Im Interview mit dem Hardthöhenkurier unterstreicht Generalleutnant Thorsten Poschwatta, Kommandeur Zentrum Luftoperationen, dass bei der größten Luftwaffenübung seit Bestehen der NATO das gemeinsame Üben mit NATO- und Nicht-NATO-Partnern im Vordergrund steht. Es geht um Interoperabilität, sowohl fliegerisch als auch logistisch.
Sehr geehrter Herr General, wie ordnen Sie „Air Defender 2023“ ein? Die Übung ist ein Test für die Drehscheibe Deutschland. Sind wir aufnahmefähig für Luftstreitkräfte anderer Staaten? Unter anderem verlegen rund 100 Flugzeuge der Air National Guard aus den USA hierher. Sie bringen natürlich einen Grundstock an Material mit. Aber sie nutzen auch den Host Nation Support, also unsere Unterstützung wie etwa beim Betanken oder mit anderen Versorgungsgütern. Ein guter Test, ob wir das im erforderlichen Maße leisten können. Und vor allem auch, um daraus zu lernen. Wo haben wir Nachbesserungsbedarf? So etwas kann man nicht als „table top exercise“ am grünen Tisch üben. Fehler und Reibungsverluste erkennt man oft erst, wenn man es auch real macht. Nicht am Simulator, auch nicht in dünn besiedelten Übungsgebieten wie früher zum Beispiel in Kanada: Hier vor Ort in zentraler Lage in Europa mit einer Drehscheibe, an der Flugzeuge stationiert werden, die von hier aus in Einsätze gehen würden, muss das mit allen Konsequenzen geübt werden. Das ist nicht zuletzt auch ein klares sicherheitspolitisches Signal der Abschreckung.
Im Joint Force Air Component Command Headquarters (JFAC HQ) wird die tägliche Air Task Order (ATO) erarbeitet. (Foto ©Bw/Marvin Hofmann)
Welche Aufgabe hat das Zentrum Luftoperationen in dieser Übung? Vereinfacht gesagt stellt das Luftwaffentruppenkommando mit seinen unterstellten Verbänden den Körper der Übung, und wir stellen den Kopf, das Hirn, die zentrale Kommandoeinrichtung. Wir sind mit der Planung und Durchführung der Luftoperationen beauftragt und setzen dafür unser Joint Force Air Component Command Headquarters (JFAC HQ) ein. Wir schreiben die tägliche Air Task Order (ATO) mit den Aufträgen an die Verbände, sodass das Zusammenspiel zeitlich und räumlich koordiniert wird. Wir planen hier rund 200 Sorties pro Tag im Rahmen verbundener Luftkriegsoperationen. Dafür gab es im Vorfeld viele Absprachen, die Verfahren sind mit den Verbindungsoffizieren der Nationen zusammen geplant und eingeübt worden. Aber wir bauen auf einer soliden Grundlage auf: Dieses Jahr befinden wir uns ohnehin in der Bereitschaft für die NATO Response Force mit diesem Gefechtsstand und sind in der Standby-Phase, der höchsten Bereitschaftsstufe der NATO – der Very High Joint Task Force (VJTF) – assigniert, nachdem wir das HQ im vergangenen Jahr zertifiziert haben. Wir haben auch Personal zum NATO Allied Air Command nach Ramstein abgestellt, um die Planungen für die Verstärkung an den NATO-Flanken zu unterstützen. So haben wir uns intensiv vorbereitet und sind in der Lage, diese Übung entsprechend zu gestalten.
Wie muss man sich die Gefechtsstandarbeit konkret vorstellen? Der Gefechtsstand besteht aus Container-Modulen, in denen die verschiedenen Fachabteilungen (engl.: Divisions) arbeiten. Alle Planungsergebnisse werden in einem großen Briefing für mich zusammengeführt, um die ATO für den nächsten Tag freizugeben. In einem großen Ops-Zelt wird dann die gesamte Operation verfolgt und gesteuert. Die gesamte Kommunikation, die IT-Ausstattung, ist schon eine große Herausforderung. Wir müssen geheim mit allen verantwortlichen Dienststellen, die die ATO umsetzen, mit den Einsatzführungsbereichen und mit den NATO-Dienststellen standardisiert kommunizieren. Deswegen haben wir eine spezielle Übung vorgeschaltet, um die Kommunikationswege zu testen. Dabei müssen wir auch Redundanzen vorhalten. Ein Aspekt, der mir besonders am Herzen liegt, ist der Lessons-Learned-Prozess: Wo können und müssen wir uns verbessern? Was brauchen, was benötigen wir, um natürlich auch das Momentum dieser Übung zu nutzen, um – angesichts der Zeitenwende – die notwendigen Beschaffungsprozesse beschleunigt einzuleiten? Zur Zeit des Kalten Krieges konnte ich mit dem Tornado noch überall landen und die Techniker waren auf allen Plätzen ausgebildet, um mein Flugzeug zu betanken und mit der entsprechenden Munition zu beladen. Heute stehen wir bei der Diversität von Luftfahrzeugen gerade auch bei den Unterschieden von vierter zu fünfter Generation vor neuen Herausforderungen. Diese Interoperabilität, zusammen zu arbeiten, zusammen zu fliegen, zusammen zu kämpfen, ist unverzichtbar. „Air Defender 23“ bietet uns hier eine ausgezeichnete Möglichkeit, dies in großem Rahmen zu üben.
Nach dem Interview wies GenLt Poschwatta Burghard Lindhorst in das JFAC HQ ein. (Foto ©Bw/Johann Scheller)
Unterschiedliche Fähigkeiten: ein ganz besonderes Thema … Wir haben in „Air Defender 23“ mehr als 200 Flugzeuge, völlig unterschiedliche Muster: von Kampfflugzeugen über Transportflugzeuge und Tankflugzeuge, NATO-AWACS und Hubschrauber, sogar Drohnen. Das Spektrum reicht von älteren Luftfahrzeugen wie dem Tornado bis zur F-35. Gerade die F-35 ist für uns natürlich sehr wichtig, um Erfahrungen zu sammeln, weil wir ja auch die F-35 für die Luftwaffe bekommen werden. Erkenntnisse über die Interoperabilität sind für die Luftwaffe besonders wichtig. Viele NATO-Nationen fliegen die F-35, auch die Finnen, die jetzt hinzukommen. Das bedarf auch eines Umdenkens in der Luftwaffe und damit die Erweiterung des eigenen Spektrums. Natürlich kann man die F-35 auch wie ein „normales“ Flugzeug fliegen oder aber gewissermaßen als multispektralen Sensor nutzen, quasi wie einen „Daten-Staubsauger“. Die Fülle an Informationen, die dann verarbeitet werden muss, ist schon sehr komplex. Die verschiedenen Luftfahrzeugtypen einzubinden, ist eine große Herausforderung. Wir müssen alle ihre Fähigkeiten kennen und für spezielle Aufträge bewerten können. Welches Flugzeug kann ich wofür einsetzen? Deshalb ist es so wichtig, die Expertise für die jeweiligen Muster der beteiligten Nationen bei uns im HQ abzubilden.
Das komplette Interview lesen Sie in der neuen Ausgabe des HHK!