Zu den ersten und weitgehendsten Reaktionen schon auf die bloße Möglichkeit der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gehörte die Frage, wie im Falle eines Wegfalles der nukleare Schutzschirm der USA für die NATO ersetzt werden könnte. Bereits während des amerikanischen Wahlkampfes gab es Überlegungen zu einer europäischen Alternative unter Einbeziehung der Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien. Allzu laut wurde dies allerdings nicht diskutiert. Schon um den Eindruck zu vermeiden, dass man Trump bereits als Amtsinhaber sehe und die USA als Bündnispartner abgeschrieben habe – und dieser Entwicklung damit womöglich noch Vorschub zu leisten.
Umso schneller und wuchtiger kehrte das Thema zurück, nachdem die Rede von Trumps Vize J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz, das desaströse Treffen der beiden mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Washington und die allfälligen Twitterismen von Trumps Geld- und Ideengeber Elon Musk die schlimmsten Befürchtungen über den künftigen amerikanischen Kurs zu bestätigen schienen. Noch rechnet niemand mit einem baldigen tatsächlichen NATO-Austritt der USA. Zumal auch der US-Kongress dem zustimmen müsste. Doch als Oberbefehlshaber der Streitkräfte kann Trump praktisch allein entscheiden, in welchem Umfang er den Bündnispflichten nachkommt – wenn überhaupt. Das Vertrauen jedenfalls ist zutiefst erschüttert.
Das Entscheidungsproblem
Der französische Präsident Emmanuel Macron, der schon früher eine Diskussion über eine Ausdehnung des eigenen nuklearen Schutzschirms von Frankreich auf die europäischen Partner angeregt hatte, wiederholte dies nun mit Nachdruck. Diesmal traf er auch auf mehr Interesse, etwa in Deutschland und Polen. Gerade Deutschland stand Konkurrenzmodellen zum bewährten amerikanischen Schutz bislang skeptisch gegenüber. Hinter dem französischen Vorschlag sah man vor allem den Versuch, die Partner an den erheblichen Kosten, aber weniger an den Entscheidungen über den Einsatz des nationalen Nukleararsenals zu beteiligen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sprach in diesem Zusammenhang kürzlich von 14 Milliarden Euro allein für den jährlichen Unterhalt.
Tatsächlich versicherte Macron bei seiner neuen Initiative im gleichen Atemzug den eigenen Landsleuten, dass alle Entscheidungen über einen möglichen Einsatz allein in französischer Hand bleiben würden. Frankreich ist ebenfalls nicht Mitglied der Nuklearen Planungsgruppe der NATO, in der die an der Nuklearen Teilhabe beteiligten Partner über die Nuklearwaffenstrategie des Bündnisses mitentscheiden. Natürlich gilt auch im bisherigen System, dass ein Einsatz letztlich von einer Genehmigung des amerikanischen Präsidenten abhängt. Das „Dual Key“-Prinzip bedeutet in der Praxis lediglich, dass die für diesen Zweck vorgesehenen Trägermittel der Mitglieder bei nationalen Bedenken zu den Folgen nicht für den Einsatz amerikanischer Waffen genutzt würden. Ihre nukleare Verteidigung von den USA erzwingen konnten sie umgekehrt aber nie.

Das „Hamburg gegen New York“-Dilemma
Ob eine amerikanische Regierung sich zur Verteidigung der europäischen Partner tatsächlich auf einen Nuklearkrieg einlassen würde, der in einen strategischen Schusswechsel münden könnte – und damit „Hamburg für New York einzutauschen“, wie ein beliebter Spruch lautet – blieb immer mit einem Restzweifel behaftet. Der NATO-Doppelbeschluss zur Stationierung von Pershing-II-Mittelstreckenraketen und nuklear bestückter Marschflugkörper Gryphon in Europa als Antwort auf die sowjetischen SS-20 beruhte letztlich darauf. Helmut Schmidt, als damaliger deutscher Kanzler treibende Kraft, teilte die Befürchtung anderer Partner. Dass nämlich die USA ohne eine gleichwertige Möglichkeit zur Erwiderung zögern könnten, bei einem Schlag gegen Europa direkt zum Einsatz strategischer Waffen gegen die Sowjetunion zu eskalieren und damit selbst zum Ziel zu werden.
Am Ende war das Ziel stets eine funktionierende Abschreckung – also den Einsatz überhaupt zu vermeiden. Bis zum Erscheinen von Interkontinental- und U-Boot-gestützten Raketen (ICBM und SLBM) sowie der Erfahrung der Kuba-Krise konnten die USA sich ihrer nuklearen Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion weitgehend sicher sein. Die Strategie der „Massive Retaliation“ sah den überwältigenden Einsatz von Kernwaffen auf jeder Ebene als Antwort auch auf konventionelle Angriffe der wiederum in diesem Bereich stark überlegenen Sowjets vor. Die Bedeutung konventioneller Streitkräfte für die Verteidigung sank daher. Ein sowjetischer Gegenschlag schien jedenfalls auf dem amerikanischen Kontinent nach Quantität und Qualität der gegnerischen Waffen handhabbar.
Der Wechsel zur „Flexible Response“
In dem Maße, wie das sowjetische Arsenal mit dem amerikanischen gleichzog und es sogar überholte, konnte diese Annahme nicht mehr gelten. Die Antwort war die neue Doktrin der „Flexible Response“: der Einsatz von Kernwaffen sollte nur noch lageabhängig im notwendigen Umfang erfolgen, ohne unmittelbar zum strategischen Austausch zu führen. Das setzte eine entsprechende Differenzierung der Einsatzmittel voraus. Einmal für die taktische Ebene, um einen konventionell überlegenen Gegner im äußersten Fall doch noch auf dem Schlachtfeld zu schlagen. Dann die substrategische Ebene für Schläge gegen Führungs- und Versorgungseinrichtungen in dessen rückwärtigen Gebiet und schließlich strategische Waffen als ultimatives Abschreckungsmittel.
Gegenüber den Verbündeten war Politik der USA nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst, Entwicklung und Besitz von Kernwaffen zu monopolisieren. Der Atomic Energy Act von 1946 verbot jede Weitergabe entsprechenden Wissens. Was sogar dazu führte, dass britische Wissenschaftler keinen Zugang mehr zu ihren eigenen Beiträgen zum amerikanischen Manhattan-Projekt erhielten. Großbritannien begann daher sein nationales Kernwaffenprogramm von Grund auf neu. Erst nachdem dies zu einer eigenen Fähigkeit geführt hatte, unterstützten die USA die weitere Entwicklung und sicherten sich mit dem gegenseitigem Verteidigungsabkommen von 1958 zudem entscheidenden Einfluss. Großbritannien erhielt umfassenden Zugang zu amerikanischen Waffendesigns und bezog später SLBM vom Typ Polaris, heute Trident, aus einem gemeinsamen Pool mit der U.S. Navy. Seine nationalen Nuklearstreitkräfte stellte es aber auch der NATO zur Verfügung.

Die lieben Verbündeten
Frankreich verfolgte unter der zweiten Präsidentschaft von Charles de Gaulle ebenfalls ein eigenes Nuklearprogramm, das ausdrücklich die Unabhängigkeit von den USA gewährleisten sollte. Nach Aufstellung der „Force de frappe“ zog sich das Land zudem 1966 aus der integrierten Militärstruktur der NATO zurück, blieb aber auf der politischen Ebene Bündnismitglied. Die USA unterstützten die weitere Entwicklung des französischen Nukleararsenals gleichwohl, wenn auch in geringerem Umfang, durch technische Hilfe beim Waffen- und Raketendesign. Zudem lieferten sie Luftbetankungsflugzeuge, ohne die die Bomber vom Typ Mirage IV als erstes französisches Einsatzmittel nicht Moskau hätten erreichen können. Zu diesem Zeitpunkt gab es selbst in kleineren und neutralen Ländern wie Jugoslawien, Schweden und der Schweiz nationale Kernwaffenprogramme, die aber die verfügbaren Mittel überstiegen.
Der Wechsel von „Massive Retaliation“ zu „Flexible Response“ in den 1960er Jahren führte erstmals zu deutlichen Zweifeln in Europa, ob die USA für ihre Verbündeten die Eskalation auf die strategische Ebene riskieren würde. Frankreich sah sich in seinem nationalen Sonderweg bestätigt. Zur Rückversicherung der Europäer schlug die US-Regierung unter John F. Kennedy eine gemeinsame Nuklearstreitmacht in der NATO vor. Diese „Multilateral Force“ sollte U-Boote und Oberflächenschiffe mit multinationalen Besatzungen unter einem gemeinsamen Oberbefehl umfassen, ausgestattet mit amerikanischen SLBM vom Typ Polaris. Der italienische Kreuzer Giuseppe Garibaldi war bereits mit vier Startrohren für diese ausgestattet worden. Testweise wurde auch der Zerstörer USS Biddle als Claude V. Rickets 1964/65 erfolgreich mit einer gemischten Besatzung aus acht NATO-Nationen betrieben.
Die Multilateral Force und der Atomwaffensperrvertrag
Auf Kritik stieß allerdings, dass die Europäer nicht die Mittel zum Bau von entsprechenden Raketen-U-Booten hatten und daher auf weniger überlebensfähige Oberflächenschiffe beschränkt gewesen wären. Neben Frankreich war auch Großbritannien, das 1962 ein bilaterales Abkommen mit den USA zur Unterstützung des Aufbaus einer eigenen nuklearen U-Boot-Flotte geschlossen hatte, gegen das Projekt. Dieses hätte natürlich die Bedeutung der bisherigen Nuklearmächte im Bündnis verringert. Letztlich war neben den USA nur die Bundesrepublik Deutschland zu größeren Investitionen in das Vorhaben bereit. Die kritische Frage, wie die gemeinsame Entscheidung zum Einsatz von Nuklearwaffen geregelt werden sollte – etwa durch einstimmigen oder Mehrheitsbeschluss, und wie praktikabel dies gewesen wäre – wurde bis zur Aufgabe des Projekts nicht geklärt.
Bereits ab 1965 wurde der Atomwaffensperrvertrag ausgehandelt. Dieser schrieb die zu diesem Zeitpunkt existierenden Nuklearmächte fest, garantierte den übrigen Vertragsparteien die friedliche Nutzung der Technologie, verbot ihnen aber den Erwerb von Kernwaffen. Quasi zeitgleich zu seiner Unterzeichnung 1968 wurde die „Flexible Response“ offizielle NATO-Doktrin, was den Stellenwert konventioneller Streitkräfte wieder erhöhte. Die Sowjetunion allerdings kritisierte, dass das bestehende System der nuklearen Teilhabe im Bündnis den Bestimmungen des Sperrvertrags widersprach, wonach die Nicht-Nuklearmächte keine Kernwaffen „erhalten“ sollten. Das westliche Gegenargument lautete, dass die für den Einsatz im äußersten Fall vorgesehenen amerikanischen Waffen ja bis zu diesem Zeitpunkt unter US-Kontrolle blieben.

Die nukleare Teilhabe
Implizit hieß das, dass der Vertrag in einer solchen Situation ohnehin keine Rolle mehr spielen würde, da das Prinzip der Abschreckung versagt hätte. Aus bündnispolitischer Sicht blieb das System notwendig, um die Europäer in die Gestaltung der NATO-Nuklearstrategie einzubinden und ihre Bedenken zu zerstreuen, dass die USA sich vom Prinzip der unteilbaren Sicherheit im Bündnis abkoppeln könnten. Wie bereits erwähnt, diente auch der NATO-Doppelbeschluss diesem Zweck. Zum Ende des Kalten Krieges befanden sich so rund 2.000 Gefechtsköpfe in Europa, im Besitz der beiden europäischen Nuklearmächte, oder waren für den unmittelbaren Einsatz in Europa vorgesehen – nicht eingerechnet Gefechtsfeldwaffen wie Artilleriegeschosse und Nuklearminen oder auch nukleare Gefechtsköpfe für Flugabwehrraketen.
Davon gehörten etwa 250 zu den strategischen Arsenalen Frankreichs und Großbritanniens und knapp 600 zu den amerikanischen Mittelstreckensystemen Pershing II und Gryphon sowie den deutschen Pershing Ia. Rund 350 hätten die französischen Kurzstreckenraketen Pluton und die von sechs Bündnispartnern genutzten amerikanischen Lance bestückt. Der Rest bestand aus luftgestützten Waffen einschließlich der amerikanischen B61 Freifallbomben, die in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Italien und der Türkei für den Einsatz durch Flugzeuge der jeweiligen Nationen gelagert wurden. Nach Ende des Kalten Krieges blieben geschätzte 100 dieser Bomben das einzige Überbleibsel der nuklearen Teilhabe. Deren Sinn wurde nicht nur aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Situation in Frage gestellt. Sondern auch aufgrund der Überlebensfähigkeit der Trägerflugzeuge, die sie über zunehmende Strecken ins unmittelbare Zielgebiet hätten bringen müssen.
Die neue Unsicherheit
Nüchtern betrachtet war dies wohl das am einfachsten weiter zu unterhaltende System, das ohnehin nur noch eine politische Funktion der Rückversicherung für alle Fälle zu erfüllen hatte. Mit der Modernisierung der B61 Mod 12 zu einer Präzisionswaffe und der Einführung der durchsetzungsfähigen F-35 mit Stealth-Eigenschaften als Trägerflugzeug bei den Verbündeten stieg der Einsatzwert wieder. Damit wurde die Rückversicherung in der erneut veränderten Situation seit 2014 mit neuem Leben erfüllt. Durch die aktuellen transatlantischen Verwerfungen steht diese nun grundsätzlich in Frage. Neben den Zweifeln, ob die USA zur Verteidigung Europas auch nur die Nutzung ihrer Waffen im Rahmen der nuklearen Teilhabe gestatten würden, wird zudem eine Abhängigkeit von den USA beim Betrieb der F-35 selbst thematisiert.
Darüber hinaus sind mit der Kündigung sowohl des ABM- als auch des INF-Vertrags – zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen beziehungsweise zum Verbot nuklearer Mittelstreckensysteme in Europa – durch die USA in den letzten beiden Jahrzehnten zwei Eckpfeiler der nuklearen Rüstungskontrolle weggebrochen. Europa sieht sich daher einer Rückkehr der direkten Bedrohung durch russische Raketen wie die bereits in der Ukraine demonstrierte Oreschnik gegenüber. Ohne die USA müsste es seine Verteidigung selbstständig sowohl durch nukleare Abschreckung als auch konventionelle Abwehr gewährleisten. Mit möglichen Lösungsmöglichkeiten befasst sich der zweite Teil dieses Beitrags in der kommenden Woche.
Stefan Axel Boes