Interview mit Generalmajor Carsten Breuer, Kommandeur Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr, derzeit Leiter Corona Krisenstab im Bundeskanzleramt
Sehr geehrter Herr General, wie lautet der Auftrag des Krisenstabes und wie setzen Sie diesen Auftrag um? Der Bundeskanzler hat zu Beginn sehr klar gesagt, worin unsere Aufgabe besteht. Er wollte, dass wir uns die Impf- und Testlogistik ansehen, wir uns um die Patientenverlegung in Deutschland kümmern und vor allem auch die Nachhaltigkeit aller Maßnahmen auch für den nächsten Herbst in den Blick nehmen. Das waren die ersten vier Handlungslinien. Als Endes vergangenen Jahres deutlich geworden ist, dass die Omikron-Welle zu einer starken Belastung unserer Kritischen Infrastrukturen führen könnte, haben wir mit KRITIS eine wesentliche, fünfte Handlungslinie für unsere Arbeit definiert. Nach einer kurzen Vorwarnzeit, im Grunde über ein Wochenende hinweg, haben wir in der ersten Dezemberwoche mit gut zehn Soldatinnen und Soldaten unsere Arbeit aufgenommen und eine Lagefeststellung begonnen. Dabei hat sich sehr schnell herausgestellt, dass unser vordringlichstes Problem die Impfstoffversorgung und -infrastruktur war. Neben der Koordinierung der Bundesressorts haben wir auch die bessere Koordinierung zwischen Bund und Ländern als unsere Aufgabe verstanden. Beides zusammen zu einem umfassenden Lagebild zu verbinden, hat die notwendige Transparenz zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den Ländern hergestellt. Wie es sich für eine ordentliche Lagefeststellung gehört, haben wir auch ins Gelände geblickt – das waren und sind Reisen in die Länder. Neben dem engen Austausch mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder und den jeweiligen Fachministern hat das auch den Blick auf länderübergreifendes Best Practice eröffnet: Was macht ein Land besonders gut, um ein Problem zu lösen, und was kann ein anderes Land davon lernen? Und lassen Sie mich das noch ergänzen, das rüttelt nicht am Föderalismus – ganz im Gegenteil. Wir nutzen die regionalen Stärken, kombinieren diese mit Best Practice und machen so aus einem Flickenteppich ein fest geknüpftes, in seinen Farben abgestimmtes Webstück. Was in Flensburg gut ist, muss nicht für Bayern gelten.
Wie ist der Stab zusammengesetzt, welche Befugnisse haben Sie? Lassen Sie mich hier noch einen Schritt zurückgehen. Am Anfang musste der Krisenstab schnell – quasi über ein Wochenende – aufwachsen. Ich bin sehr dankbar, dass ich in dieser Phase auf Soldaten zurückgreifen konnte, die schnell bei dieser wichtigen Aufgabe anpacken konnten. Zügig wurde der Stab auch mit Mitarbeitern aus anderen Ressorts und Organisationen besetzt. So zum Beispiel dem RKI, dem BMG, dem BMI und von der Bundespolizei. Als uns aus der Lage klar wurde, dass auf die Kritischen Infrastrukturen in Deutschland eine besondere Belastung zukommt, haben wir das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit dazu genommen. In Spitzenzeiten umfasste das Team gut 30 Experten. Der Krisenstab atmet in seinen personellen Strukturen und ist damit sehr flexibel. Tailored to the mission. Und dieses Prinzip bewährt sich. Die aktuellen Inzidenzen führen zu erheblichen Ausfällen des Personals bei KRITIS von bis zu 40 Prozent. Wir haben unter enger Beteiligung des BBK frühzeitig Maßnahmen ergriffen: zum Beispiel Lieferketten anfüllen lassen und das Sonntagsfahrverbot in Teilen aufheben lassen. Das führt dazu, dass wir heute trotz dieser besonderen Belastung keine spürbaren Auswirklungen haben. Und zum Stichwort Befugnisse: Über die Befugnisse habe ich mir von dem Moment an keine Gedanken mehr gemacht, als der Bundeskanzler deutlich sagte, dass dieser Stab direkt bei ihm angesiedelt ist. Es gab Wochen, da habe ich den Bundeskanzler jeden Tag gesprochen. Ich bin für ihn immer erreichbar, er aber für mich auch. Diese Koordinierung aus dem Bundeskanzleramt heraus haben wir ressortübergreifend als Vorteil zur Krisenbewältigung nutzen können.
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Woher gewinnen Sie ihre Informationen und wie werten Sie diese aus? Lassen Sie mich kurz unseren Battle Rhythm skizzieren. Wir beginnen jeden Morgen mit einer gemeinsamen Lage, in der die verschiedenen und für uns relevanten Bereiche Impfen, Gesundheit, Logistik, KRITIS, Kommunikation und andere mehr vortragen. Dies ergänzen wir mit den regelmäßig vom Krisenstab durchgeführten Runden mit den Bundesressorts und mit den Ländern. Zudem fließen die Ergebnisse des Expertengremiums, an dem wir auch immer teilnehmen, in unser Lagebild ein. All das werten meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus und leiten daraus Bewertungen und Handlungsempfehlungen ab, die wir dem Bundeskanzler tagesaktuell für seine Entscheidungen zur Verfügung stellen. Dieses umfassende Lagebild speist sich aus verschiedenen Quellen. Dem Austausch mit den Ländern kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Das akute Krisenmanagement geht jetzt langsam zu Ende. Jetzt muss es darum gehen, wie wir uns für den nächsten Herbst aufstellen. Das ist das, was ich in der Handlungslinie Nachhaltigkeit beschreibe. Hierzu erarbeiten wir jetzt mit den Ressorts und Ländern gemeinsam einen Maßnahmenkatalog.
Wie fließen Ihre Vorschläge und Erkenntnisse in die Entscheidungsfindung ein? Eine politische Entscheidung ist anders als ein militärischer Führungsprozess. Es sind mehr Entscheider involviert, als das im Militärischen der Fall ist. Und es geht meist um das Erreichen eines Konsenses. Dieses Ringen um den Konsens unterstützen wir durch unsere Impulse, die wir aus unserer Lagebewertung generieren. Ich sehe, dass wir mit unseren Erkenntnissen eine gute Basis für die politischen Entscheidungen bieten und ich stelle auch fest, dass der Kanzler unsere Bewertung explizit immer wieder einfordert. Wir sind also in der Tat ganz nah dran.
Zum Corona-Krisenmanagement insgesamt: Was läuft aus Ihrer Sicht gut? Wo muss nachgebessert werden? Wir denken oft zu negativ. Wir haben in dieser Corona-Pandemie viel erreicht. Nehmen Sie zum Beispiel die Tatsache, dass heute drei von vier Deutschen geimpft sind – das ist ein Erfolg. Noch vor 17 Monaten wussten wir noch nicht, ob es überhaupt jemals einen wirksamen Impfschutz geben wird. Heute kann sich jeder und jede zu jeder Zeit überall mit einem geeigneten Impfstoff impfen lassen – die Impfstoffversorgung und die Logistik geben das heute her – auch das ein Erfolg. Darauf können wir stolz sein. Aber in der Tat, jetzt kommt es darauf an, dass wir uns nicht auf diesem Erfolg ausruhen. Das Virus stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen und erfordert enorm viel Flexibilität von uns. Jetzt kommt es darauf an, dass wir für den Herbst gut gerüstet sind. Eine der Aufgaben, die der Kanzler mir gegeben hat, war es ja auch, diese Nachhaltigkeit zu denken. Deshalb arbeiten wir jetzt an Konzepten, die uns helfen werden, künftigen Wellen besser zu begegnen. Denn diese werden kommen – Corona ist nicht zu Ende! Das ist aber nicht nur eine Aufgabe des Corona- Krisenstabes, sondern eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Auch hier ist die Eigenverantwortung eines jeden gefordert. Als Soldat denke ich aber immer auch in Worst-Case- Szenarien. Ich denke aber auch daran, wie ich mich am besten schützen kann. Ich habe in diesem Zusammenhang häufig das Bild der Schutzweste genutzt, ohne die ich als Soldat nie in den Einsatz ginge. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass unsere Schutzweste gegen Corona das Impfen ist – nur so kommen wir langfristig aus dieser Krise heraus!
Sehr geehrter Her General, vielen Dank für die interessanten Informationen!