Von Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Unterabteilung VII
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat nicht nur politische und militärische Veränderungen ausgelöst, sondern bietet dem Sanitätsdienst der Bundeswehr wichtige Einblicke. Diese Beobachtungen wurden daher zum Anlass genommen, bisherige Planungen kritisch zu überprüfen und bisher getroffene Annahmen und Rationale zu hinterfragen und auf Kriegstauglichkeit zu testen. Nachfolgende Erkenntnisse und Ableitungen bieten einen Einblick in die laufende Analyse und beleuchten insbesondere aus der deutschen Sichtweise heraus potenzielle Erkenntnislinien für die Militärsanitätsdienste der NATO. An dieser Stelle sei bereits betont, dass der Sanitätsdienst der Ukraine mit enormen Herausforderungen konfrontiert war und noch immer ist.
Dabei hat sich gezeigt, dass neben vielen anderen Faktoren ein gut funktionierender Sanitätsdienst mit einer robusten und belastbaren Rettungskette von besonderer Bedeutung für die Moral, die Funktion und den Einsatzwert der Streitkräfte ist. Es lassen sich eine Vielzahl an Parallelen identifizieren, die auch den Sanitätsdienst der Bundeswehr in der Weiterentwicklung voranbringen. Gleichwohl stellen die Entwicklungen in der Ukraine keine vollumfängliche Blaupause für einen möglichen künftigen Konflikt dar, auf den sich die deutschen Streitkräfte vorbereiten sollten. Im Wesentlichen lassen sich die Beobachtungen auf neun Erkenntnislinien konzentrieren.
Schutzniveau des Roten Kreuzes
Ähnlich wie in den Konflikten in Syrien, Afghanistan und im Irak entfaltet auch in diesem Konflikt das Rote Kreuz als Schutzzeichen kaum Wirkung. Au contraire werden Einrichtungen und Fahrzeuge mit Schutzzeichen als lohnende Ziele angegriffen, um nachhaltigen materiellen und personellen Schaden zu erzeugen und die Truppe zu demotivieren. Bestehende sanitätsdienstliche Versorgungsdefizite werden dadurch im Verlaufe des Konfliktes nur noch aggraviert. Daher ist – entgegen des weitläufigen Irrtums, das Schutzzeichen allein reiche aus – ein Schutz- und Mobilitätsniveau für die Sanitätskräfte zu realisieren, das dem der zu unterstützenden Truppe entspricht. Beide Entitäten bewegen sich im selben Raum und unterliegen der gleichen Gefährdung. Die Forderungen nach geschützten Fahrzeugen und geschützten hochmobilen Einrichtungen dienen dabei sowohl dem Schutz und der Versorgung der anvertrauten Patienten als auch des eigenen Personals. Zusätzlich ist die Resilienz des Sanitätsdienstes durch eine ausreichende personelle und materielle Hinterlegung zu steigern, um eventuelle Verluste ohne signifikante Einbußen in der medizinischen Versorgung ausgleichen zu können.
Ausfallraten
Mit fast einem Fünftel liegt die Zahl der Gefallenen im Ukrainekonflikt deutlich höher als die von der NATO kalkulierte Ausfallrate, welche auch als Grundlage für die deutschen Planungsrationale verwendet wurde. Dabei liegt den Ausfallraten der NATO die Annahme zugrunde, dass in etwa gleichwertige Gegner aufeinandertreffen. Als klare Konsequenz lässt sich hieraus ableiten, dass ein nicht ausreichend dimensionierter Sanitätsdienst zu unverhältnismäßig höheren Verlusten nach Kampfhandlungen führt. Die von der NATO geforderten Zeitlinien zur Versorgung von Verwundeten beruhen auf aktuell gültigen medizinischen Forschungsgrundlagen. Diese Studien zeigen, dass die Überlebenschancen eines Verwundeten erheblich sinken, wenn er nicht innerhalb der ersten Stunde einer notfallmedizinischen Behandlung zugeführt werden kann. Eine stabile Rettungskette unter Einhaltung der geforderten Zeitlinien für die medizinische Behandlung garantiert am Ende die Rettung von Menschenleben bzw. Überlebensqualität. Dazu werden aber in ausreichendem Maße ausgebildetes und einsatzbereites Personal, Patiententransportmittel und Behandlungseinrichtungen für einen flexiblen Einsatz als Elemente einer Rettungskette benötigt.