischen“ Gipfel in Anchorage. (Foto: picture alliance/ Anadolu/Fatih Aktas)

Großzügig ist, wenn man’s eh nicht kriegt

Und dennoch: schon nach der russischen Zusage für den Gipfel redete der US-Präsident plötzlich von einem Gebietstausch, um den Krieg zu beenden. Das wäre vor einem halben Jahr eine gute Idee gewesen, als die Ukraine ihrerseits einen Teil der russischen Oblast Kursk besetzt hielt. Mittlerweile aber ist diese Episode beendet. Wie sich nach und nach herausschälte, bot Russland nun an, sich aus den von ihm nicht offiziell beanspruchten ukrainischen Oblasten Charkiw, Sumy und weiteren kleinen Gebieten im Gesamtumfang von knapp 2.000 Quadratkilometern zurückzuziehen. Dafür solle die Ukraine den Rest der Oblaste Donezk und Luhansk aufgeben. Während sie im letzteren nur noch wenige hundert Quadratkilometer hält, verteidigt sie in Donezk allerdings noch fast 7.000.

Großzügigerweise würde Russland zudem die Angriffe in den Oblasten Cherson und Saporischschja einstellen, die ohnehin kaum vorankommen. Da es diese Regionen wie Donezk und Luhansk nominell vollständig annektiert hat, bedeutet das tatsächlich eine Bewegung auf russischer Seite. Alle anderen Forderungen nach Neutralität, Limitierung der Streitkräfte und innenpolitischen Änderungen unter den Schlagworten „Demilitarisierung“ und „Denazifizierung“ der Ukraine blieben aber unverändert. Am bedenklichsten war, dass Trump nach dem Gipfel die im selben Kontext zu sehende russische Position übernahm, ohne vorherigen Waffenstillstand ein umfassendes Friedensabkommen verhandeln zu wollen, das „die Ursachen des Krieges beseitigt“.

Frieden ist, wenn Russland siegt

Damit ist in Moskau nicht nur der ursprüngliche innerukrainische Konflikt zwischen den eher pro-russisch und westlich orientierten Bevölkerungsteilen und das Streben letzterer nach Mitgliedschaft in NATO und EU gemeint. Sondern die Ausdehnung der NATO in den ehemaligen sowjetischen Einflussbereich und die amerikanische Präsenz in Europa allgemein. Bekanntlich hatte Russland am Vorabend des Angriffs auf die Ukraine 2022 Forderungen an den Westen gestellt, deren Nichterfüllbarkeit bereits als Rechtfertigung für die folgende Invasion einkalkuliert war: unter anderem der Abzug aller ausländischen NATO-Truppen vom Gebiet der osteuropäischen Bündnispartner und aller US-Nuklearwaffen von nichtamerikanischem Territorium.

Lässt man sich also auf diese Vorstellung eines Friedensabkommens ein, verhandelt man vermutlich, bis Russland seine Ziele in der Ukraine militärisch sowieso erreicht hat. Damit lässt sich die gesamte russische Hinhaltetaktik ohnehin zusammenfassen. Trumps Drohung mit Sanktionen war jedenfalls erstmal vom Tisch. Insofern war das Treffen in Alaska für Putin ein voller Erfolg. Kein Wunder, dass die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten umgehend auf einen weiteren Gipfel drängten, um dem König ihre eigene Sicht der Dinge vorzutragen. Immerhin hat dieser mittlerweile gelernt, dass er die Europäer braucht, die finanziell gesehen immer die größeren – und mittlerweile einzigen – Unterstützer der Ukraine waren. Und die zudem nach US-Vorstellung die Friedenssicherung dort übernehmen sollen.

Audienz beim König: Trump und europäische Kollegen betrachten die Ukraine im Oval Office.
Audienz beim König: Trump und europäische Kollegen betrachten die Ukraine im Oval Office. (Foto: picture alliance/Zumapress/Weißes Haus)

Erfolg ist, wenn der König nickt

Insofern hatte auch diese zweite Audienz einigen Erfolg. Zwar beharrte Trump auf dem Ansatz eines Friedensabkommens ohne vorherigen Waffenstillstand. Zugleich übernahm er aber die europäische Vorstellung einer Friedenstruppe im Land selbst als Teil umfassender Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einem Ende der Kämpfe. Dass Russland stets jegliche Präsenz westlicher Truppen abgelehnt hatte, war ihm entweder nicht bewusst oder kümmerte ihn nicht. Tatsächlich zeigte er sich erstmals offen für eine von den Europäern lange geforderte amerikanische Rückversicherung, etwa in Form von Luftunterstützung. Das stellte wiederum eine deutliche Bewegung auf US-Seite dar. Insofern konnten auch diese Petenten anschließend nicht unzufrieden nach Hause zurückkehren.

Ob und wie schnell es nun zu den von Trump avisierten nächsten Gipfeln mit Putin und Selenskyj kommt, ist unklar. Aus Moskau hieß es dazu gerade, erst müssten quasi die Ergebnisse feststehen. Zudem wiederholte man seine Ablehnung einer westlichen Militärpräsenz jeder Art in der Ukraine und forderte, dass Russland in jegliche Sicherheitsgarantien eingebunden sein müsse. Dem Kreml scheint eine Konstruktion vorzuschweben, die er bereits in die Friedensverhandlungen zu Beginn des Krieges eingebracht hatte: dass Russland eine der Garantiemächte sein solle und diese nur einstimmig Maßnahmen gegen einen Angriff ergreifen könnten. Mithin, dass der wahrscheinliche Angreifer ein Vetorecht hätte. Genau daran scheiterten die Gespräche 2022 letztlich (obwohl pro-russische Propagandisten immer noch eine Intervention des Briten Boris Johnson dafür verantwortlich machen).

Historisch ist, wenn’s funktioniert

Unabhängig davon laufen in Bündniskreisen mittlerweile Absprachen für Format und Beiträge zu einer möglichen Friedenstruppe in der Ukraine auf Hochtouren. Prompt startete auch in Deutschland die übliche Debatte, ob und wie man sich beteiligen solle oder könne. Das Sollen steht dabei bei objektiver Betrachtung der politischen Umstände weniger in Frage als das Können im Hinblick auf die Kapazitäten der Bundeswehr. Was davon einsatzfähig ist, ist ja weitgehend für die Verteidigung des Baltikums verplant – ein Auftrag, der sich mit einem möglichen Ende der Kämpfe in der Ukraine gerade nicht erledigt. Als eher kleiner Beitrag stünde allenfalls noch die aktuell deutsch geführte schnelle Engreiftruppe der EU zur Verfügung. Allerdings wird es nicht nur um Bodenkampftruppen, sondern auch etwa um Flugabwehrkräfte gehen.

Und noch ist es für eine informierte Diskussion wohl zu früh. Aus den USA hört man bereits wieder unterschiedliche Signale zum möglichen Umfang der eigenen Beteiligung. Trump selbst hat angesichts der russischen Reaktionen auf die westlichen Beschlüsse festgestellt, dass Putin vielleicht gar keinen Deal machen wolle und erneut von einer zweiwöchigen Frist sowie Sanktionen gesprochen. Möglich, dass er sich wieder gegen den Kremlherrscher wendet – oder enttäuscht aus den Ukraine-Verhandlungen zurückzieht, wie nach den gescheiterten amerikanischen Alleingängen seiner ersten 100 Tage. Hoffnung macht ein anderes historisches Zitat, das wie so viele mit unklarer Urheberschaft Winston Churchill zugeschrieben wird: „Bei den Amerikanern kann man darauf vertrauen, dass sie am Ende immer das Richtige tun, nachdem sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.“

Stefan Axel Boes

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