Von Klaus-Peter Willsch MdB, Vorsitzender der überfraktionellen Parlamentsgruppe Luft- und Raumfahrt im Deutschen Bundestag
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt Deutschland und seine Verbündeten zum sicherheitspolitischen Alarmstart. Plötzlich wird das eigentlich Undenkbare Realität: Im Vorhof der Europäischen Union tobt ein Krieg, werden Städte zerbombt und unbeteiligte Zivilisten willkürlich getötet. Das alles ist sicher ein Schock — eine Überraschung aber keinesfalls. Zu deutlich waren die Signale, die sich seit Herbst 2021 häuften. Spätestens als die Truppenstärke an der ukrainischen Grenze Anfang 2022 auf über 150.000 Mann angewachsen war, Jagdfliegerregiment um Jagdfliegerregiment auf den grenznahen Flugfeldern auftauchte und Hubschrauberstaffeln praktisch auf freiem Feld stationiert wurden, musste mit dem Schlimmsten gerechnet werden.
F-35 auf der ILA 2018 (Foto © HHK/Lindhorst)
Blickt man noch weiter zurück, so wird klar, dass sich Russland bereits mit seinen völkerrechtswidrigen Aktionen im Donbass seit 2014, der Annexion der Krim und den Kriegsverbrechen im syrischen Bürgerkrieg nachhaltig aus der europäischen Nachkriegsfriedensordnung verabschiedet hat. Wir müssen es so deutlich benennen: Russland ist, zumindest aktuell, eine gegnerische, eine aggressive Macht und das in unserer direkten Nachbarschaft. Der Umgang damit wird die Außen- und Sicherheitspolitik auf absehbare Zeit dominieren.
Gleich zu Beginn des als „spezielle militärische Operation“ verharmlosten Überfalls schlug die handstreichartige Einnahme der Hauptstadt Kiew vollkommen fehl. Dennoch zählt der „Traum“ der ukrainischen Luftfahrt zu den frühen Opfern der russischen Aggression. Ein Granatentreffer setzte den Hangar der weltweit einzigen Antonow An-225 „Mrija“, ukrainisch für Traum, in Brand und zerstörte das größte Frachtflugzeug der Welt, eine Ikone der globalen Luftfahrt. Wenig später tauchten die ersten Fotos vom ausgebrannten Wrack der Maschine auf.
Dabei war die An-225 eigentlich eine sowjetische und später dann ukrainische Erfolgsgeschichte. In den 1980er-Jahren ursprünglich für den Huckepack- Transport sowjetischer Raumfähren entwickelt, wurde das Doppelgespann aus „Mrija“ und „Buran“ der Weltöffentlichkeit erstmals 1989 auf dem Aero Salon in Paris präsentiert. Von ursprünglich drei geplanten An-225 wurde nur eine realisiert, ein zweites Modell halb fertig eingelagert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des „Buran-“Programms 1994 wurde die „Mrija“ vorläufig stillgelegt, bis sie dann 2001 für den weltweiten Transport von Schwerstlasten wieder reaktiviert wurde. 2018 war die An-225 ein Überraschungsgast auf der ILA in Berlin-Schönefeld. Die An-225 „Mrija“ war das fliegende Aushängeschild der Ukraine.
Klaus-Peter Willsch (CDU) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis 178 Rheingau-Taunus – Limburg (Foto ©Tobias Koch)
Antonow will das zerstörte Flugzeug auferstehen lassen wie Phönix aus der Asche. Nicht die zerstörte Maschine, sondern die halb fertig eingelagerte zweite Schwester. Abseits von allen Wirtschaftlichkeitserwägungen wäre eine neue „Mrija“ natürlich ein großartiges Symbol, ein Symbol für die Überwindung des Krieges.
Wenig überraschend werden Verteidigung und internationale Kooperation zwei der bestimmenden Themen den ILA Berlin 2022 sein. Nach dem pandemiebedingten digitalen Ersatzformat „ILA Goes Digital“ 2020 gastiert Deutschlands bedeutendste Luft- und Raumfahrtausstellung vom 22. bis 26. Juni 2022 erstmals auf dem inzwischen eröffneten Hauptstadtflughafen BER. Wie auch bei der letzten ILA im Jahre 2018 wird die Bundeswehr der größte Aussteller der Messe sein. Ein besonderes Highlight der ILA wird das FCAS-Programm (Future Combat Air System), mit dem Deutschland, Frankreich und Spanien die europäische Sicherheitsstruktur stärken. In diesem technologischen Leuchtturmprojekt arbeiten unter anderem Kampfflugzeuge und unbemannte Plattformen intelligent und vernetzt zusammen und bilden ein smartes System der Systeme für die militärischen Herausforderungen der Zukunft.
Ein besonders prominenter Gast auf der ILA 2022 wird die auch schon 2018 ausgestellte F-35 von Lockheed Martin sein, derzeit sicher das fortschrittlichste Kampfflugzeug der Welt, für das auch eine deutsche Kaufabsicht als Tornado-Nachfolge hinterlegt ist. Innerhalb der NATO ist die Bundeswehr eingebunden in das Konzept der „Nuklearen Teilhabe“. Im Konfliktfall entscheiden die teilnehmenden Staaten über den Einsatz von Atomwaffen, die selbst unter US-amerikanischer Kontrolle stehen. Aufgabe der Länder ist die Bereitstellung geeigneter Trägermittel — in Deutschland wurde dazu der Kampfjet Tornado bestimmt. Dass die Tornados der Bundeswehr, die sich seit den 1980ern im Dienst befinden, mittlerweile arg in die Jahre gekommen sind und ab 2025 schrittweise bis 2030 außer Dienst gestellt werden sollen, ist wahrlich kein Geheimnis. Als Ersatz für die Tornados ist mit der F-35 ein Flugzeug der 5. Generation vorgesehen, bei dessen Konstruktion sich der Wandel der Prioritäten und Anforderungsprofile im Vergleich zur 4. Generation eindeutig manifestiert. Galt für Kampfjets der 4. Generation die Maxime „Geschwindigkeit heißt Leben“ wurde diese durch „Information heißt Leben“ abgelöst. Ziel von Stealth-Fightern wie der F-35 ist ganz salopp gesprochen, früher und genauer zu wissen, wo sich welche Gegner befinden, lange bevor die Gegner die eigene Position entdecken. Von unseren Verbündeten haben sich Italien, Finnland, Norwegen, Großbritannien, die Niederlande, Belgien, Dänemark und Polen für die Beschaffung entschieden, vom führenden NATO-Mitglied USA einmal ganz abgesehen. Das bringt Synergien und ermöglicht Vernetzung — eine Beschaffung der F-35 für die Luftwaffe wäre damit nicht die schlechteste Entscheidung. Wichtig wird sein, dass unsere deutsche wehrtechnische Industrie, gerade auch die ausgezeichnete mittelständische – wie übrigens auch beim schweren Transporthubschrauber – in angemessener Weise für Wartung und Betreuung der Systeme eingebunden wird. Angesichts der Nutzungszyklen ist dies eine Entscheidung für Dekaden.
Das bedeutet aber keineswegs, dass unser aktuelles europäisches Kampfflugzeug, der Eurofighter, an Bedeutung verliert. Als technologischer Testträger und Nutznießer des europäischen Kampfflugzeugs der 6. Generation (NGWS) im FCAS-Programm wird der Eurofighter auf absehbare Zeit das Hauptwaffensystem der Luftwaffe bleiben. Dies gilt umso mehr, da sein Fähigkeitsprofil durch den Ausbau der Luft-Boden-Kampffähigkeit mit dem neuen Langstrecken- Flugkörper Meteor weiterwächst.
Bleibt zum Abschluss noch ein Blick auf die deutsche und europäische Raumfahrt, die vom Krieg gegen die Ukraine stark erschüttert wurde. Als logische Konsequenz der russischen Aggression wurden fast alle westlichen Raumfahrtprojekte, die mit russischer Beteiligung stattfinden sollten, vorerst gestoppt. Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen verkündete Russland das Ende der Sojus-Raketenstarts vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou. Roskosmos- Direktor Dmitri Rogosin drohte dem Westen gar mit dem Absturz der internationalen Raumstation ISS auf die USA oder Europa, sollten die Sanktionen den Betrieb des russischen Teils der Station beeinträchtigen. Leider sind wir Europäer auch im Trägerraketenbereich massiv getroffen, arbeitete doch unsere Vega-Rakete mit ukrainischen RD-843-Raketentriebwerken, deren Herstellung im ostukrainischen Dnipro wohl auf absehbare Zeit ausfallen wird. Damit fehlen uns Europäern nicht nur eigene Trägerraketen, sondern auch die Möglichkeit von Mitflügen europäischer Astronauten in russischen Kapseln. Mittelfristig wird dadurch höchstwahrscheinlich die Bedeutung der, aber auch die Abhängigkeit von US-amerikanischen kommerziellen Anbietern weiterwachsen. Europa muss sich dringend entscheiden, ob es im Bereich Space Trittbrettfahrer sein möchte oder einen eigenen, souveränen Zugang zum All anstrebt. Der ESA-Ministerrat im November 2022 soll und muss hier unbedingt Klarheit schaffen!