Was macht eigentlich die Marine? Im vergangenen Oktober scheuchten Berichte über wesentlich erhöhte Fähigkeitsforderungen der NATO die Medienlandschaft auf. Grundlage für diese neuen Minimum Capability Requirements, die die Verbündeten gemeinsam erbringen müssen, waren die seit der russischen Vollinvasion der Ukraine überarbeiteten Verteidigungspläne der Allianz – und die spätestens Anfang 2024 gewonnene Erkenntnis, dass auch ein möglicher künftiger Angriff auf NATO-Territorium zu einem Abnutzungskrieg mit entsprechendem Bedarf an Reserven werden könnte. Hauptsächlich handelte es sich um von der militärischen Führungsebene festgestellte Lücken in den Dimensionen Land und Luft. Etwa die Zahl der Kampfbrigaden, Divisions- und Korps-Hauptquartiere mit unterstellten Unterstützungskräften, sowie der Hubschrauberverbände und bodengebundenen Flugabwehreinheiten. Hinzu kamen die Bereiche Logistik und Kommunikation.

Keine Erwähnung in Presseberichten fand die maritime Dimension. Dem Vernehmen nach geht es hier eher um Verfügbarkeiten als zusätzliche Fähigkeiten. Das mag mit der eher schlechten Figur zusammenhängen, die die russische Marine im Ukraine-Krieg gemacht hat. Obwohl die Ukraine ihre bescheidenen konventionellen Seestreitkräfte schnell fast vollständig verlor, gelang es ihr durch den Einsatz weitreichender Lenkwaffen sowie unbemannter See- und Luftkriegsmittel – und wohl die großzügige Versorgung mit Aufklärungsergebnissen und Zieldaten durch westliche Verbündete – den Gegner praktisch vollkommen aus dem Schwarzen Meer zu verdrängen. Mittlerweile beschränkt sich die Rolle der russischen Marine im Wesentlichen auf den Start von Marschflugkörpern aus dem Asowschen und sogar dem Kaspischen Meer.
Deutsche Marine ist viel gefragt
Allerdings zeigen die Sorgen über russische Sabotageaktivitäten gegen kritische Infrastrukturen in der Ostsee und anderswo, dass auch Russland in einem Konflikt mit der NATO die Rolle des asymmetrischen Kriegführers gegen einen konventionell überlegenen Gegner einnehmen könnte. Das Mittelmeer kann als Schauplatz für Operationen gegen das Bündnis ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Vor allem aber bleibt wie schon während des Kalten Krieges der Nordatlantik mit seinen Verbindungslinien für Truppen und Nachschub aus Nordamerika eine angreifbare Flanke der Allianz. Nicht zuletzt ist die See Basis sowohl für Bedrohungen durch ballistische und andere Flugkörper als auch deren die Abwehr.

Während das Mittelmeer für die Deutsche Marine im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung eher eine Nebenrolle spielt, ist sie auf den anderen Schauplätzen umso mehr gefordert. Maßgeblich für ihre Planungen ist das Zielbild Marine 2035+ aus dem Jahr 2023. Es löste den früheren Bündnis-Planungshorizont bis 2031 vor dem Ukrainekrieg ab und beruht bereits auf dem neuen NATO Force Model. Außerdem den zu erwartenden nationalen Aufgaben und dem Faktor drei von eingesetzten zu vorhandenen Einheiten – gemäß der traditionellen Weisheit, dass ein Schiff ein Drittel seiner Zeit in der Werft und ein weiteres Drittel mit Training verbringt. Das entspricht der Kräfterotation bei Dauereinsatzaufgaben auch in anderen Dimensionen.
Trend zu unbemannten Systemen
So erklärt sich beispielsweise, dass sechs bis neun U-Boote des gemeinsam mit Norwegen ab 2032 beschafften neuen Typs U212CD vorgesehen sind, ergänzt von bis zu sechs großen Unterwasserdrohnen von der Art des kürzlich erprobten israelischen Typs Blue Whale. Von den insgesamt bis zu 15 Einheiten wären dann rechnerisch jeweils fünf einsatzbereit. Was einigen Angaben zufolge der NATO-Forderung an Deutschland entspricht und bedeuten würde, dass die möglichen geringeren Summen eher einem Mangel an Finanzmitteln und Besatzung geschuldet wären als dem tatsächlichen Bedarf. Ähnliches gilt wohl für die vorgesehene Kombination von sechs bis neun Korvetten des Typs K130 auf dem technischen Stand des zweiten Bauloses und bis zu 18 optional bemannten kleineren Einheiten des Future Combat Surface Systems.

Insgesamt stellt sich die ohnehin von Personalsorgen geplagte Marine konsequent mit unbemannten Fahrzeugen auf die weitere demografische Entwicklung und wachsende technologische Anforderungen ein. Zwar hofft man mit einem möglichen neuen Wehrdienst durch den „Zauber der Marine“ über die hierfür geplanten Ausbildungs- und Sicherungskompanien hinaus auch zusätzliches länger dienendes Personal zu gewinnen. Der Trend zum Unbemannten in der gesamten NATO betrifft aber nicht nur bereits etablierte Systeme wie fliegende Drohnen zur Ergänzung der künftigen deutschen Flotte von P-8 Seefernaufklärern oder Minensucheinheiten in der Nachfolge der ferngesteuerten „Seehunde“ des altbekannten Troika-Systems. Auch bereits in Dienst stehende Schiffe könnten durch die Kombination mit unbemannten Systemen an neue Erfordernisse angepasst werden.
Upgrades für vorhandene Einheiten
So planen die U.S. Navy und die niederländische Marine mit schwach oder gar nicht bemannten Begleitbooten, die zusätzliche Sensoren und/oder Waffen tragen. Die Niederländer bestellten im vergangenen September zwei modulare Unterstützungseinheiten bei Damen. Diese sind für die Überwachung des Meeresbodens ausgerüstet, werden aber auch – zunächst – zusätzliche Flugabwehrlenkwaffen und Loitering Munition der israelischen Typen Barak-8 ER und Harop tragen. Die beiden Boote, deren Ausstattung nicht zuletzt auf den Erfahrungen der Schutzmission gegen Angriffe der jemenitischen Huthis im Roten Meer zu beruhen scheint, sollen bereits 2026 vorläufig und 2027 voll einsatzbereit sein. In Deutschland bietet tkMS das halbgetauchte autonome Fahrzeug MEKO S-X als Begleiteinheit für die U-Jagd mit Schleppsonar an, wohl mit Blick auf die Fregatten der Baden-Württemberg-Klasse vom Typ F125.

Die für Stabilisierungsmissionen entworfenen Fregatten dieser Klasse – ob ihrer Größe und leichten Bewaffnung von bösen Zungen als „Kolonialkreuzer“ bezeichnet – sind mit der Rückkehr des Fokus zur Landes- und Bündnisverteidigung ohnehin Ziel für Aufrüstungsvorhaben. Diese konzentrieren sich zunächst auf eine stärkere Flugabwehrbewaffnung durch Integration des in der Ukraine erfolgreichen, aber eigentlich nicht für maritime Anwendungen gedachten Flugkörpers IRIS-T SLM mit einer containerisierten Lösung an Oberdeck. Erste Schießversuche sollen in der zweiten Jahreshälfte 2025 stattfinden. Dass nicht die von allen anderen Fregatten der Marine verwendete Evolved Sea Sparrow Missile (ESSM) verwendet wird, ist dabei keine schlichte Fördermaßnahme für die heimische Wirtschaft. Lieferzeiten und Komplexität beim Einbau der passenden Mk41 Senkrechtstartanlage (VLS) spielen ebenfalls eine Rolle.
Das künftige Rückgrat der Flotte
So dauerte es knapp fünf Jahre, bis die Fregatte Sachsen vom Typ F124 nach dem Fehlstart einer Lenkwaffe während einer Übung vor Norwegen ein neues VLS erhielt. Die Anpassung des landgestützten IRIS-T-Starters an die vorhandenen Container-Stellplätze der Baden-Württemberg-Klasse, die eine Marineversion des auch an Land verwendeten Flugabwehrradars verwendet, scheint da schneller und einfacher. Platz für weitere Fähigkeiten ist vorhanden. Das Zielbild Marine 2035+ sieht noch drei der vier Fregatten vom Typ F125 vor. Das Rückgrat bilden allerdings je sechs Einheiten der künftigen Typen F126 und F127. Das Typschiff Niedersachsen für ersteren befindet sich bereits am Bau und soll 2028 in Dienst gestellt werden. Die Niedersachsen-Klasse wird dann die vier Einheiten der Brandenburg-Klasse vom Typ F123 mit dem Schwerpunkt U-Jagd ablösen.

Noch im Planungsstadium ist der Typ F127 als Nachfolger der drei Flugabwehrfregatten der Sachsen-Klasse vom Typ F124 ab 2033. Dieser wird in Größe und Fähigkeiten den amerikanischen Zerstörern der Arleigh-Burke-Klasse ähneln, mit der er sich voraussichtlich das Aegis-Führungssystem teilen wird. Zumindest hat der Bundestag noch kurz vor Ende der verkürzten Legislaturperiode für den Abschluss eines entsprechenden Vertrages mit dem Hersteller Lockheed Martin gestimmt. Damit wird die Deutsche Marine auch eigene Fähigkeiten zur Abwehr ballistischer Raketen erhalten. Integriert werden könnten auch die geplante deutsch-norwegische Überschall-Antischiffslenkwaffe 3SM Tyrfing, Marschflugkörper Tomahawk und künftig Flugkörper zur Abwehr von Hyperschallwaffen.
Die Marine auf See ab 2035
Legt man den erwähnten Faktor drei zugrunde, bereitet die Marine sich demnach mit dem Zielbild 2035+ darauf vor, zu jeder Zeit je zwei Flugabwehr- und U-Jagd-Fregatten sowie eine aufgerüstete Stabilisierungsfregatte in See zu haben. Diese dürften vor allem einen Beitrag zur Sicherung der nordatlantischen Seewege, aber auch zur Raketenabwehr und zu gemeinsamen Einsätzen auch außerhalb des Bündnisgebiets leisten. Dazu gehören Missionen wie der Einsatz im Roten Meer zum Schutz vor Angriffen der Huthis. Die Fregatte Hessen vom Typ F124 hat nicht nur dort Dienst geleistet, sondern war schon zweimal Teil amerikanischer Flugzeugträger-Kampfgruppen. Auch ihre beiden Schwesterschiffe haben diese Aufgabe bereits wahrgenommen.

Zur Überwachung der Ostsee würden demnach ständig zwei bis drei Korvetten beitragen, ergänzt von bis zu sechs Future Combat Surface Systems. Letztere wird man sich nicht einfach als optional bemannte Nachfolger der alten Schnellboote vorstellen dürfen. Eher als Mix von Fahrzeugen mit unterschiedlichen Größen und Aufgaben, die von einer Führungsplattform koordiniert werden. Ähnliches gilt für die bis zu zwölf geplanten Minenabwehrplattformen und die ergänzenden unbemannten MCM-Systeme. Für die neuen U-Boote vom Typ 212CD scheint sich eher der Atlantik als das traditionelle Operationsgebiet während des Kalten Krieges in der Ostsee abzuzeichnen. Zumindest entspricht das gemeinsam mit Norwegen weiterentwickelte Design wohl nicht mehr den bisherigen deutschen Anforderungen an Abmessungen, mit denen die Ostseezugänge auch ohne Weiteres getaucht zu passieren sind.
Rückkehr zur Seekriegführung aus der Luft
Hier dürften eher die künftigen unbemannten Systeme ihre Stärken ausspielen. Über das bereits erprobte Modell Blue Whale sagte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, dazu kürzlich: „Mit zwei oder drei von denen könnte ich bei Fehmarn alles dicht machen“. Dabei muss eine Sensorplattform im Verbund von Systemen nicht unbedingt selbst die Bekämpfung von entdeckten Zielen übernehmen. Gerade der Seekriegführung aus der Luft kommt mit den Fähigkeiten der künftigen Flotte aus Seefernaufklärern P-8, Hubschraubern Sea Lion und Sea Tiger sowie unbemannten Starr- und Drehflüglern wieder verstärkt Bedeutung zu.

Nicht zu vergessen bleiben schließlich die wichtigen Unterstützungseinheiten: Die neuen Flottendienstboote vom Typ 424 für die Aufklärung, die vorhandenen Einsatzgruppenversorger der Berlin-Klasse, und die überfällige Ablösung der bisherigen Flottentanker sowie die Nachfolger der jetzigen Tender vom Typ 404, je drei an der Zahl. Sollten alle geplanten Einheiten ab 2035 zur Verfügung stehen, könnte die Deutsche Marine alle absehbaren Aufgaben als wichtiger Partner im Bündnis erfüllen. Vorausgesetzt natürlich, die üblichen Unwägbarkeiten – Finanzierung, Programmfortschritte, Personallage – sorgen nicht für Verzögerungen oder gar Einschnitte bei der Beschaffung.
Stefan Axel Boes