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Merz im Mai: Die ersten sicherheitspolitischen Pflöcke

Friedrich Merz, Donald Tusk, Keith Starmer und Emmanuel Macron (v. l.) vor der Abreise in die Ukraine am 9. Mai.
Friedrich Merz, Donald Tusk, Keith Starmer und Emmanuel Macron (v. l.) vor der Abreise in die Ukraine am 9. Mai. (Foto: No. 10 Downing Street)
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Es war immer klar, dass die Regierung Merz keine Zeit haben würde, Regierungshandeln erst mal zu lernen. Schon gar nicht in der Sicherheitspolitik: zu viele, zu drängende Krisen wollen gemanagt werden. Bereits einige Tage Verzögerung durch die im ersten Anlauf missglückte Kanzlerwahl hätten erhebliche Störungen bedeutet. In den ersten 24 Stunden war Friedrich Merz schon zu Gesprächen mit den wichtigsten europäischen Nachbarn in Paris und Warschau angekündigt. Natürlich, theoretisch hätte er die auch zwischen zwei Wahlgängen erledigen können. Das größte Problem wäre dann wohl die Protokollfrage gewesen, wie man einen nun doch noch nicht, aber ziemlich sicher demnächst gewählten Regierungschef empfängt. Entscheidend ist: niemand kann es sich derzeit leisten, auch nur einen Tag unnötig zu verlieren.

Glücklicherweise hatte die neue Regierung den wichtigsten sicherheitspolitischen Pflock schon eingeschlagen, bevor sie überhaupt offizielle Koalitionsverhandlungen aufnahm. Mit der faktischen Ausnahme des Verteidigungshaushalts von der Schuldenbremse und dem Infrastruktur-Sondervermögen in Höhe von einer halben Billion Euro muss sich zumindest die Bundeswehr keine Sorgen mehr ums Geld machen – für den Schuldendienst sind andere zuständig. Da konnte der neue Außenminister Johann Wadephul diese Woche recht gelassen den Vorschlag von NATO-Generalsekretär Mark Rutte unterstützen, die Forderung von Donald Trump an die Verbündeten nach einem Ausgabenziel von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung doch in 3,5 Prozent für das Militär selbst und 1,5 Prozent für relevante Infrastruktur zu teilen.

Normative Kraft macht Fakten

Die eigentlichen Koalitionsverhandlungen liefen dann eher zäh. Sie resultierten aber jedenfalls im Verteidigungsbereich in der Erfüllung so ziemlich der gesamten Wunschliste von Streitkräften, Industrie und Politik – von der weiteren Beschleunigung des Beschaffungswesens bis zur Einrichtung eines lange geforderten Nationalen Sicherheitsrates. Eine größere Ausnahme war die Frage der Wehrform, bei der CDU/CSU die Reaktivierung der Wehrpflicht (noch) nicht durchsetzen konnten. Es reichte nur zu einem qualifizierenden „zunächst“ vor der Entscheidung zur Beibehaltung des Freiwilligkeitsprinzips. Das dürfte einer Sorge auch unter Sozialdemokraten geschuldet sein, dass alle versprochene Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Wertschätzung die Bereitschaft zum Wehrdienst in den kommenden Jahren eben doch nicht im erforderlichen Umfang steigern.

Wie alle Vorstellungen in diesem und jedem anderen Koalitionsvertrag wird die Umsetzung also letztlich weitgehend von der normativen Kraft des Faktischen bestimmt werden. Immerhin ist von einem bruchfreien Weiterlaufen der bisherigen Planungen zur Stärkung der Bundeswehr auszugehen, da der bisherige Verteidigungsminister Boris Pistorius wie vielfach gewünscht im Amt bleibt. Vielleicht wollte die Union auch gar nicht unbedingt einen eigenen Kandidaten auf diesen notorischen Schleudersitz setzen. Jedenfalls machte die Entscheidung Johann Wadephul zum ersten CDU-Außenminister seit Gerhard Schröder im letzten Kabinett Adenauer. Offenbar hat es aus Parteisicht auch Vorteile für das Funktionieren des künftigen Nationalen Sicherheitsrates, wenn Kanzleramt und Auswärtiges Amt auf einer Wellenlänge sind.

Merz macht Ansagen

Bundeskanzler Merz selbst hat mittlerweile die Ansage gemacht, dass die Bundeswehr konventionell zur stärksten Armee Europas werden soll. Was markig klingt, ist eigentlich unausweichlich, wenn Deutschland seine Verpflichtungen in der Landes- und Bündnisverteidigung ernst nimmt. Ob die Stärke dann durch Personalumfang oder Fähigkeiten definiert wird, ist zweitrangig – das Wort „konventionell“ weist aber auf Letzteres hin, da es die europäischen Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien vom Vergleich ausnimmt. Es ist zugleich eine Absage an Forderungen nach eigenen deutschen Nuklearwaffen angesichts von Zweifeln über die Verlässlichkeit des nuklearen Schutzschirms der USA. Die personelle Stärke wiederum wird von der Entwicklung hinsichtlich Wehrdienst und Wehrpflicht abhängen.

Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius, Bundeskanzler, Friedrich Merz, Präsident der Republik Gitanas Nausėda und die Verteidigungsministerin Litauens, Dovilė Šakalienė (vorne, v. l.) beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 in Vilnius.
Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius, Bundeskanzler Friedrich Merz, Präsident der Republik Gitanas Nausėda und die Verteidigungsministerin Litauens, Dovilė Šakalienė (vorne, v. l.) beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 in Vilnius am 22. Mai. (Foto: Bundeswehr/Tom Twardy)

Zum Schwur hinsichtlich Verteidigungsausgaben, Umfängen und Fähigkeiten wird es Ende Juni auf dem NATO-Gipfel in Den Haag kommen. Die Minimum Capability Requirements für die Gesamtheit der Bündnispartner sind schon weitgehend durchgesickert, was zu Diskussionen über zusätzliche deutsche Brigaden und Hauptquartiere geführt hat. Jüngst erklärte der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, dass er auch künftig drei Divisionen im Feldheer erwarte, deren nationale Führungsspanne durch zusätzliche Unterstützungs- und Manöverelemente sowie die integrierten niederländischen Fähigkeiten aber deutlich verbreitert werde. Dazu kämen die deutschen Anteile an Korpstruppen für die beiden „Frontline Corps“ in Stettin und Münster. Noch nicht die Rede war dabei vom Ausbau der Heimatschutzkräfte, die derzeit nominell eine vierte Division bilden.

Eine Brigade macht noch keinen Sommer

Auf die NATO-Forderungen nach Kräften zur Verteidigung der osteuropäischen Partner rechnen diese nicht an, obwohl sie mit der Sicherung der logistischen Drehscheibe Deutschland ebenfalls einen entscheidenden Beitrag für das Bündnis leisten. Die Gelegenheit, die Verbündeten an der russischen Grenze beim wegen des Regierungswechsel verschobenen Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 in Litauen diese Woche der deutschen Verlässlichkeit zu versichern, fiel Merz quasi in den Schoß. Für den Rest der Legislaturperiode wird seine Regierung den Worten Taten folgen lassen müssen. Auf das Ergebnis des NATO-Gipfels darf man jedenfalls gespannt sein. Gerade erst hat ja Donald Trump mit der Ankündigung neuer Zölle auf Importe aus der EU wieder für Stimmung unter den europäischen Verbündeten gesorgt.

Nicht auszuschließen, dass der US-Präsident auf seine typische Art Sicherheits- und Handelspolitik vermischen wird. Entsprechende Andeutungen gab es schon kurz nach seinem Amtsantritt. Friedrich Merz durfte kürzlich bereits Erfahrungen mit Trumps Stil – oder dessen Fehlen – sammeln. Als dieser nämlich zunächst die deutsch-französisch-britisch-polnische Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine unterstützte, um dann sofort auf Wladimir Putins Gegenvorschlag zur Wiederaufnahme der 2022 gescheiterten Friedensverhandlungen in Istanbul aufzuspringen. Dass die europäische Initiative einen recht zahnlosen Eindruck hinterließ, liegt allerdings auch daran, dass von den angedrohten neuen Sanktionen bei einer russischen Verweigerung des Waffenstillstands bislang nichts zu sehen ist.

Zumindest führte sie aber dazu, dass Russen und Ukrainer tatsächlich das erste Mal seit drei Jahren wieder an einem Tisch sitzen und den bisher größten Austausch von Kriegsgefangenen vereinbarten. Zuvor geschah dies durch Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate. Merz und seine Kollegen können sich das als Minimalerfolg und hoffentlich einen ersten kleinen Schritt zu weiteren Verhandlungen anrechnen. Auf der anderen Seite stellt sich für den Kanzler nun konkret die Frage nach der als Oppositionsführer mit Nachdruck befürworteten Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Dass einer der ersten Schritte der neuen Bundesregierung war, die bislang recht transparente Veröffentlichung der deutschen Militärhilfe für das angegriffene Land einzustellen, lässt da durchaus Interpretationsspielraum.

Stefan Axel Boes

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