Interview mit Leitender Technischer Regierungsdirektor PD Dr.-Ing. Dr.-habil. Jens Holtmannspötter, Leiter Geschäftsbereich 200 (Werkstoffe, Bauweisen, Strukturen & Digitalisierung), Wehrwissenschaftliches Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB)
Ihr Bereich ist für das „System Soldat“ verantwortlich. Was zeichnet derzeit das Thema Schutz aus? Auf der einen Seite zeichnet sich das Thema Schutz dadurch aus, dass es seine Funktion erfüllt und den Soldatinnen und Soldaten eine hohe Leistungsfähigkeit ermöglicht, ohne sie in ihren Aufgaben wesentlich zu beeinträchtigen. Natürlich ist mehr Schutz immer besser, insbesondere mit den modernen Werkstoffen, die wir zur Verfügung haben. Allerdings ist es auch ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel. Einerseits verbessert man die Werkstoffe, die Schutzsysteme und die Schutzaufbauten, während andere die Wirkmittel optimieren. Dadurch stoßen wir schnell an die Grenze dessen, was den Soldatinnen und Soldaten zugemutet werden kann. Diese Erfahrungen zeigen sich vor allem im Einsatz, da sie hinderlich sein können.
Es gilt also abzuwägen, denn sobald wir die Mobilität und Beweglichkeit der Soldaten zu stark einschränken, widerspricht dies auch dem Schutz. Sie sind dann nicht in der Lage, schnell genug zu reagieren. Daher ist es wichtig, bestehende Schutzsysteme zu verbessern, was jedoch nicht einfach ist. Finanzielle Mittel spielen dabei natürlich auch eine Rolle, da hochwertige Werkstoffe teuer und empfindlich sind. Gerade bei spröden Keramiken muss man besonders vorsichtig sein. Zudem gibt es viele Anforderungen und die logistische Versorgbarkeit spielt ebenfalls eine Rolle. Erste Schutzsysteme können personalisiert werden, indem sie individuell angepasst werden, beispielsweise durch moderne Fertigungstechnologien wie den 3DDruck. Sogar Keramiken in ballistischer Qualität sind mittlerweile möglich. Allerdings sind diese dann nur für einen bestimmten Soldaten oder eine bestimmte Soldatin geeignet.
Technologisch gesehen sind wir auf diesem Gebiet bereits weit fortgeschritten, aber es ist schwer vorherzusagen, was in Zukunft tatsächlich eingesetzt wird. Unsere Aufgabe ist es, auf diesem wichtigen Gebiet zu forschen und Wissen aufzubauen, um das Verteidigungsministerium und andere Dienststellen beraten und die Weichen für die Zukunft rechtzeitig stellen zu können. Es ist meiner Meinung nach unrealistisch anzunehmen, dass wir in kurzer Zeit enorme Fortschritte erzielen werden, aber dennoch müssen wir am Ball bleiben, da wir verpflichtet sind, jedem Soldaten und jeder Soldatin den bestmöglichen Schutz zur Verfügung zu stellen.
Was sind denn die wichtigsten Projekte hier im Haus? Mit unserem Innovationslabor „System Soldat“ beschreiten wir einen revolutionären Weg. Unser Ziel ist es, die technologische Unterstützung für Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Digitalisierung zu maximieren. Der Begriff „System Soldat“ bedeutet, dass wir einen systemischen Ansatz verfolgen müssen. Ein einfaches Beispiel: Man kann Socken und Schuhe separat entwickeln, aber idealerweise sollten die Komponenten aufeinander abgestimmt sein. Dies gilt insbesondere für komplexe militärische Ausrüstung. Schutzkomponenten müssen nahtlos mit anderen Ausrüstungsgegenständen kombinierbar sein, ohne sich gegenseitig zu behindern. Heutzutage steht vor allem die Funktionsintegration im Vordergrund, nicht die Anhäufung sperriger Einzelkomponenten. Im Idealfall sollten Soldatinnen und Soldaten kaum bemerken, dass sie Technologie am Körper tragen. Dies sollte das Ziel neuer Entwicklungen sein.
Das Innovationslabor „System Soldat“ zielt darauf ab, nicht nur bestehende Systeme kontinuierlich weiterzuentwickeln, sondern auch die Benutzerfreundlichkeit der Systeme zu verbessern. Es beinhaltet Forschung im Werkstoffbereich und im Bereich der Ergonomie, insbesondere die Optimierung von Textilien. Einerseits geht es um die ständige Verbesserung bestehender Systeme. Andererseits müssen wir darüber nachdenken, wie Dinge möglicherweise völlig neu gestaltet werden können, also disruptive Veränderungen zulassen. Ein Beispiel hierfür ist die Personalisierung von ballistischen Westen für Soldatinnen. Dieser Ansatz beruht darauf, dass es oft ergonomische Trageprobleme gibt. Es macht daher Sinn, neben unterschiedlichen Größen auch maßgeschneiderte, in diesem Fall gedruckte Schutzplatten zu realisieren.