Herr Generalarzt, seit dem 1. April 2025 ist der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr eine Fähigkeit des neuen Unterstützungsbereiches. Welche wesentlichen Herausforderungen bestehen aus Ihrer Sicht zurzeit? Gibt es bereits Nachsteuerungsbedarf für Ihren Verantwortungsbereich?
Derzeit liegt mein Hauptfokus darauf, die Aufstellung des Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr in Nachfolge des Kommando Sanitätsdienst möglichst schnell abzuschließen und die volle Führungs- und Einsatzbereitschaft bis zum 30. September 2025 zu erreichen. Das wiederum muss im Konzert mit dem übergeordneten Unterstützungskommando und allen Elementen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr geschehen – und zwar im laufenden Grund-, Einsatz-, Ausbildungs- und Übungsbetrieb. Die Refokussierung auf die Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung bringt aber nicht nur Strukturveränderungen mit sich, sondern hat insgesamt elementare Auswirkungen auf den gesamten Sanitätsdienst der Bundeswehr. Unsere besonderen Fähigkeiten für die medizinische Einsatzbereitschaft der Streitkräfte können wir nur dann erfüllen und zukunftsfähig machen, wenn wir die bestehenden Fähigkeits- und Ausstattungslücken schließen können.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist für die weltweite medizinische Versorgung der deutschen Streitkräfte verantwortlich. Was genau verantwortet das Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr?
Das Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr ist sowohl truppenführendes Kommando und zugleich das Fachkommando des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Sehr kurz gesagt liegt hier die Verantwortung für die medizinische Versorgung der deutschen Streitkräfte im gesamten Spektrum der Rettungskette – weltweit, einsatzorientiert und lageangepasst. Ich bezeichne das Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr gerne als das „Herz“ des Sanitätsdienstes innerhalb des sanitätsdienstlichen Systemverbundes. Mit unseren Bundeswehrkrankenhäusern, Sanitätsregimentern, den regionalen Sanitätseinrichtungen, aber auch unseren Instituten und den Überwachungsstellen für öffentlich-rechtliche Aufgaben sowie den Kommandostäben stellen wir die gesundheitliche Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten sicher und verfügen so quasi über ein eigenes militärisches Gesundheitssystem. Unser Ziel bleibt letztlich auch bei deutlich gestiegenen Anforderungen die Sicherstellung einer jederzeit verfügbaren, qualitativ hochwertigen und interoperablen Gesundheitsversorgung im gesamten Fähigkeitsspektrum von der truppenärztlichen Versorgung im Grundbetrieb bis zur hochspezialisierten taktischen Einsatzmedizin in besonderen Einsatzlagen.
Ist das Kommando Gesundheitsversorgung mit den unterstellten Dienststellen für die Erfüllung der aktuellen und zukünftigen Aufgaben – zum Beispiel Landes- und Bündnisverteidigung) – personell und materiell gut gerüstet? Wo sehen Sie noch wesentliche Defizite?
Bereits im Hinblick auf das bisherige Aufgabenspektrum bestehen bekannte und aufgezeigte Defizite im Bereich von Personal und Material. Diese gilt es konsequent zu reduzieren, um die Einsatzbereitschaft für die Streitkräfte aufrechtzuerhalten und die sanitätsdienstliche Versorgung sicherzustellen. Mit der sicherheitspolitischen Zeitenwende und den damit einhergehenden neuen Anforderungen – etwa zusätzliche NATO-Fähigkeitsforderungen, die Rolle Deutschlands als logistische Drehscheibe oder die notwendige Verzahnung militärischer und ziviler Strukturen – steigen die Anforderungen erheblich. Daraus ergeben sich weitere notwendige Bedarfe an Fähigkeiten, personeller Stärke sowie moderner und robuster Sanitätsausstattung. Ein zentrales Entwicklungsziel ist die Intensivierung der Kohäsion innerhalb und außerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr – sowohl dimensionsübergreifend innerhalb der Streitkräfte als auch in der gesamtstaatlichen Zusammenarbeit. Eine verstärkte interne und externe Vernetzung wird entscheidend sein, um den Herausforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung auch langfristig begegnen zu können.
Welche Erkenntnisse und Erfolge der multinationalen Zusammenarbeit im Multinational Medical Coordination Centre-Europe (MMCC-E) sind aus Ihrer Sicht feststellbar?
Das Multinational Medical Coordination Centre-Europe hat sich als wichtige Plattform für den fachlichen Austausch in Zusammenarbeit mit NATO und EU etabliert. Besonders hervorzuheben ist die enge Verzahnung beider Organisationen durch die Fusion des NATO-MMCC mit dem EU-PESCO-Projekt European Medical Command – ein Alleinstellungsmerkmal im europäischen Raum. Mit dem Beitritt der Schweiz im März dieses Jahres beteiligen sich mittlerweile 19 Nationen aktiv an dieser Initiative. Noch im Laufe dieses Jahres wird mit Finnland die 20. Nation hinzukommen. Ein herausragendes Beispiel für die erfolgreiche multinationale Zusammenarbeit sind die regelmäßig durchgeführten Übungen der „Casualty Move“- Serie (CAMO).
Diese beübt unter realitätsnahen Bedingungen die Verwundetensteuerung sowie die sanitätsdienstliche Logistik. Die jüngste und gerade sehr erfolgreich abgeschlossene CAMO-Übung 2025 in Garlstedt stellte mit Blick auf die Anzahl der teilnehmenden Nationen die größte multinationale sanitätsdienstliche Übung in Deutschland im laufenden Jahr dar. Darüber hinaus leistet das Multinational Medical Coordination Centre-Europe auch im Bereich der konzeptionellen Weiterentwicklung einen wichtigen Beitrag im sanitätsdienstlichen Wirkungsspektrum. Formate wie Medical Wargaming oder themenspezifische Workshops adressieren zukunftsweisende Aspekte wie den Einsatz von Drohnen im Sanitätsdienst, den Patiententransport auf der Schiene oder digitale Innovationen.