Von Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI)
Nach vier Jahren laden der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie und die Messe Berlin wieder zur ILA – der „Innovation and Leadership in Aerospace“. Vom 22. bis 26. Juni verwandelt sich der Berlin Expo Center Airport Schönefeld wieder zur Festwiese der internationalen Luftfahrt. Dabei wird gerade deren militärischer Anteil einen wesentlichen Schwerpunkt bilden. Das Profil der ILA ist seit jeher auch durch die starke Präsenz von Streitkräften und Wehrtechnik geprägt. Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Frage der militärischen Verteidigungsfähigkeit auf tragische Weise wieder in den Fokus von Gesellschaft und Politik gerückt.
So gab Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 das Ziel einer „leistungsfähigen, hochmodernen, fortschrittlichen Bundeswehr“ vor, „die uns verlässlich schützt“. Wie notwendig ein solch klares politisches Bekenntnis ist, zeigen uns die Bilder eines von Russland ganz offen geführten Krieges keine 1.000 Kilometer östlich der Bundesrepublik. Seit dessen Ausbruch suchen Regierung, Parlament, Streitkräfte und Industrie nach Wegen, den Verteidigungskampf der Ukraine zu unterstützen und gleichzeitig die Einsatzbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit der Bundeswehr weiter zu verbessern. Einsatzbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit der Bundeswehr bilden die klaren inhaltlichen Klammern für die militärischen Anteile der ILA 2022. Gerade die Debatte um das Sondervermögen und dessen mögliche Verausgabung lenken das Interesse auf die anstehenden Beschaffungen für die deutschen Streitkräfte. Die zugrunde liegenden Fähigkeitsbedarfe waren zwar schon lange identifiziert, nun ist jedoch auch das nötige Geld in Aussicht gestellt, um zumindest die dringendsten Baustellen anzugehen. Auf der ILA liegt der Fokus hier selbstverständlich auf der Dimension Luft – in der wohlgemerkt neben der Luftwaffe auch Heer und Marine aktiv sind!
Für eine durchsetzungsfähige Bundeswehr: Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des BDLI (Foto ©Julia Baumgart)
Sondervermögen zum Anfassen?
In der Dimension Luft ist das Waffensystem Tornado seit 40 Jahren als wesentlicher Träger des Durchsetzungs- und Abschreckungspotenzials der Bundeswehr im Dienst. Da das Mehrzweckkampfflugzeug in raschen Schritten auf sein Nutzungsdauerende zuläuft, wird zurzeit an einer Nachfolgelösung gearbeitet. Deren mögliche Bausteine lassen sich dabei auf der ILA 2022 live in Augenschein nehmen. Darunter fällt zum einen die amerikanische F-35, die den Tornado bei der Wahrnehmung der nuklearen Teilhabe ablösen soll.
Zum anderen soll der Eurofighter für den bisher durch den Tornado ECR (Electronic Combat Reconnaissance) abgedeckten Bereich des elektronischen Kampfes neue Fähigkeiten zur „luftgestützten Wirkung im elektromagnetischen Spektrum“ erhalten. Auch hier präsentiert die Industrie auf der ILA leistungsfähige Lösungsansätze.
Der Fähigkeitsaufwuchs des Eurofighter ist dabei Teil der sukzessiven Weiterentwicklung des „Rückgrats der Luftwaffe“. Als solches soll das Waffensystem auch die konventionelle Luft-Boden-Rolle des Tornado vollständig übernehmen können und langfristig im Verbund des Future Combat Air System (FCAS) aufgehen. Erste Eindrücke dieser Entwicklungsreise der Plattform werden Industrie und Luftwaffe auf der ILA vorstellen. Darunter fällt insbesondere der Aufbau einer Teaming-Fähigkeit von Eurofighter und unbemannten Systemen.
Noch dringender als der Ersatz für den Tornado ist allerdings die lang ersehnte Beschaffung eines neuen schweren Transporthubschraubers (STH). Inzwischen ist die Wahl auf die CH-47F „Chinook“ gefallen. Auf der ILA wird der Helikopter mit seiner charakteristischen Tandem-Rotoranordnung live im Flug zu erleben sein. Ebenfalls auf Zuwachs hofft die Flotte der leichten Unterstützungshubschrauber (LUH) vom Typ H145M der Bundeswehr – auch dieser Drehflügler wird auf der ILA ausgestellt. Obgleich eindeutig ein fliegendes Waffensystem wird die überwiegende Anzahl der neuen LUH wohl im Heer ihren Dienst tun. Doch nicht nur dem Deutschen Heer gehört ein Teil des Himmels, auch die Marine ist in der Dimension Luft vertreten. Mit der jüngst getroffenen Entscheidung zur Beschaffung des Seefernaufklärers P-8A Poseidon erhalten die Marineflieger ihre lang ersehnte Ablösung für die P-3C Orion. Auch eine solche P-8A wird ihren Weg auf die ILA finden und kann dort begutachtet werden.
Eine durchsetzungsfähige Bundeswehr muss das Gebiet der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten sowie ihre Soldatinnen und Soldaten effektiv gegen Gefahren aus der Luft schützen können. Darunter fällt die Verteidigung gegen Flugkörper, Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen. Auch hier zeigt die deutsche Industrie ihre Lösungsansätze. Darunter fällt die Präsentation des Konzeptes für den sukzessiven Aufwuchs des „Nah- und Nächstbereichsschutzes“ (NNbS). Damit soll die Verteidigungsfähigkeit gegen Kampfflugzeuge, Hubschrauber und größere Drohnen in mittleren Kampfentfernungen zeitnah und substanziell verbessert werden. In einem nächsten Schritt ist ein signifikanter Fähigkeitsaufwuchs bei der Abwehr von Klein- und Kleinstdrohnen geplant. Im darüberliegenden Höhenband verlässt sich die Bundeswehr auf das Flugabwehrsystem Patriot, um die Verteidigung gegen Flugzeuge und Flugkörper zu gewährleisten. Auch hier hat die Industrie bereits Vorstellungen über dessen konsequente Weiterentwicklung, die sie auf der ILA vermitteln wird. Gegen die Bedrohung durch modernste ballistische Raketen war in jüngster Zeit von einer möglichen Beschaffung des amerikanisch-israelischen Flugkörpers „Arrow 3“ die Rede – auch dieser wird auf der ILA gezeigt.
Gleiches gilt für den Schwerpunktbereich der Kommunikation. Neben Lösungen für den verschlüsselten und störungsresistenten Datenaustausch zeigt die Industrie auch, welche signifikante Rolle inzwischen Weltraumanwendungen in diesem Feld spielen.
Neue Technologien im Zeichen des NGWS/FCAS
Viele dieser Vorhaben sollen akute oder sich unmittelbar abzeichnende Lücken im Fähigkeitsportfolio der Bundeswehr stopfen. Dabei ist es primär Ziel, den in den letzten Jahrzehnten aufgelaufenen Modernisierungsstau abzubauen. Gleichzeitig gehen Politik, Streitkräfte und Industrie aber auch die Aufgabe an, die Bundeswehr für zukünftige Szenarien durchsetzungsfähig zu rüsten. Hier gilt es, neue Technologien zielgerichtet und mit Blick auf die Bedrohungslagen der Zukunft reif zu machen. Aktuelles Leuchtturmprojekt für die Dimension Luft ist das Vorhaben „Next Generation Weapon System in einem Future Combat Air System“ (NGWS/FCAS). Dessen Nukleus bildet das gemeinschaftlich zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien entwickelte NGWS. Es wird aus einem Next Generation Fighter (NGF) bestehen, der über eine Air Combat Cloud (ACC) mit unbemannten Remote Carriers (RCs) vernetzt ist. Dieses System der Systeme bildet einen Informations- und Wirkverbund, der seine Aufträge selbst unter widrigsten Bedingungen erfüllen kann.
Besuch der Bundeskanzlerin auf der ILA 2018 (Foto © Mike Auerbach)
Um die ambitionierte Vision eines „System of Systems“ Wirklichkeit werden zu lassen, müssen signifikante Technologiesprünge realisiert werden. So dient der Next Generation Fighter als bemannte Kommandoplattform für die Remote Carrier. Er muss also besonders leistungsfähig ausgelegt sein, um Pilotinnen und Piloten im umkämpften Luftraum zu schützen und gleichzeitig sicher führen und kommunizieren zu können. Dazu benötigt er leistungsstarke Triebwerke, modernste Avionik sowie Mittel, sich der Aufklärung durch den Gegner entziehen oder notfalls gegen Beschuss verteidigen zu können. Das Mehrzweckwerkzeug des NGWS sollen indes die Remote Carrier bilden. Verfügbar in verschiedenen Auslegungen und Rollenprofilen sollen sie die notwendige Flexibilität des NGWS sichern und eine Vielzahl möglicher Missionen durchführbar machen. Dazu müssen diese aber sowohl untereinander als auch mit ihrem verantwortlichen Lfz-Führer zusammenarbeiten können. Dieses Manned-Unmanned Teaming“ erfordert einen technisch anspruchsvollen Grad an Datenaustausch und Koordination, aber eben auch einen gewissen Grad an Eigenständigkeit, der seinerseits auf einem soliden ethischen Fundament ruhen muss. Denn Waffensysteme, die unsere Gesellschaft schützen sollen, werden auch immer ihren menschlichen Werten verpflichtet sein müssen. Dies gilt besonders für den Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), deren Einsatz gerade bei der Bewältigung der schier unvorstellbaren Datenmengen, wie sie in modernen Waffensystemen produziert werden, unerlässlich ist. Der Mensch bleibt der militärische Entscheider, wird aber in Zukunft noch stärker auf einen ganzen Stab künstlich intelligenter Unterstützer zugreifen können – und müssen. Auf der ILA wird das Vorhaben NGWS/FCAS sowohl durch die deutsche Industrie als auch die Luftwaffe in seinen militärischen, technischen und ethischen Aspekten vorgestellt und diskutiert.
Betreuung und konzeptionelle Weiterentwicklung
Doch nicht nur die mehr oder weniger ferne Zukunft der militärischen Luftfahrt gibt es auf der ILA zu entdecken, sondern auch Einblicke in den aktuellen Betrieb. Im Military Support Center (MSC) stellen Industrie und Streitkräfte ihre Kooperation bei der Betreuung der fliegenden Waffensysteme der Bundeswehr vor. Am Beispiel des Eurofighter, des Hubschraubers NH90 und deren hochkomplexer Ausstattung zeigt ein Team aus Bundeswehr, großen Systemhäusern und der mittelständisch geprägten Ausrüstungsindustrie die gemeinsame Arbeit für einsatzbereite Streitkräfte. Dabei wird hier erstmalig auch ein bewusster Fokus auf Nachhaltigkeit im Verteidigungsbereich gelegt. Mit dem „Forum Air“ ist das MSC zudem direkt mit der zentralen Diskussionsplattform rund um Verteidigungsthemen verbunden. Hier tauschen sich Streitkräfte, Industrie und Forschung zum „heute, morgen und übermorgen“ der militärischen Luftfahrt aus.
Die ILA 2022 bietet damit die perfekte Gelegenheit, nach vier Jahren wieder „Innovation and Leadership“ live und in aller Aktualität zu erleben – wir freuen uns auf Ihren Besuch!