Beschaffungs-Aufreger dieser Woche war die Nachricht „Bundeswehr will neue Ausgehuniformen für 850 Millionen Euro beschaffen!“ Sicherlich befeuert vom aufziehenden Bundestagswahlkampf gab es umgehend Kritik, dass das Bundesministerium der Verteidigung einerseits über weiterhin fehlende Mittel für das Erreichen der Kriegstüchtigkeit gegenüber der zunehmenden Bedrohung durch Russland klagt, aber offenbar andererseits Geld für schicke Klamotten übrig hat. Nicht vergessen wurde auch die Erwähnung, dass probetragende Soldaten enttäuscht von den geringen Änderungen am Design gewesen seien.
Das BMVg bemühte sich klarzustellen, dass es erstens bei der Bundeswehr keine „Ausgehuniformen“ gebe, sondern nur den von vielen Soldatinnen und Soldaten täglich in Stabsverwendungen und bei repräsentativen Anlässen getragenen Dienstanzug. Dass zweitens die Entscheidung zur Einführung einer neuen Ausführung mit gegenüber dem aktuellen Stand aus den 70er Jahren leicht geänderten Schnitten und Stoffen bereits 2018 gefallen sei – diese aber im Rahmen der „Zeitenwende“ tatsächlich zunächst zurückgestellt wurde, um für 2,4 Milliarden Euro neue Kampfbekleidung und -ausstattung zu beschaffen. Und dass es sich drittens bei den 850 Millionen Euro (von denen im Übrigen über 300 Millionen bereits früher bewilligt worden seien) um den Finanzbedarf für die nächsten acht Jahre handele, um das bisherige Einkleidungssystem abzulösen.
Der Wert von 850 Millionen für die Kriegstauglichkeit
Natürlich muss der Bekleidungsbestand ohnehin periodisch erneuert werden, um abgetragenes Material zu ersetzen. Dass die Verschiebung zugunsten der für die Kriegstauglichkeit sehr viel wichtigeren Kampfbekleidung – ein frühes und wichtiges Resultat der Zeitenwende – die parlamentarische Befassung mit neuen Dienstanzügen in das Vorfeld der Neuwahlen verlegte, ist den Entscheidern schlecht vorzuwerfen. Genauso natürlich bleibt es bei „bad optics“, wie der Amerikaner sagt. Es sieht eben schlecht aus, 850 (oder auch nur die tatsächlich zur Bewilligung anstehenden 520) Millionen Euro für nicht-essenzielles Material auszugeben, während unklar ist, wie es nach dem Auslaufen des Bundeswehr-Sondervermögens von 100 Milliarden im Jahr 2027 mit der Beschaffung von höchst-essenzieller Ausstattung weitergehen soll.
Letzteres ist das eigentliche Problem, das sich die gegenwärtige Bundesregierung aufgrund der handwerklichen Fehler und vagen Aussagen zum Sondervermögen und der Zeit danach wirklich zurechnen lassen muss. Vielleicht sollte man die ganze Aufregung aber positiv betrachten: es ist doch ein gewaltiger Fortschritt, wenn sich das versammelte Expertentum in Politik und Medien über 850 Millionen Euro für Bekleidung echauffiert, die nichts zur Kriegstüchtigkeit beiträgt – statt wie früher über die Beschaffung von schwerer Ausrüstung wie Panzern und Artillerie, die für künftige Kriege angeblich nicht mehr gebraucht würde. Oder auch von angeblich sinnlosen Raketenabwehrsystemen. Dieser Einstellungswandel ist womöglich nicht nur 850 Millionen Euro wert, sondern sogar unbezahlbar.
Apropos Einstellungswandel: Selbstverständlich kann man auch darüber nachdenken, wie groß der Bedarf an Dienstanzügen wirklich ist, und ob er sich nicht tatsächlich auf die Verwendung durch höhere Dienstgrade bei repräsentativen Anlässen beschränken ließe. Vielleicht würde das Tragen des bei vielen Soldaten ohnehin beliebteren Feldanzugs auch in Stabsverwendungen und sogar Gelöbnisveranstaltungen ja das als Grundlage für die Kriegstüchtigkeit vielbeschworene „Mindset“ fördern. Und zwar sowohl bei den Trägern als auch den zivilen Entscheidern, denen sie gegenübertreten. Dann erledigt sich das Problem mit der Beschaffung von nicht-essenzieller Bekleidung zu einem optisch schlechten Zeitpunkt unter Umständen von selbst.
Stefan Axel Boes