Hamburg, 14.05.2020 – Mindestabstand wahren, Atemschutzmaske tragen, Menschen-ansammlungen meiden: Das Coronavirus hat unser Leben in kürzester Zeit auf den Kopf gestellt. Das gilt auch für die Voraus-Pressekonferenz zur SMM, der internationalen Leitmesse der maritimen Wirtschaft: So begrüßte Hamburgs Messechef Bernd Aufderheide seine Gäste in diesem Jahr nicht physisch, sondern im digitalen Raum. Per Videochat waren ihm die Panelteilnehmer sowie mehrere Dutzend hochkarätige Medienvertreter aus aller Welt zugeschaltet. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Hamburg Messe und Congress ging zunächst auf die Verschiebung der SMM ein. „Die immer noch sehr dynamische Entwicklung der Pandemie sowie die damit einhergehenden Verbote von Großveranstaltungen haben uns dazu bewogen, die SMM auf Februar 2021 zu verschieben. Die überwiegende Mehrheit der Aussteller zieht bei dem neuen Termin mit. Wir bekommen viel positives Feedback. Das bestärkt uns darin, richtig gehandelt zu haben“, so Aufderheide. Der Messechef blickt optimistisch in die Zukunft: „Gemeinsam werden wir diese Krise überwinden und eine SMM veranstalten, die den gewohnt hohen Standards entspricht.“
Den Anspruch, die gesamte Wertschöpfungskette der maritimen Wirtschaft abzubilden, spiegelt bereits das Panel im Rahmen der Voraus-Pressekonferenz. Von Reedern über Zulieferer bis zur Klassifikationsgesellschaft – auf dem digitalen Podium saßen führende Repräsentanten der Schlüsselsektoren. Das bestimmende Thema: Corona und seine Auswirkungen auf die maritime Transformation.
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Verlangsamte Globalisierung
Die maritime Industrie sieht sich mit dem Klimawandel, der Digitalisierung und jetzt zusätzlich mit der Coronakrise konfrontiert. Veränderungen, die „ein ähnliches Ausmaß erreichen werden wie der Wechsel vom Segel- zum Dampfschiff“, sagte Martin Stopford, Präsident von Clarkson Research. Man dürfe dabei nicht übersehen, dass sich das Handelswachstum bereits vor Corona verlangsamt habe. „Wir treten in eine Ära ein, in der die Globalisierung nicht mehr das dominante Thema ist. Ich bin mir sicher, dass wir mehr Kurzstreckenseeverkehr und lokale Fertigung erleben werden“, so Stopford. Er hält drei Szenarien für die Schifffahrt nach Corona für möglich: Im besten Fall nimmt der Seehandel im Jahr 2023 wieder zu und wächst um 3,2 Prozent pro Jahr. Das zweite Szenario sieht eine ausgedehnte Rezession mit einem Rückgang des Welthandels um ein Prozent zwischen 2020-2024 und ein anschließendes Wachstum von 2,2 Prozent vor. „Im letzten und schlimmsten Fall kommt es zu einer ausgedehnten Rezession mit einem Rückgang des Seehandels um 17 Prozent bis 2024“, prophezeit Stopford. In der Brennstofffrage rechnet der renommierte Schifffahrtsexperte mit drei Innovationswellen. „Diesel ist ein wunderbarer Stoff, und es wird nicht einfach sein, ihn zu ersetzen“, sagte Stopford. Zunächst werde es optimierte Schiffe mit konventionellem Antrieb geben. Daraufhin folgen in der zweiten Welle Gas- und Hybrid oder Elektroschiffe mit niedrigen Emissionen, fortschrittlichen digitalen Systemen und Batterien. Die letzte Welle bringe schließlich Zero-Emission-Schiffe, die mit Brennstoffzellen fahren.
Support für Zulieferer
Ein Weg, bereits jetzt Emissionen einzusparen, ist Windkraft. Darauf setzt etwa Cristina Aleixendri, COO bei bound4blue. Aleixendri glaubt, dass die Pandemie der Branche viele Chancen eröffnet. „Corona könnte die treibende Kraft sein, um die Ziele der Dekarbonisierung noch vor 2050 zu erreichen.“ Das katalanische Start-up leistet dazu seinen Beitrag: Bound4blue hat das intelligente Segelsystem „Wingsail“ entwickelt. „Damit sparen die Reedereien bis zu 40 Prozent Brennstoff und die entsprechenden Emissionen ein“, sagte Aleixendri, die es 2019 in die Forbes-Liste „30 under 30“ geschafft hat. „Grüne Technologien und Digitalisierung haben das Ziel, Emissionen und Kosten zu senken. Sie müssen von Anfang an aus eigener Kraft profitabel sein – ohne Subventionen“, so Aleixendri. Doch wie steht es in Zeiten der Krise um die Investitionsbereitschaft der Kunden? Diese Frage treibt auch Dirk Lehmann, Managing Director des Hamburger Unternehmens Becker Marine Systems und stellvertretender Vorsitzender von SEA Europe, um. Er forderte weitreichende Zugeständnisse und Hilfe von der Politik: „Werften und maritime Zulieferer sind eine wesentliche Säule des Seetransportsektors. Diese Unternehmen und ihre Belegschaften spüren die Auswirkungen der Pandemie extrem“, sagte Lehmann. „Sie brauchen die Unterstützung der politischen Entscheidungsträger. Nur so kann die Versorgung mit Gütern weiterlaufen und der technologische Fortschritt in Europa gewährleistet werden.“
Weiterhin grüner Kurs
Intelligente Transportlogistik hält die Lieferketten aufrecht – gerade in Zeiten von Corona eine lebenswichtige Funktion. Für die Seeleute ist das eine schwere Bürde. Viele befinden sich bereits seit Monaten an Bord. Sie müssen die Touren ihrer Kollegen übernehmen, da ein Crew-Wechsel und eine Rückkehr in die Heimat wegen der Ansteckungsgefahr nicht möglich sind. Für Sadan Kaptanoglu, Präsidentin des Internationalen Reederverbandes BIMCO, sind die Seeleute die vergessenen Helden der Krise. Die Regierungen auf der ganzen Welt sollten sie als das anerkennen, was sie sind – Schlüsselkräfte, die dafür sorgen, dass der Welthandel weiterhin funktioniert. Die Regierungen müssten alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Crew-Wechsel in den Häfen zu erleichtern. Der Klimawandel bleibe bestimmendes Thema: „Es ist zwar nicht überraschend, dass die Umweltprobleme derzeit nicht die Schlagzeilen bestimmen, doch die Industrie ist nach wie vor fest entschlossen, ihr vorrangiges Ziel der Halbierung ihrer Treibhausgasemissionen bis 2050 zu erreichen.“
Digitale Praxis
Im Krisenmodus bewegt sich auch die Klassifikationsgesellschaft DNV GL – und ist zugleich gut vorbereitet: Seit der Einführung des Ferndiagnose-Tools DATE (Direct Acess to Technical Experts) im Jahr 2018 hat DNV GL bereits mehr als 15.000 Besichtigungen aus der Ferne durchgeführt. „Wir haben uns in den letzten Jahren bereits intensiv mit dem Thema vertraut gemacht. Der einzigartige DNV GL-Service DATE ermöglicht es, die Sicherheit und Einhaltung von Vorschriften durch den Einsatz moderner Technologie an Bord zu gewährleisten“, sagte Knut Ørbeck-Nielssen, CEO von DNVGL – Maritime. Flexibilität ist in diesen Zeiten Trumpf. So geben die Norweger den Kunden mehr Spielraum: „Wir wissen, dass sich viele Schiffseigner aktuell in einer schwierigen Lage befinden. Deshalb gewähren wir ihnen die Verschiebung von Besichtigungen mit Berufung auf die Klausel der höheren Gewalt“, sagte Ørbeck-Nielssen. Inmitten jeder Krise gebe es auch die Chance, besser zu sein. „Wir stehen an der Schwelle zu einer Renaissance der Schifffahrt und der maritimen Industrie. In nur wenigen Monaten hat die Pandemie die Digitalisierung um ein halbes Jahrzehnt vorangetrieben.“
Corona-Krisenmanagement, Green Shipping, Digitalisierung: Die SMM Voraus-Pressekonferenz hat den Teilnehmern rund acht Monate vor Messestart einen Vorgeschmack auf die bestimmenden Themen der Branche gegeben. Nicht zuletzt die geplanten Fachkonferenzen dürften hier weitere interessante Erkenntnisse bringen. „Wir freuen uns darauf, im Februar Besucher aus über 120 Ländern zu begrüßen. Sie treffen in Hamburg auf Aussteller, die mit ihren innovativen Produkten und Dienstleistungen den Stand der maritimen Technik repräsentieren”, sagte Bernd Aufderheide, Vorsitzender der Geschäftsführung Hamburg Messe und Congress, abschließend.
Weitere Informationen gibt es unter www.smm-hamburg.com.