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Der Krieg in Europa wird bereits geführt

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Deutschland muss seine Russland-Politik ändern, um ein glaubwürdiger und verlässlicher internationaler Sicherheitspartner und Akteur zu bleiben. Der Umgang mit der Ukraine und die Frage, wie NATO und EU die europäische Sicherheitsordnung verteidigen, ist der Lackmustest für künftiges internationales Engagement im systemischen Wettbewerb mit China. „Die Kriegsgefahr ist hoch“, „ein Krieg droht“, „Säbelrasseln“. Viele Bezeichnungen werden für die Situ-
ation an der ukrainischen Grenze verwendet – viele missachten dabei, dass Russland bereits Krieg führt und dass dieser – vielfach hybrid geführt – die gesamte europäische Sicherheitsordnung betrifft.

Zweifelsohne muss ein erneutes militärisches Eingreifen Russlands in der Ukraine unbedingt verhindert und die europäische Sicherheitsordnung verteidigt werden – der Krieg selbst droht jedoch nicht, er ist bereits im Gange.

Die Krise der Beziehungen Russlands zur NATO und EU begann dabei viel früher. Mit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 kündigte Putin einen Kurswechsel Russlands an, der nach und nach das Vertrauen und die Basis für eine gemeinsame Zusammenarbeit erodieren ließ. Als „Bruch der Partnerschaft zwischen Russland und der NATO“ bezeichnete der damalige NATO-Generalssekretär Jaap de Hoop Scheffer seinerzeit die Rede.

Russland nutzt seither gezielt Mittel hybrider Kriegsführung gegen andere europäische Staaten, angefangen mit den Cyberangriffen auf Estland im Jahr 2007. Entgegen der UN-Charta nahm Russland in seine Militärdoktrin von 2014 das Recht auf Gewaltanwendung zum Schutz seiner Staatsbürger im Ausland auf. Der Angriff auf Georgien 2008, die Annexion der Krim und die Besetzung der Ostukraine 2014 zeigen, dass Russland den Weg der permanenten Bedrohung einschlug und den Weg friedlicher Zusammenarbeit in Europa verließ. Sinnbildlich für das Ausmaß steht sicherlich der Bruch des Budapester Memorandums, mit dem die Vertragsstaaten im Gegenzug zum ukrainischen Nuklearwaffenverzicht der Ukraine ihre Souveränität und territoriale Integrität versicherten. Was dies für künftige nukleare Abrüstungsbemühungen heißen mag, wenn eine solche Zusicherung gebrochen wird?

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Foto © Tobias Koch

Der fortschreitende Verstoß Russlands gegen die internationale regelbasierte Ordnung kulminiert nun in der akuten Bedrohungslage. Bald sind 200.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine und in Belarus stationiert, fast 80 Prozent der Landstreitkräfte. Die europäische Friedensordnung als Ganzes ist in Gefahr und es steht nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit der NATO und der EU auf dem Spiel.

Beim Gipfeltreffen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping am Rande der Olympischen Spiele sicherte sich Putin die chinesische Unterstützung für sein Vorgehen an der ukrainischen Grenze und das Verständnis für angeblich berechtigte Sicherheitsinteressen. China, das durch seine Seidenstraßen-Politik, die Zunahme von Cyber-Angriffen und Cyber-Spionage ohnehin nach globalem Einfluss und Macht strebt und zum systemischen Rivalen der freien Demokratien geworden ist, wurde somit als zusätzlicher Akteur einbezogen. Das verdeutlicht, wie ernst Putin es mit seinem Vorgehen meint.

“When peace has been broken anywhere, peace of all countries everywhere is in danger”, sagte Präsident Franklin D. Roosevelt am 3. September 1939 in einer Ansprache. Die NATO wird mit der Überarbeitung ihres strategischen Konzepts im Juni dieses Jahres konkrete Antworten auf den Umgang mit China finden müssen. Der Umgang mit der Ukraine und die Frage, wie NATO und EU die europäische Sicherheitsordnung verteidigen, ist hierbei der Lackmustest für künftiges internationales Engagement im systemischen Wettbewerb mit China.

Was ist Deutschlands Rolle hierbei? Deutschland und Russland verbindet eine lange Tradition politischer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Beziehungen. Traditionell setzt sich Deutschland für kooperative und partnerschaftliche Beziehungen ein. In den vergangenen 16 Jahren war Deutschland zudem treibender Motor der EU, der die Sicherheitsinteressen Osteuropas mit Interessen Südeuropas zu vereinbaren suchte. Deutschland ist der größte NATO-Partner in Kontinentaleuropa und Impulsgeber im Umgang mit Russland und der Ausrichtung der europäischen Sicherheit.

Gerade deshalb müssen wir uns auch fragen, wie es zu diesem laufenden Krieg und zur aktuellen Bedrohungslage kam – wo haben Deutschland, die EU und die NATO Fehler gemacht? Was haben die sanften Sanktionsmaßnahmen auf den Völkerrechtsbruch 2014 bewirkt? Haben die diplomatischen Versuche im Normandie-Format Russland zum Umdenken bewegt? Was hat es der Ukraine genutzt? Haben EU und NATO angemessen auf den Bruch des Budapester Memorandums reagiert?

Die Schwäche der Reaktion – die Widersprüchlichkeit, die sich u. a. am Festhalten des Baus der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zeigt – hat Russland eher angeregt, Schwäche und innereuropäische Uneinigkeit auszunutzen. Hinzu kam sicherlich ein für Russland günstiges Zeitfenster eines Regierungswechsels in Deutschland und den Wahlen in Frankreich und Italien. Putin schätzt sein Potenzial ein und lotet Möglichkeiten aus, er geht strategisch vor. „Dabei sehen wir sehr genau, wie sich die Welt verändert hat, schätzen realistisch unsere eigenen Möglichkeiten und unser Potenzial ein“, so Putin in seiner Rede 2007.

Diplomatie ist immer der beste Weg – aber er führte hier bislang nicht ans Ziel. Das Normandie-Format erreichte zwar das Minsker Abkommen, umgesetzt wurde es aber nicht. Putin versteht nur eine Sprache: Geschlossenheit, Entschlossenheit, Stärke. Deshalb brauchen wir ein Umdenken in unserer Russland-Politik und zwar schnell, ansonsten ist der Friede in Europa dauerhaft gefährdet.

Deutschland hat hierbei seine besondere Rolle bisher nicht genutzt. Vielmehr hat die uneinheitliche Linie der Bundesregierung von Oktober bis Anfang Februar Zweifel an Deutschlands Glaubwürdigkeit aufkommen lassen und die EU geschwächt. Deutschland muss seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als internationaler Partner zurückgewinnen und deutlich machen, dass es bereit ist, Kosten zu tragen und seinen Beitrag für die europäische Sicherheitsordnung zu leisten.

Die Kosten eines Krieges, einer dauerhaften Bedrohungslage oder gar einer neuen russischen Vormachtstellung wären ungleich höher. Deshalb ist es nun entscheidend, eine geschlossene und entschlossene europäische Antwort zu finden und einheitliche Signale zu senden. Dazu müssen alle Sanktionsmöglichkeiten auf den Tisch, auch und v. a. diejenigen, die Deutschland besonders wehtun wie NS 2 oder SWIFT, denn sie würden auch Russland besonders schmerzen und damit Putins Kalkül ändern. Die EU muss diese Werkzeuge bereithalten und vorbereitet sein, sie einzusetzen.

Deutschland muss zugleich militärisch bereit sein, sei es durch selektive Waffenlieferungen oder die Unterstützung von Partnerländern. Waffen können deeskalierend sein, wenn die Kosten für Russland höher werden, das eigene Risiko steigt, ein höherer Blutzoll zu erwarten wäre – das simple Prinzip der Abschreckung.

Deutschland muss bereits jetzt die Resilienz der eigenen Bevölkerung stärken, sie darauf vorbereiten, dass dieser Konflikt Kosten haben wird und die Kosten noch viel höher sein würden, wenn es zu einem militärischen Krieg kommt. Deshalb müssen politische Kommunikation abgestimmt werden, die Energieversorgung gesichert und künftig diversifiziert und rechtzeitig Alternativen für den Fall der Fälle gefunden werden. Und wir müssen unsere Bundeswehr endlich befähigen und glaubwürdig ausstatten. Diese Kosten müssen wir als Gesellschaft bereit sein zu tragen, um unsere Freiheit zu bewahren.

Es geht jetzt darum, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit zu zeigen. Das ist für Deutschland die Chance, für eine handlungsfähige EU zu sorgen und gegenüber unseren Bündnispartnern verlässlich zu sein. Wie sonst sind wir bereit für den systemischen Rivalen China? Wir sollten diese Chance nutzen.

Wenn die EU-Staaten im März 2022 den „Strategischen Kompass“ verabschieden, müssen daraus die Geschlossenheit und der politische Wille hervorgehen, die die EU zu einem glaubwürdigen Anbieter von Sicherheit macht. In der Verteidigung der europäischen Sicherheitsordnung und der Problemlösung „vor der eigenen Haustür“ können die EU und besonders Deutschland zeigen, inwiefern sie bereit für mehr strategische Souveränität sind. Für uns muss dies mit einem klaren Bekenntnis für die notwendige Ausstattung unserer Bundeswehr einhergehen. Unsere Gesellschaft muss bereit sein, für Sicherheit mehr zu investieren, für ein glaubhaftes internationales Engagement mit EU und NATO und für eine glaubwürdige transatlantische Lastenteilung.

Der Krieg in Europa wird bereits geführt
Von Roderich Kiesewetter MdB, Obmann im Auswärtigen Ausschuss
und Sprecher Krisenprävention der CDU/CSU-Fraktion, Oberst a.D.

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