Die aktuellen Kriege haben die Bedeutung des Kampfpanzers als durchsetzungsfähiges Mittel in der Hand des Truppenführers wieder in den Fokus gerückt. Gleichzeitig wurden neue Bedrohungen – besonders aus der Luft – offenbar. Bereits seit mehr als zehn Jahren konzipieren Deutschland und Frankreich im gemeinsamen Projekt „Main Ground Combat System“ (MGCS) ein Nachfolgesystem für die Kampfpanzer Leopard 2 und Leclerc, das mit einem technologischen Neuansatz dem neuen Kriegsbild Rechnung trägt.
Der Zeitrahmen für die Einführung des MGCS verschiebt sich immer weiter nach hinten. Der Beginn der Ausstattung der Truppe wird ab 2045 erwartet. Als Abschluss wird offiziell 2050 angegeben. Das bedeutet eine Nutzungsdauer von 20 bis 30 Jahren für die Systeme, die jetzt im Dienst bzw. in absehbarer Zeit in Dienst gestellt werden. Welche Optionen gibt es, den Kampfwert des Leopard 2 zu erhalten, um einen möglichst bruchfreien Übergang zum MGCS zu erreichen?
Aktuelle Ausstattung des Heeres
In den letzten dreißig Jahren hat das Heer die Anzahl der Kampfpanzer Leopard 2 von 2.125 Panzern über den Tiefpunkt 312 Stück auf 328 Gefechtsfahrzeuge abgesenkt. Nach Abgabe von 18 Panzern an die Ukraine Anfang 2023 sank die Anzahl auf 310 ab. Im Gespräch ist nun eine Aufstockung der Panzerflotte um rund 100 Fahrzeuge auf über 400 Leopard 2.
Ausgehend von der „Mannheimer Konfiguration“, mit der ab 1995 in der ersten grundlegenden Kampfwertsteigerung 350 Panzer zu den Versionen A5 bzw. A6 umgerüstet wurden, kommt mit Auslieferungen ab 2021 die zweite grundlegende Kampfwertsteigerung zum A7-Standard in die Truppe. Der Leopard 2 A7 entstand aus der Rückgabe der an Kanada ausgeliehenen Leopard 2 A6M. Dazu wurden Kampfpanzer aus niederländischem Bestand von Krauss-Maffei Wegman (jetzt KNDS Deutschland) auf den deutschen Konstruktionsstand umgebaut. Dabei konnte von deutscher Seite die Gelegenheit genutzt werden, Obsoleszenzen zu beseitigen und Kampfwertsteigerungen einzubringen.
Kampfwertsteigerungen Leopard 2 A7
• Waffenanlage mit L52A1-Rohr und HE-Anpassung
• Energie- und Kampfraumkühlanlage (EKKA)
• neues Stromerzeugeraggregat (20 kW)
• Ultracaps (in Wanne und Turm)
• Thermoschutz Barracuda
• neue Bordverständigungsanlage
• geänderte Brandunterdrückungsanlage
• Peri R17 A3 mit Wärmebildgerät der 3. Generation
• angepasste Halterungen für Handwaffen
Die 20 betroffenen Kampfpanzer kamen 2014 als Leopard 2 A7 in die Truppe. Die Konfiguration war Ausgangspunkt für die zahlenmäßig umfangreichere Umrüstung zum Leopard 2 A7V. Mit einem Vertrag von Mai 2017 wurden insgesamt 104 Kampfpanzer umgerüstet. Dazu wurden Fahrzeuge aus Beständen der Industrie, des niederländischen Heeres und die 20 Leopard 2 A7 genutzt. Gegenüber den modernsten Panzern der Bundeswehr wurden weitere Verbesserungen eingebracht, daher das „V“ in der Versionsbezeichnung. Drei wesentliche Änderungen rechtfertigen das „V“: neu gebaute Stahlwannen, Bugschutz am Fahrgestell und die Verstärkung des Antriebsstrangs. Hinzu kommen erneut Obsoleszenzbeseitigung, neue Wärmebildgeräte ATTICA und Nachtsichtgeräte Spectus vorn und hinten für den Fahrer. Der letzte Leopard 2 A7V wurde im Oktober 2023 an die Truppe übergeben.
Um eine möglichst große Gleichheit in der Ausbildung und in der Logistik zu erreichen, sollte für den Rest der Panzerflotte die Einsatzreife erhalten werden. Wegen der knappen Haushaltsmittel konnten nur 50 A6 und 51 A6M (zusammen 101 Leopard A6) in die Maßnahme einbezogen werden. Dabei wurden das Panzerungsmodul auf dem Panzerbug, die Energie- und Kampfraumkühlanlage und das neue Stromerzeugeraggregat sowie die Halterung für die Zusatzpanzerung nicht realisiert. Mit Vertrag vom März 2019 begann die Umrüstung. Um die Truppe nicht zu sehr zu belasten, wurde ein gedehnter Zeitplan mit Auslieferungen bis 2025 vereinbart. Der erste Leopard 2 mit der Versionsbezeichnung A6A3 ging im Juli 2021 in die Truppe. Etwa 80 Prozent der geplanten Panzer müssten derzeit ausgeliefert sein.
Für 88 Leopard 2 in den Versionen A5 und A6 ist derzeit keine Umrüstung geplant. Sie bleiben unverändert so lange in der Truppe, bis eine Entscheidung über deren Zukunft getroffen ist.
Neue Versionen A7A1 und A8
Mit einem Vertrag vom März 2021 erhalten 17 Leopard 2 A6 (ein Kompanieäquivalent plus Reserve) das aktive Schutzsystem APS TROPHY von Rafael Im Zuge der Einrüstung des APS werden die Panzer auf den Stand A7V gebracht. Äußerlich erkennbar ist der A7A1 an den Anbauten mit Elektronik und Werfern an beiden Turmseiten sowie vier angebauten Radargeräten. Der Zulauf ist für den Zeitraum 2024 bis 2025 vereinbart.
Nach der Abgabe von 18 Kampfpanzern Leopard 2 an die Ukraine im März 2023 gelang es, im Mai 2023 (nur ein Vierteljahr nach Genehmigung durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages) einen Vertrag zur Wiederbeschaffung abzuschließen. Für die meisten Beobachter überraschend, erhielten die Panzer die Versionsbezeichnung Leopard 2 A8. Noch im Laufe dieses Jahres will das BMVg die Beschaffung weiterer 35 Leopard 2 A8 in Auftrag geben. Damit soll die Kampfbrigade ausgestattet werden, die die Bundeswehr in Litauen aufbaut. Wenn man auf die technischen Merkmale blickt, tut man sich schwer, Gründe für die neue Versionsbezeichnung zu finden. Die bedeutenden Veränderungen liegen sozusagen unter der Oberfläche.
Während bisher die Neubauten mit den vorhandenen Konstruktionszeichnungen erstellt wurden, sind die Konstruktionen für Wanne und Turm mit modernen Designmethoden überarbeitet worden. Überkommene Einbauten, die nicht mehr benötigt werden, wurden entfernt. Damit wird Raum gewonnen und Gewicht gespart. Die Integration der Baugruppen, die für die Funktion des Panzers notwendig sind, wird erleichtert. Weiter wird über die reine Obsoleszenzbeseitigung hinaus die Digitalisierung aller Baugruppen vorangetrieben, weil analoge Baugruppen und -elemente absehbar nicht mehr verfügbar sind und nicht mehr ausreichende Leistungsfähigkeit bieten. Einige dieser Baugruppen werden nicht rückwärtskompatibel sein. Außerdem werden erste Elemente der NATO Generic Vehicle Architecture implementiert. NGVA ist die als NATO-Standard definierte Fahrzeuginfrastruktur für die Verteilung von Energie und Informationen. Die Leopard 2 A8 sollen im Zeitraum 2025 bis 2026 ausgeliefert werden. Mit den beschriebenen Maßnahmen sind etwa zwei Drittel der Leopard 2-Flotte auf die Standards A7 bzw. A8 in ihrem Kampfwert gesteigert.
Brücke zum Main Ground Combat System
Für die unterhalb des Standards A7 verbliebenen 88 Kampfpanzer muss eine Lösung zum Erhalt der Duellfähigkeit bis zur Einführung des MGCS gefunden werden. Als Arbeitsbegriff wird häufig Leopard 2 AX verwendet. Neben der Einrüstung der benötigten Fähigkeiten nach dem bekannten Muster eröffnet sich eine weitere Möglichkeit, die aber noch nicht in den Planungsprozess Eingang gefunden hat und deren Finanzierung bisher nicht zugesagt ist: Aussondern der vorhandenen Panzer und Beschaffung von Neubauten. Ausgangspunkt sind die für den A8 nachentwickelten Wannen und Türme. Für die Ausrüstung werden nach Möglichkeit Baugruppen herangezogen, die im Rahmen der Entwicklung des MGCS bereits den erforderlichen Reifegrad erlangt haben. Eine Bordkanone größeren Kalibers (130 mm oder 140 mm) mit Ladeautomat gehört aller Voraussicht nicht dazu. Das erfordert vermutlich zu starke Eingriffe in die bestehende Konstruktion. Damit würde der AX einen (kleinen) Teil der Fähigkeiten erhalten, die mit dem MGCS realisiert werden und wäre geeignet als Brückentechnologie bis ausreichende Einsatzreife mit dem MGCS erreicht wird.
Angesichts der bekannten Zeitabläufe bei Entwicklung und Beschaffung und der bisher nicht eingeplanten Finanzierung kann mit einer Realisierung frühestens ab dem Beginn des nächsten Jahrzehnts gerechnet werden.
Wie aus Kreisen der Beschaffer zu hören ist, erwägt die Bundeswehr, den Umfang der Leopard 2-Flotte um rund 100 Panzer auf einen Bestand von über 400 Panzern zu erhöhen. Abgesehen von der Anzahl konnten weitere Details nicht verifiziert werden. Es bieten sich zwei Möglichkeiten an: die Beschaffung von noch mehr Leopard 2 A8 als Abruf aus dem Rahmenvertrag vom Mai 2023 über die bisher bestellten hinaus. Die andere Möglichkeit ist, die Anzahl der Leopard 2 AX entsprechend zu erhöhen.
Systemwechsel mit dem Main Ground Combat System
2012 wurde von Deutschland und Frankreich das binationale Projekt „Main Ground Combat System“ (MGCS) zur Ablösung der Kampfpanzer Leopard 2 und Leclerc gestartet. Nach der Identifizierung von über 300 High Level Requirements in der ersten Phase des Projekts und unter Berücksichtigung von Rahmenbedingungen wie der Begrenzung des Fahrzeuggewichts auf 50 Tonnen und der Reduzierung auf das vorhandene Personal ergab sich als Konsequenz ein Mehrplattformkonzept mit verteilten Fähigkeiten auf bemannte und unbemannte Plattformen, das in der Phase 2 konzeptionell beschrieben wurde. Bisher sind drei Plattformen beschrieben: Je ein bemannter Träger für eine Bordkanone mit Ladeautomat (Kaliber noch nicht festgelegt) (Gun Platform) und für einen weiteren Effektor (z. B. Hochgeschwindigkeitsflugkörper) (Missile Platform) und ein unbemannter Träger (Combat Support Platform) mit weiteren Effektoren für den Einsatz Non-Line of Sight und Counter-UAV sowie Aufklärungsmitteln u. a. mit abgesetzten Sensoren auf Unmanned Aerial Vehicles (UAV), Unmanned Ground Vehicles.
Die Fahrzeuge sind – aus taktischen und logistischen Gründen – in der gleichen Gewichtsklasse unter Verwendung der gleichen Wanne. In der derzeit laufenden Phase 3 wird die Systemarchitektur definiert. Es folgt die mit sechs Jahren angesetzte Forschungs- und Technologiephase zur Entwicklung der Demonstratoren für die Haupttechnologien. Im April haben die Verteidigungsminister Deutschlands und Frankreichs die Aufteilung der Arbeiten in acht Technologiesäulen und die gleichmäßige Aufteilung auf die beiden Nationen festgelegt. Eine noch zu gründende Projektgesellschaft aus KNDS Deutschland, KNDS Frankreich, Rheinmetall und Thales TIX soll ab 2025 als Hauptauftragnehmer die Entwicklung fortführen. Weitere vier Jahre werden benötigt, um einen Systemdemonstrator für das vollständige System herzustellen, zu erproben und eine Serienkonfiguration zu beschließen. Für die Vorbereitung von Produktion und Nutzung sind sieben bis zehn Jahre eingeplant. Darin enthalten sind technische Überprüfungen und Einsatzprüfungen. Ziel ist das Phasendokument „Genehmigung zur Nutzung“, das die Nutzung in der Truppe zulässt. Die Zeitrechnung ergibt, dass mit der Einführung des MGCS nicht vor 2041 gerechnet werden kann. Unter Berücksichtigung möglicher Verzögerungen im Projektablauf ist Mitte des 2040er- Jahrzehnts ein realistischer Einführungstermin.
Die Truppe benötigt zwei bis drei Jahre, bis eine erste Einsatzfähigkeit erreicht wird. Für das Erreichen der vollen Einsatzfähigkeit mit dem MGCS sind weitere zwei Jahre zu veranschlagen. Dann hat das Jahr 2050 begonnen.
Für den Schützenpanzer Puma wurde elf Jahre nach Auslieferung der ersten Fahrzeuge die „Taktische Gefechtstauglichkeit“ erklärt. Bis heute ist die endgültige Ausrüstung der Panzer mit allen Fähigkeiten noch nicht abgeschlossen. Beim MGCS wird man mit ähnlichem Zeitbedarf rechnen müssen. Das bedeutet, dass die Leopard 2, die heute in Nutzung sind und in den kommenden Jahren umgerüstet bzw. nachbeschafft werden, eine Nutzungsdauer von mehr als zwanzig Jahren vor sich haben.
Übersicht
Drei Entwicklungsstränge des Leopard 2 führen zum Main Ground Combat System. Bereits eingeführt ist der Standard Leopard 2 A7 mit den Versionen A7V, A7A1, A6A3/A6MA3, dessen Auslieferung an die Truppe 2025 abgeschlossen wird. Der zweite Strang ist die Version A8, die bis 2026 abgeschlossen sein wird, wenn nicht die ins Kalkül gezogene Stückzahlerhöhung mit dem A8 realisiert wird. Der dritte Strang ist der mit ersten MGCS-Komponenten aufgebaute Leopard 2 AX, der – entsprechende Beschlüsse und Finanzierung vorausgesetzt – etwa ab 2030 in die Truppe kommen könnte. Das MGCS soll – wie dargestellt – spätestens ab 2045 eingeführt werden und den Leopard 2 nach fast siebzig Dienstjahren ablösen.
Auch nach diesem Zeitpunkt wird der Leopard 2 noch lange nicht verschwinden. Mehr als 3.800 Leopard 2 sind derzeit in 20 Nationen im Einsatz. Diese können in dem betrachteten Zeitraum aus unterschiedlichen Gründen nicht aus der Nutzung genommen werden.