Nachdem es quasi in letzter Minute noch etwas parteipolitisches Drama gab, hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zum Neuen Wehrdienst am Mittwoch dieser Woche dann doch unfallfrei verabschiedet. Wenige Tage zuvor hatte das CDU-geführte Außenministerium einen Ministervorbehalt eingelegt, nur um diesen nach „Klärung der maßgeblichen Punkte“ am Montag zurückzuziehen. Kanzler und Regierungssprecher erklärten das anschließend zu einem ganz normalen Vorgang. In der SPD schien man die eigentlichen Urheber im Bundestag zu vermuten und zeigte sich irritiert, dass man dort schon vor der parlamentarischen Beratung in einen Gesetzestext eingreifen wolle. Verteidigungsminister Boris Pistorius verwies dazu nach erfolgtem Beschluss auf die alte Weisheit, dass ohnehin kein Gesetz das Parlament so verlasse, wie es hineingekommen sei.
Hintergrund sind natürlich die fortbestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Union und Sozialdemokraten, wie sehr man eine mögliche Wiederbelebung der Wehrpflicht bereits jetzt im Text verankern solle. Erst kürzlich war in der Ressortabstimmung noch ein Passus gestrichen worden, nachdem dies automatisch geschehen solle, wenn der Bundestag innerhalb von drei Wochen nach festgestelltem Bedarf keinen Beschluss dazu fasse. Darauf dürfte die SPD-Seite bestanden haben, die nach Kritik der Jungsozialisten in einem halbgaren Parteitagsbeschluss festgestellt hatte, dass man keine aktivierbaren Regelungen wolle. Aus der Unionsfraktion im Bundestag kamen zuletzt Forderungen, die jährlichen Rekrutierungsziele verbindlich festzuschreiben, um einen harten Maßstab für die Erfüllung des Bedarfs zu haben.
Lebhafte Beratungen sind praktisch garantiert
Davon ist im Text nun keine Rede. Die Ziele, im kommenden Jahr 20.000 und in den darauffolgenden jeweils 23.000, 28.000, 33.000 und 38.000 Rekruten zu gewinnen, bleiben bloße Richtlinie. Das gibt der Bundesregierung einen Ermessensspielraum, wenn sie in den von Bundeskanzler Friedrich Merz auf der anschließenden Pressekonferenz genannten „ein, zwei, drei Jahren“ – also auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode – den Erfolg beurteilen wird. Hält sie es für nötig, kann sie dann durch Rechtsverordnung einen verpflichtenden Grundwehrdienst mit einer Dauer zwischen sechs und zwölf Monaten festlegen. Dem müsste der Bundestag, nicht aber der Bundesrat, zustimmen. Die Jusos betrachten allerdings schon das als Verletzung des SPD-Parteitagsbeschlusses. Wobei dieser auch feststellt, dass man reagieren können müsse, wenn es der Bedarf erfordert.
Da es andererseits in CDU und CSU weiterhin erklärte Bestrebungen zur Nachschärfung gibt, ist ein lebhafter Beratungsvorgang im Bundestag praktisch garantiert. Was der Sache in ihrer Bedeutung gerecht würde und der gesellschaftlichen Debatte nur dienlich sein kann. Allerdings entspricht die Fallhöhe direkt der Breite und Tiefe der Debatte: wenn die unterschiedlichen Positionen mangels Kompromissbereitschaft zu einer Verschleppung der Entscheidung führen, würde dies das zeitgerechte Inkrafttreten der Regelungen zur Attraktivitätssteigerung, der Wehrerfassung per Fragebogen ab nächstem Jahr und die Wiedereinführung verpflichtender Musterungen ab 2027 gefährden. Zumal der ganze Prozess ohnehin schon eine knapp zehnmonatige Verzögerung durch den Bruch der Ampelkoalition und die Neuwahlen mit sich herumschleppt.

Attraktivität ist interpretationsfähig, Bedarf auch
Unabhängig von den vielfach geäußerten Zweifeln, ob die angestrebten Zahlen am Ende ohne Wehrpflicht zu erreichen sind, ist der Bundeswehr natürlich ein hohes Freiwilligenaufkommen zu wünschen. Mangelnde Bemühungen um Attraktivität im Gesetzentwurf dürften zumindest kein Problem dabei sei. Nicht nur werden künftige Rekruten einheitlich nach der Besoldungstabelle für Zeit- und Berufssoldaten statt für Wehrdienstleistende bezahlt. Minister Pistorius hat für Verpflichtungen von mehr als sechs Monaten auch attraktive Ausbildungsinhalte wie Sprachkurse versprochen. Vielleicht am wichtigsten für viele dürfte bei den heutigen Kosten für den Führerscheinerwerb der ausdrücklich im Gesetzestext geregelte Zuschuss von bis zu 3.500 Euro hierzu ab einer Dienstzeit von zwölf Monaten sein. Ein Anreizsystem für längere Verpflichtungen ist also erkennbar.
Ob damit und weiteren Maßnahme wie der stufenweise steigenden Dauer von Übergangsgebührnissen und Berufsförderung bereits ab einjährigem Dienst „alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind“, wie es der SPD-Parteitag formulierte, ist genauso interpretationsfähig wie wann „die sicherheitspolitische Lage oder die Bedarfe der Bundeswehr“ eine Reaktion erfordern. Pistorius verbreitet jedenfalls Zuversicht und wies darauf hin, dass im laufenden Jahr noch vor Verabschiedung des Gesetzentwurfs bereits 13.000 von 15.000 für 2025 angestrebten Freiwilligen gewonnen werden konnten. Man möchte zumindest annehmen, dass er von tatsächlichen Einstellungen und nicht nur Bewerbungen sprach. Und hoffen, dass nach der üblichen Abbrecherquote von 25 bis 30 Prozent innerhalb von sechs Monaten das Jahresziel immer noch erreicht wird.
Und dann war da noch die Sicherheit
Neben dem Wehrdienstgesetz gingen die beiden anderen Vorhaben, die das Kabinett bei seiner ersten Sitzung im Verteidigungsministerium seit 19 Jahren verabschiedete, etwas unter. Eines davon war der Entwurf des Gesetzes zur Steigerung der Sicherheit der Bundeswehr, das unter anderem erweiterte Befugnisse für Feldjäger und Militärischen Abschirmdienst vorsieht – nicht zuletzt im Hinblick auf Tätigkeiten in Litauen rund um die dort stationierte Panzerbrigade 45, aber auch in und um Kasernen in Deutschland. Für neue Rekruten wird ein einfacherer „Verfassungstreue-Check“ statt der bisherigen langwierigen Sicherheitsüberprüfung eingeführt. Letztere wurde nach Aufregung über Extremisten diverser Couleur in der Truppe seit 2017 bei allen Neueinstellungen angewandt, erwies sich aber als personell und zeitlich zu aufwändig.
Fast im Nebensatz beschloss das Kabinett auch noch die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates. Für diesen recht bedeutenden Schritt, der von Verfechtern praktisch schon seit Jahrzehnten gefordert wurde, war die öffentliche Darstellung der Bundesregierung über das Eigenlob des Kanzlers für die jetzige schnelle Umsetzung hinaus bemerkenswert dürftig. Künftig soll ein Kabinettsausschuss aus neun relevanten Ministerinnen und Ministern unter Vorsitz des Bundeskanzlers das Wissen aus ihren Ressorts zur nationalen Sicherheit bündeln und abschließende Entscheidungen treffen können, strategische Vorausschau und Planung leisten, und auch Krisensimulationen und sicherheitspolitische Übungen durchführen. Dahinter verbirgt sich – endlich – ein kohärenter langfristiger Ansatz zum sicherheitspolitischen Regierungshandeln. Angesichts der Sicherheit, die notwendigerweise die Aktivitäten des Rates selbst umgeben wird, ist dazu allerdings vielleicht auch öffentlich nicht mehr zu sagen.
Stefan Axel Boes



