Israel-Ukraine-Synchronizität und NATO-Gipfel: die Chancen

Zwei freuen sich in Den Haag: NATO-Generalsekretär Mark Rutte und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. (Foto: NATO)
Zwei freuen sich in Den Haag: NATO-Generalsekretär Mark Rutte und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. (Foto: NATO)

Mit dem offen ausgebrochenen Krieg zwischen Israel und dem Iran sowie der Fortdauer des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine fielen unmittelbar vor dem NATO-Gipfel in dieser Woche zwei militärische Konflikte zusammen, die die internationale Meinung polarisieren. Dabei scheinen die Sympathien in der Konstellation Israel-Ukraine recht kongruent. Wer politisch das eine Land unterstützt, tut das meist auch bei dem anderen, und umgekehrt. Auf der grundlegendsten Ebene sind beide ja auch in einer recht ähnlichen Situation: nominell dem Westen zuzurechnende Demokratien, die sich gegen bevölkerungsmäßig weit größere feindliche Lager behaupten müssen, welche sie aufgrund Jahrhunderte alter gegensätzlicher Ansprüche auf Land und Kultur am liebsten von der Landkarte wischen würden. Und denen die Selbstbehauptung nur mit Einfallsreichtum und, ja, massiver westlicher Unterstützung gelingt.

Die Kritiker würden darauf hinweisen, dass beide auch ähnliche Defizite teilen. Etwa innere Auseinandersetzungen zwischen politisch und ethnisch verschiedenen Bevölkerungsgruppen bis hin zu deren Benachteiligung oder sogar Unterdrückung durch die Regierung der Mehrheit. Oder Korruption und autokratische Tendenzen im Allgemeinen – wobei das Autokratische auch Produkt des Belagerungszustands ist, in dem sich beide Staaten befinden. Sicherlich haben sich manche politischen Kräfte in diesem Zustand zudem recht gut eingerichtet. Die eher ideologisch als sachlich motivierte Kritik hält sich mit solchen Feinheiten in der Regel allerdings nicht auf. Sie verdammt beide grundsätzlich als Frontstaaten einer wahlweise imperialistischen, globalistischen oder kolonialistischen Weltordnung, die allein der Unterdrückung und Ausbeutung anderer, freiheitsliebender Völker diene.

Der Antisemitismus und die Kriegsursachen

Da bei solcher Kritik Antisemitismus niemals ganz weit weg ist, weist mancher noch flugs auf die jüdische Abstammung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und einiger seiner Unterstützer hin. Und fertig ist die neueste Erzählung von der anglo-zionistischen Weltverschwörung auf der Achse Washington-London-Kiew-Tel Aviv. Nicht zufällig klingen die Beschwerden über militärische Aktionen von Israel und der Ukraine ähnlich: statt einfach den Landforderungen des gegnerischen Lagers nachzukommen, um Frieden zu schließen, werden die noch den Dritten Weltkrieg auslösen – mit unserem Geld! Wobei auch der Wohlmeinende selbstverständlich der israelischen Begründung für die Schläge gegen den Iran nicht unbedingt trauen muss. Schließlich behauptet Benjamin Netanjahu schon seit ungefähr 20 Jahren, dass das Mullah-Regime nur Wochen vom Bau einer Atombombe entfernt sei.

Man kann also durchaus fragen: warum erst oder gerade jetzt? Worauf die Antwortet lautet: weil wir jetzt politisch und militärisch dazu in der Lage waren. Allerdings befinden sich Israel und Iran eigentlich schon seit Jahrzehnten im Kriegszustand. In dieser Zeit hat Teheran diverse Terrorgruppen für ihren Kampf gegen Israel finanziert, bewaffnet und ausgebildet. Einschließlich der Hamas und ihrer Verbündeten, die am 7. Oktober 2023 den Terrorangriff auf Israel verübten. Das war der unmittelbare Auslöser der jetzigen Eskalation, der ja bereits im vergangenen Jahr wechselseitige Raketen- und Luftangriffe zwischen Iran und Israel selbst vorausgingen. Und man erinnere sich: Auch der Ukrainekrieg begann eigentlich schon 2014 mit der ersten russischen Intervention auf der Krim und im Donbass.

Die Verhältnismäßigkeit und der Beißreflex

In den acht Jahren bis zur Vollinvasion unterstützte Russland ebenfalls die dortigen Separatisten in ihrem Kampf gegen die Ukraine. Natürlich muss man deshalb die israelische Kriegführung im Gazastreifen und gegen den Iran nicht automatisch verhältnismäßig finden – während der Ukraine im Kampf ums Überleben auf ihrem eigenen Territorium wenig Wahl der Mittel bleibt. Andererseits: Die bloße Existenz des Staates Israel löst über das politische Spektrum hinweg noch immer Beißreflexe aus, die in dieser Form kein anderes Land treffen, einschließlich der Ukraine. Umgekehrt sind gerade amerikanische Konservative in ihrer Solidarität zu Israel meist fest sozialisiert. Zugleich sind sie anfällig für die von russischen Interessen geleitete Propaganda gegen die Ukraine als undemokratischer, korrupter Marionettenstaat einer globalistischen Elite, die den US-Steuerzahler aussauge.

Israel-Ukraine, die Bilder gleichen sich: Israelische Bergungskräfte nach dem Einschlag einer iranischen Rakete in der Stadt Bat Jam
Die Bilder gleichen sich: Israelische Bergungskräfte nach dem Einschlag einer iranischen Rakete in der Stadt Bat Jam. (Foto: Yoav Keren)

Die gleiche Propaganda bedient im Übrigen auch die amerikanischen Vorbehalte gegen die undankbaren Verbündeten der NATO, die sich ihre Sicherheit von denselben Steuerzahlern finanzieren lassen. Auf diese Grundlage setzt sie dann ganz selbstverständlich die bekannte Behauptung, dass die NATO schuld am Ukraine-Krieg sei: weil sie durch ihre Erweiterung nach Osten legitime russische Sicherheitsinteressen verletzt habe und zuletzt auch noch nach der Ukraine gegriffen habe. Nicht alle, aber doch viele republikanische US-Wähler akzeptieren solche Erzählungen. Jemand hat diese Gruppe einmal als „achtlose Konservative auf der Suche nach Selbstbestätigung“ bezeichnet. Ihnen ist nicht bewusst oder egal, dass sie sich mit Kritikern der amerikanischen Führungsmacht aus aller Welt, einschließlich orthodoxer Kommunisten und Antisemiten, gemein machen.

Die „achtlosen Konservativen“ und die konsequenten Anti-Globalisten

Interessant war es zu sehen, wie in der Wählerbasis von Donald Trump nun traditionelle und „achtlose“ Konservative mit konsequenten Anti-Globalisten zusammenprallten. Für letztere ist Israel nur ein weiterer – oder sogar besonders schlimmer – undankbarer Verbündeter, der seine Kriege von den USA finanzieren, wenn nicht gar von amerikanischen Soldaten austragen lässt. Bei ihnen gilt dasselbe wie für die Ukraine: America First, kein Geld für endlose Kriege im Ausland, und schon gar nicht militärisch hineinziehen lassen. Die „achtlosen Konservativen“ machen dagegen für Israel jederzeit eine Ausnahme, obwohl sie aus derselben Enttäuschung über den Verlauf des 20-jährigen „War on Terror“ nach den Anschlägen des 11. September 2021 entstanden sind. Die traditionellen Konservativen gehören ohnehin zu den konsequenten Unterstützern sowohl Israels als auch der Ukraine.

Trump selbst lavierte in der Frage amerikanischer Unterstützung für die israelischen Angriffe zunächst zwischen den Lagern, bevor er einen durchaus gewagten Zug machte: Er ließ die tief verbunkerten iranischen Atomanlagen bombardieren, mit denen Israel allein gerade im Fall Fordo Schwierigkeiten gehabt hätte. Anschließend verkündete er nicht nur den totalen Erfolg der Operation, sondern damit auch die Erledigung des Kriegsgrunds. Und folgerichtig, wenn auch zur Überraschung der beiden ursprünglichen Parteien, einen Waffenstillstand. Wie schon in Trumps erster Amtszeit nach dem Drohnenschlag gegen Quasem Soleimani, den Befehlshaber der iranischen Quds-Brigaden, unternahm Teheran pflichtschuldig einen „Vergeltungsschlag“ gegen US-Basen in der Region, bei dem niemand zu Schaden kam. Wie schon damals ignorierte Trump dies ebenso pflichtschuldig.

Der Wunsch und die Folgen

Netanjahu, der nichts mehr als eine amerikanische Kriegsbeteiligung gewollt hatte, lernte anschließend sofort, dass das dann auch amerikanisches Kommando bedeutet. Als Stunden nach dem Waffenstillstand noch einige iranische Raketen im israelischen Hinterland einschlugen, kündigte seine Regierung umgehend schwerste Vergeltungsmaßnahmen gegen Teheran an. Wahrscheinlich hätte er die Angriffe gerne fortgesetzt, um die militärische, wirtschaftliche und politische Macht der Mullahs weiter zu schwächen – bis hin zum Sturz des Regimes und langfristigen Versinken des Todfeinds in innerem Chaos. Nach einem ungnädigen Anruf und einer sogar für Trumps Verhältnisse heftigen Social-Media-Schimpftirade über die unbotsamen Streithähne beließ man es dann ebenfalls bei einem eher symbolischen Schlag gegen eine iranische Radarstellung.

In den USA reagierte das Lager der konsequenten Anti-Globalisten unter Trumps Wählern zunächst erwartungsgemäß mit Geschrei von Verrat an den Prinzipien von „America First“. Dafür bekamen sie nicht nur Gegenwind von traditionellen und „achtlosen“ Konservativen: Die Erklärung des umgehenden Kriegsendes durch Trump und das – zumindest vorläufige – Ausbleiben von weiterer Eskalation, eines weiteren „endlosen Krieges“ oder gar des Dritten Weltkrieges nahm ihnen selbst den Wind aus den Segeln. Ein Internet-Meme zeigte eine Reihe der prominentesten Kritiker gar in T-Shirts mit der ironischen Aufschrift „Ich habe den Dritten Weltkrieg überlebt“. Der gleiche Slogan stünde ihnen und vielen anderen natürlich genauso gut bezüglich wiederholter Vorhersagen über den Ukrainekrieg.

Die ungewöhnliche Harmonie des NATO-Gipfels

Trump jedenfalls konnte nach all dem in bester Laune zum NATO-Gipfel nach Den Haag fliegen. Zumal der potenzielle Hauptstreitpunkt über das künftige Ausgabenziel bereits im Vorfeld abgeräumt worden war: fast alle Verbündeten hatten seiner Forderung nach fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der von NATO-Generalsekretär Mark Rutte erfundenen Abwandlung „3,5 plus 1,5 für relevante Nebengebiete“ zugestimmt. Die Verbündeten ihrerseits konnten Trumps Entscheidung für eine Beteiligung an den Schlägen gegen Iran entnehmen, dass eine US-Regierung Verbündete in Übersee am Ende auch gegen Kritik von Teilen der eigenen Basis militärisch unterstützen wird – und sei es nur, um den eigenen Führungsanspruch zu bestätigen. Nicht zuletzt konnten sie nun an einem praktischen Beispiel darauf hinweisen, wie wichtig europäische Stützpunkte auch für die USA sind.

Im konkreten Fall war der Nonstop-Flug aus den USA und zurück ja nur durch zahlreiche nach Europa verlegte Tankflugzeuge möglich. Trump jedenfalls bekannte sich ungewöhnlich freundlich und eindeutig zu den amerikanischen NATO-Verpflichtungen. Selbst mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj führte er offenbar ein nettes Gespräch und deutete in einer Pressekonferenz gar an, die Ukraine mit weiteren dringend benötigten Flugabwehr-Lenkwaffen Patriot zu beliefern. Wahrscheinlich werden US-Flugzeuge zwar nicht demnächst russische Munitionslager in der besetzten Ukraine bombardieren, um auch Putins nuklearen Bluff aufzudecken. Aber vielleicht haben die amerikanische und europäische Seite nun eine Art des Umgangs miteinander gefunden, die der NATO zumindest bis auf Weiteres ein effektives gemeinsames Agieren ermöglicht.

Der Israel-Ukraine-Konflikt des Populismus als Chance

Eine ähnliche Spaltung wie Trumps Basis durchzieht übrigens auch andere rechtspopulistische Bewegungen im Westen, die sich gern an seiner Politik orientieren. Hierzulande zu beobachten in der AfD: wie schon nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel kann diese sich nicht zu einer klaren Haltung für oder wider die Schläge gegen den Iran durchringen, weil ihre Wählerschaft eine ähnliche Mischung aus „achtlosen Konservativen“ und konsequenten Anti-Globalisten darstellt. Die Linke hat ihre eigenen Konflikte zwischen ihren „anti-imperialistischen“ und „anti-deutschen“ Strömungen. Noch ist nicht klar, zu wessen Gunsten diese internen Auseinandersetzungen hier, in den USA oder im Westen insgesamt ausfallen. Oder ob dies ein Dauerkonflikt bleibt, der nach dem aktuellen Krieg nur auf den nächsten Anlass wartet.

Darin liegt allerdings auch eine Chance für das konsequent pro-westliche Lager in der Politik. Die konsequenten Anti-Globalisten, die in Verschwörungstheorien bis hin zum Antisemitismus verhaftet sind, wird man nach aller Erfahrung nicht für die liberale westliche Werteordnung zurückgewinnen können, die sie als Todfeind betrachten. Die „achtlosen Konservativen“ dagegen möglicherweise schon – wenn ihnen durch den gegenwärtigen Konflikt bewusst gemacht werden kann, in welcher Gesellschaft sie sich da bewegen. Dazu muss man den israelischen Angriff auf den Iran noch nicht einmal als durch Tatsachen gerechtfertigt oder auch nur zielführend finden. Zweifel sind da durchaus erlaubt. Die Ungleichbehandlung mit der Ukraine entgegen jeder rationalen Grundlage eher nicht. Das allerdings könnte auch mancher irrational anti-israelische Unterstützer der Ukraine lernen.

Stefan Axel Boes

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