Israel-Iran, das Hauptevent: Rising Lion, Spitting Dragon

Aufnahmen von israelischen Angriffen auf Teheran am gestrigen Freitag.
Aufnahmen von israelischen Angriffen auf Teheran am gestrigen Freitag. (Foto: Mehrs)

Wohl kaum ein Krieg ist so lange vor seinem Ausbruch so detailliert analysiert worden wie die in der Nacht zum Freitag mit der Operation „Rising Lion“ begonnene Kulmination des Israel-Iran-Konflikts. Seit das iranische Nuklearprogramm kurz nach der Jahrtausendwende zu einem Thema für die regionale und internationale Sicherheitspolitik wurde, wurde jährlich ein baldiger israelischer Schlag dagegen vorhergesagt. Einen Präzedenzfall gab es schließlich mit dem Angriff auf den irakischen Atomreaktor Tammuz-1 (Osirak) 1981, von dem Israel befürchtete, dass er waffenfähiges Kernmaterial produzieren könnte. Um die mögliche Bedrohung im Keim zu ersticken, bombardierte die israelische Luftwaffe den mit französischer Unterstützung erbauten Reaktor noch vor der Befüllung mit Brennstäben. Ironischerweise hatte der seinerzeit mit Irak im Krieg befindliche Iran im Vorjahr erfolglos dasselbe versucht.

Vorausgegangen war eine verdeckte israelische Anschlagserie gegen Zulieferer und beteiligte Wissenschaftler, die das Programm aber nicht stoppen konnte. Der militärische Angriff wurde vom UN-Sicherheitsrat verurteilt, verärgerte insbesondere Frankreich – ein französischer Ingenieur war unter den Toten – aber auch die US-Regierung unter Ronald Reagan und vereinte eigentlich gegnerische Lager in der arabischen Welt erneut im Feindbild Israel. Aus israelischer Sicht war die Operation jedoch ein Erfolg: ob das irakische Nuklearprogramm nun waffenfähiges Material produzieren sollte oder nicht, es wurde durch den Angriff effektiv zerstört. Israel hatte zudem erneut seine Fähigkeiten zur Intervention gegen missliebige Entwicklungen in der Region demonstriert und blieb deren einzige – inoffizielle – Nuklearmacht.

Zwei Jahrzehnte Israel-Iran Konflikt

Zwei Jahrzehnte später stellte sich die Situation mit dem iranischen Nuklearprogramm ähnlich, aber logistisch schwieriger dar. Zunächst aufgrund der größeren Entfernung: während die israelischen Flugzeuge 1981 neben Bomben auch genug Treibstoff mitführen konnten, um sich mit oder ohne stillschweigende Zustimmung der Regierung Saudi-Arabiens über deren Territorium in einem Rutsch zum Ziel und zurück schleichen zu können, würde eine Mission gegen den Iran Luftbetankung und die Durchquerung mindestens eines weiteren Luftraums erfordern. Der Bedrohung bewusst, begannen die Iraner zudem bald, die Anreicherungsstätten für Uran und andere Teile des Programms an verschiedenen Standorten unter die Erde zu verlegen. Für den potenziellen Angreifer bedeutete das mehrere gehärtete Ziele, die bunkerbrechende Munition erforderten.

Der Osirak-Reaktor nach dem israelischen Luftangriff 1981.
Der Osirak-Reaktor nach dem israelischen Luftangriff 1981. (Foto: Joyce Battle/William Burr )

Lange Zeit wurde weithin davon ausgegangen, dass eine solche Operation aufgrund der schieren Zahl und Tragkraft der erforderlichen Flugzeuge, der Aufklärungs- und Luftbetankungskapazitäten nur gemeinsam mit den USA durchgeführt werden könne. Letztere steckten allerdings zu dieser Zeit bis zum Hals im „Krieg gegen den Terror“ und hatten kein Interesse, auch noch einen offenen Krieg mit der größten Macht am Persischen Golf zu beginnen. Selbst wenn politische Falken sowohl in Israel als auch den USA 20 Jahre lang regelmäßig warnten, dass der Iran nur sechs Monate von der Bombe entfernt sei, und Kritiker derselben ebenso häufig einen baldigen gemeinsamen Schlag als nächsten Schritt amerikanisch-israelischer Kriegstreiberei vorhersagten: weder die Regierungen Bush jr., Obama, Trump noch Biden waren dafür zu haben.

Ist die Bombe unislamisch oder nicht?

Auf israelischer Seite war währenddessen die meiste Zeit Benjamin Netanjahu Premierminister, der die Frage zu seinem außenpolitischen Steckenpferd machte. Dabei konnte er sich allerdings eines weitgehenden lagerübergreifenden Konsenses in der israelischen Gesellschaft sicher sein. Die Beteuerungen des Iran, dass man keine Nuklearwaffen anstrebe, dass das geistige Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei diese sogar bereits in den 1990er Jahren in einer Fatwa als unislamisch verurteilt hatte, konnten angesichts der langwährenden Vernichtungsrhetorik gegen Israel aus Teheran nicht beruhigen. Nachdem Donald Trump während seiner ersten Präsidentschaft 2018 aus dem multinationalen Kontrollregime JCPOA ausstieg und zu einer Politik des maximalen Sanktionsdrucks gegen den Iran zurückkehrte spielte letzterer zudem durchaus bewusst mit der Möglichkeit, dass man ja dann doch die Bombe bauen könne.

So meldete die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO trotz eingeschränkter Überwachungsmöglichkeiten eine zunehmende Menge von Uran, das auf einen Reinheitsgrad von 60 Prozent angereichert war: praktisch der letzte Schritt vor der Herstellung waffenfähigen Materials mit 90 Prozent. Letzte Berichte sprachen von genug für etwa 15 Gefechtsköpfe. War das vielleicht zunächst vor allem ein Druckmittel, um zum vorherigen Kontrollregime und der Aufhebung der schmerzhaften Sanktionen zurückzukehren, nahmen offizielle Aussagen des Iran mit der zunehmenden Ausschaltung seiner regionalen Verbündeten im Gefolge des Gaza-Krieges während der letzten 18 Monate eine warnende Qualität an. Zuletzt erklärte ein Spitzenberater Chameneis im März dieses Jahres, dass man bei einem Angriff der USA oder ihrer Verbündeten keine Wahl mehr habe, doch Nuklearwaffen zu entwickeln.

Logisches Endziel Iran

Das wiederum befeuerte natürlich israelische Angriffspläne. Aus Sicht Israels war nun nach den jahrzehntelangen verdeckten Operationen, den Cyberangriffen und anderen Sabotageakten gegen das Nuklearprogramm, den Attentaten auf daran Beteiligte, der langwierigen Kriegführung gegen die iranischen Stellvertretergruppen im Libanon, Syrien, Jemen und Gaza, Zeit für den entscheidenden Schritt. Mit der Reduzierung der Hamas und der Hisbollah als effektive Bedrohung an zwei Fronten und dem Sturz des Assad-Regimes an einer dritten in Syrien blieben nur noch die jemenitischen Huthis mit ihren gelegentlichen Raketenangriffen für Vergeltungsschläge von den Flanken. Nach zwei Runden direkten Raketenbeschusses aus dem Iran im vergangenen Jahr hatte die israelische Luftwaffe dort im Oktober auch bereits einige Flugabwehrstellungen ausgeschaltet.

Eine israelische F-16 während der Angriffe auf den Iran im Oktober 2024.
Eine israelische F-16 während der Angriffe auf den Iran im Oktober 2024. (Foto: IDF)

Anfang April hoffte Netanjahu endlich auf eine gemeinsame Aktion mit den USA, holte sich aber bei Donald Trump eine öffentlichkeitswirksame Abfuhr. Das Verhältnis der beiden früheren besten Kumpels war bestenfalls wechselhaft, seit Netanjahu 2020 unbotmäßig schnell Joe Biden zur Wahl als Trumps Nachfolger gratulierte. Das führte zu einer öffentlichen Schimpftirade über die Unzuverlässigkeit des israelischen Verbündeten: bekanntlich schätzt Trump persönliche Loyalität über alles andere und hält an der Erzählung der gestohlenen Wahl als ein Kernpunkt seiner Selbstdarstellung fest. Zudem sieht das anti-globalistische Lager in der Regierung Trump weitere militärische Interventionen und die Unterstützung „undankbarer“ Verbündeter einschließlich Israels kritisch.

Trump hin, Trump her

Jedenfalls erklärte Trump Netanjahu auf seine übliche gewinnende Art vor der versammelten Presse, Israel solle jetzt mal die Füße stillhalten, während er persönlich das größte Abkommen aller Zeiten mit dem Iran aushandeln werde. Tatsächlich fanden anschließend mehre Runden hauptsächlich indirekter amerikanisch-iranischer Gespräche statt. Anfänglich schienen diese auf ein JCPOA II hinauszulaufen, obwohl Trump das Original noch 2018 als „schlechtesten Deal aller Zeiten“ bezeichnet hatte. Zum Knackpunkt wurde die Frage der Urananreicherung. Während der Iran auf sein Recht zur Herstellung von Kernbrennstoff für zivile Zwecke nach dem Atomwaffensperrvertrag bestand, versteifte sich die US-Seite nach einigen widersprüchlichen Aussagen auf ein völliges Verbot der inländischen Anreicherung. Zuletzt beklagten beide Parteien die Unbeweglichkeit der jeweils anderen.

Trumps typische Ungeduld und seine Frustration über das Ausbleiben eines schnellen glänzenden Erfolgs öffnete dann wohl erneut die Tür für einen israelischen Angriff – wenn auch ohne amerikanische Beteiligung. Dabei spielte Trump nach israelischen Berichten durchaus ein Verwirrspiel mit, indem er Israel weiterhin öffentlich vor einem Alleingang warnte, der die Fortsetzung der Verhandlungen gefährden würde. In Wirklichkeit war er demnach seit der Entscheidung zum Angriff am Montag dieser Woche eingeweiht. Inwieweit das die Iraner in Sicherheit wiegte, ist ungewiss. Schon beim zunehmenden Stocken der Verhandlungen hatte Trump ihnen für den Fall des Scheiterns auch mit „schlimmen Dingen“ gedroht, und Teheran erklärte zuletzt, bei einem Angriff werde man auf jeden Fall auch gegen amerikanische Ziele zurückschlagen.

Amerikanischer Einflussverzicht

Sobald die Einschläge begannen begrüßte Trump dann zwar die israelische Operation „Rising Lion“, seine Regierung erklärte aber unisono, man sei nicht daran beteiligt. Sofern das stimmt – Beteiligung ist schließlich ein weiter Begriff, der auch den Austausch von Geheimdienstinformationen und Aufklärungsergebnissen einschließen kann – zeigt das einen erheblichen Gewinn an militärischer und auch politischer Unabhängigkeit Israels während der zwei Jahrzehnte von Diskussionen über Schläge gegen den Iran. Hat die US-Regierung die Operation nicht aktiv unterstützt, so hat sie diese jedenfalls auch nicht verhindert. Schon unter Bush jr. gab es nach den zunehmenden amerikanischen Misserfolgen in der Region eine Tendenz zum Rückzug aus dem Nahen Osten und des laissez-faire gegenüber Israel.

Aller Wahrscheinlichkeit nach waren israelische Stealth-Kampfflugzeuge vom Typ F-35 an den Angriffen im Rahmen des Israel-Iran-Konflikts beteiligt.
Aller Wahrscheinlichkeit nach waren israelische Stealth-Kampfflugzeuge vom Typ F-35 an den jetzigen Angriffen im Iran beteiligt. (Foto: IDF/Amit Agronow)

Unter Obama verstärkte sich das Disengagement aufgrund der geringeren US-Abhängigkeit vom arabischen Öl durch den Cracking-Boom im Inland, allerdings stand er der israelischen Politik meist kritisch gegenüber. Sowohl unter Obama als auch Biden blieb die Militärhilfe für Israel andererseits unzweifelhaft und stieg finanziell jeweils auf neue Rekorde, zuletzt nach den Terrorangriffen der Hamas vom 7. Oktober 2023. Theoretisch bleibt dies ein Hebel, um jede ungewünschte israelische Aktion durch Drohung mit Entzug zu verhindern. Das anti-globalistische Lager in der Trump-Regierung, das Israel nur als weiteren Verbündeten betrachtet, der seine Sicherheit mit dem Geld des amerikanischen Steuerzahlers finanziert, würde wohl schon aus Prinzip zu diesem Mittel greifen.

Vorhersagen im Praxistest

Solange das traditionell-konservative Pro-Israel-Lager ein wichtiger Bestandteil der Trump-Basis bleibt, ist das aber nicht zu erwarten. Aktuell scheint es, dass es den Vertretern von „America First“ recht ist, amerikanischen Einfluss aufzugeben, wenn sich daraus keine direkten Unannehmlichkeiten ergeben. Im Falle der Friedensbemühungen für die Ukraine ist ähnliches zu beobachten. Zumindest in der Verteidigung Israels gegen die iranische Reaktion spielen die USA wie schon bei den beiden Runden im vergangenen Jahr aber weiter eine aktive Rolle. Die Gegenschläge fallen auch erkennbar heftiger aus, nachdem der langdauernde Konflikt nun offensichtlich sein Hauptevent erreicht hat. Schon bei Beginn der Operation „Rising Lion“ hatten israelische Militärs gewarnt, dass sich das Land auf Angriffe in zuvor ungekanntem Ausmaß einstellen müsse.

Gegenüber dem israelischen Löwen wird Iran sicher versuchen, den feuerspeienden Drache zu geben. Jedenfalls werden sich nun auch die übrigen Vorhersagen der letzten 20 Jahre über die Ergebnisse an Fakten überprüfen lassen. Israel geht von einer zweiwöchigen Operation aus. Wie sehr das das iranische Nuklearprogramm ausschalten wird, wird sich zeigen. Eine weitverbreitete Meinung lautet, dass reine Luftschläge – wenn auch in diesem Fall gleich zu Anfang von verdeckten Teams am Boden unterstützt, die unter anderem mit Drohnen Luftverteidigungs- und Gegenangriffsstellungen sowie Schlüsselpersonal ausschalteten – ein solch verzweigtes und geschütztes Programm nicht zerstören, sondern allenfalls um einige Jahre zurückwerfen können. Worauf die israelische Antwort lauten dürfte: „Dann kommen wir eben in ein paar Jahren wieder.“

Stefan Axel Boes

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