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Interview mit Thomas Gottschild, Geschäftsführer MBDA Deutschland – Künstliche Intelligenz ist für uns einer der Haupttreiber

MBDA-Geschäftsführer Thomas Gottschild (li.) und HHK-Chefredakteur Michael Horst im Gespräch vor einem Modell des RCM² Flugkörpers. ( Foto  © MBDA/Günter Abel)
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Herr Gottschild, vor welchen wesentlichen Herausforderungen steht die Firma aktuell in Deutschland?

Getrieben durch den Krieg in der Ukraine und die Konflikte in der Welt, sehen wir momentan einen großen Bedarf an Ausrüstung, der sich mittlerweile auch in Aufträge umsetzt. Die Erfüllung dieser Aufträge, der dazu notwendige Ramp-up und die Kapazitätserhöhung sind ein Teil der Herausforderungen, an denen wir aktuell arbeiten. Darüber hinaus geht es darum, die Bundeswehr und Streitkräfte generell mit neuen, modernen Fähigkeiten auszustatten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, aus den Erkenntnissen der aktuellen Konflikte zu lernen und neue Technologien zielgerichtet bei der Entwicklung zukünftiger Waffensysteme einzusetzen. Voraussetzung hierfür ist nicht nur eine Optimierung der Kapazitätsauslastung bei der Industrie, sondern auch ein auskömmliches nationales F&T-Budget, um technologische Expertise und Kompetenz in Deutschland weiterentwickeln zu können.

Welchen Beitrag leistet MBDA in Deutschland für die Sicherheit Deutschlands und Europas? Wie ist der Sachstand bei den wesentlichen aktuellen Rüstungsvorhaben?

Wir sehen uns als Teil der nationalen Sicherheitsvorsorge. Wir sind Partner der Streitkräfte und als solcher im Bereich Lenkflugkörpersysteme und komplexe Waffensysteme ein bedeutender Ausrüster der Streitkräfte. Wir bauen unsere Infrastruktur und Expertise kontinuierlich aus, um so auch weiterhin einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung aller Teilstreitkräfte leisten zu können.

Zur Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte gehören auch Bevorratung und damit deutliche Stückzahlerhöhung von Wirkmitteln. Schafft MBDA das mit den aktuell verfügbaren Produktionskapazitäten und Ressourcen?

MBDA gestaltet die Zeitenwende aktiv mit. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und leisten unseren industriellen Beitrag zur Erhöhung der Munitionsbevorratung und Kriegstüchtigkeit. Der Besuch des Bundesministers der Verteidigung an unserem Standort in Schrobenhausen im vergangenen Monat hat das hohe Engagement der Belegschaft in diesen besonderen Zeiten gewürdigt. Wir errichten an unseren Standorten in Schrobenhausen und Aschau am Inn neue Fertigungslinien und Lagerkapazitäten. Möglich wurde dies durch Aufträge, die langfristig veraufgesetzt sind. Auf dieser Grundlage können wir Investitionen tätigen.

MBDA erhöht die Produktionskapazitäten für Wirkmittel, wie z. B. den Flugkörper Enforcer.  (Foto  © MBDA)
MBDA erhöht die Produktionskapazitäten für Wirkmittel, wie z. B. den Flugkörper Enforcer.  (Foto  © MBDA)

Über die nächsten Jahre werden das bis zu 250 Millionen Euro sein. Das betrifft sowohl unseren Standort in Schrobenhausen als auch den Standort der Bayern-Chemie in Aschau am Inn. Mit Blick auf den Personalaufbau sind wir ebenfalls auf einem guten Weg. Wir wollen bis 2026 von 1.400 auf 1.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufwachsen. Wir haben wesentlich mehr Initiativbewerbungen als erwartet, sodass ich optimistisch bin, dieses Ziel zu erreichen. Die Anzahl der Bewerbungen zeigt mir, dass wir ein sehr attraktiver Arbeitgeber sind und die Menschen gerne für uns arbeiten.

Gibt es besondere Herausforderungen?

Wir brauchen Genehmigungen für den Ausbau und die Erweiterung unserer Kapazitäten. Die haben wir bekommen. Wir fühlen uns gut unterstützt durch die Staatsregierung in Bayern und auch durch die entsprechenden lokalen Behörden. Davon abgesehen besteht die Herausforderung darin, dass die geplanten Baumaßnahmen nun zeitgerecht mit den lokalen Baufirmen umgesetzt werden.

Mit der European Sky Shield Initiative (ESSI) wollen sich europäische Staaten für eine Stärkung der gemeinsamen Luftverteidigung zusammenschließen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Die European Sky Shield Initiative ist für mich ein sehr gutes Beispiel, wie man es als Nation schaffen kann, außen- und sicherheitspolitische Ziele mit Rüstungskooperationen zu verknüpfen. ESSI umfasst mehrere Layers und baut unter anderem auf Systeme wie Patriot, IRIS-T SLM und Arrow auf. Deutschland hat es geschafft, eine gemeinsame Beschaffung von 1.000 Patriot PAC-2 GEM-T Flugkörpern für mehrere NATO-Partner anzustoßen. Diese Initiative hat dazu geführt, dass jetzt eine PAC-2-Produktionsstätte in Deutschland entsteht und wir die Produktionskapazität von GEM-T gemeinsam mit unserem Partner Raytheon weltweit verdoppeln. Die PAC-2-Produktionsstätte wird die einzige außerhalb der USA sein. Das war nur durch die gebündelte und langfristige Beschaffung mehrerer NATO-Nationen möglich, die durch die Bundesregierung angestoßen wurde.

Was kann MBDA dazu beitragen?

Unser Anteil am PAC-2 GEM-T Flugkörper ist im Wesentlichen der Motor, den wir bei Bayern-Chemie in Aschau am Inn produzieren werden. Darüber hinaus werden wir die Endfertigung der PAC-2 GEM-T in Schrobenhausen vornehmen und eine weltweite Auslieferung der Flugkörper ermöglichen. Das alles gelingt, weil wir im Bereich der Wartung und Rezertifizierung von Patriot-Lenkflugkörpern seit über 30 Jahren über unser Joint Venture COMLOG mit Raytheon erfolgreich zusammenarbeiten.Darüber hinaus unterstützen wir die Bundeswehr gemeinsam mit IAI bei der Einführung des Waffensystems Arrow sowie beim Aufbau von Fähigkeiten im Bereich Drohnen- und Hyperschallabwehr.

Teilstreitkräfteübergreifende Befähigung zu Multi- Domain Operations (MDO) und Stichwort: Software Defined Defence. Wie reagiert MBDA auf diese sicher notwendigen Forderungen der Streitkräfte?

Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass Geräte und Waffensysteme teilstreitkraftübergreifend mehrfach verwendet werden können. Das führt zu Skaleneffekten mit Blick auf die Beschaffung und Logistik. Die Grundidee von MDO ist aber auch die multiple Überforderung des Gegners. Eigene und verbündete interagierende Truppenteile effektiv zu orchestrieren, bestimmt die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte. Bei der Auslegung neuer Waffensysteme wie RCM² berücksichtigen wir diese Entwicklung. Im Vergleich zu am Markt verfügbaren Systemen kann der Remote Carrier insbesondere in einem auftragsbasierten Effektor-Verbund in stark umkämpften oder verteidigten Einsatzgebieten agieren.

Der Flugkörper RCM² soll teilstreitkraftübergreifend für Aufklärung, kinetische und elektronische Wirkung eingesetzt werden können. (Foto  © MBDA)
Der Flugkörper RCM² soll teilstreitkraftübergreifend für Aufklärung, kinetische und elektronische Wirkung eingesetzt werden können. (Foto  © MBDA)

Er ist sowohl für ein breites Einsatzspektrum als auch auf Kampfmasse ausgelegt. Er bietet eine Wirkung auf kurze und große Distanz. Die interaktive Führung und Übergabe der Führung der Flugkörperschwärme kann prinzipiell durch jeden im Netzwerk eingebundenen Operator stattfinden. Von welcher Plattform aus RCM² gestartet wird und durch welche Domäne die Remote Carrier dirigiert werden, ist flexibel und an den operativen Bedarf anpassbar. Dieser Ansatz erlaubt eine Nutzung durch alle Teilstreitkräfte.

Welche Kooperationen und Partnerschaften sind aus Ihrer Sicht zielführend erforderlich, um Wirksysteme aus Ihrem Hause zukunftssicherer zu machen?

Kooperation ist die DNA unseres Geschäftsmodells. Wir haben lange bestehende Patriot-Kooperationen mit Raytheon im Rahmen unseres Joint Ventures COMLOG GmbH. Wir haben Kooperationen mit Raytheon und Diehl für das System RAM. Wir streben neue Kooperationen an, zum Beispiel mit Rheinmetall sowohl für den Laser als auch für den Abfangflugkörper für Drohnen. Mit IAI arbeiten wir im Projekt Arrow für die Luftwaffe zusammen. Ein weiteres Beispiel ist die Kooperation mit Kongsberg für den Flugkörper 3SM, der als nächste Generation eines Antischiffsflugkörpers aufgelegt werden soll.

Ein potenzieller Gegner in der Landes- und Bündnisverteidigung hat öffentlichkeitswirksam Hyperschallwaffen eingesetzt, und die amerikanische Missile Defense Agency wird mit der Northrop Grumman Corporation das Glide Phase Interceptor-Programm fortsetzen, um den ersten Hyperschall-Gleitphasen- Abfangflugkörper gegen entsprechende Bedrohungen zu entwickeln. Was bedeutet das für MBDA, und wo stehen wir in Europa?

Mit Blick auf die Ukraine wurden zumindest laut öffentlichen Publikationen Hyperschallwaffen eingesetzt. Es wird auch geschrieben, dass Patriot in der Lage ist, diese in Einzelfällen abzuwehren. Als grundsätzliche Fähigkeit zur Abwehr von Hyperschallbedrohungen, gerade auch Hyperschallgleitvehikeln, gibt es aber heutzutage weltweit keinen dezidierten Flugkörper. Deshalb hat sich Europa entschlossen, hier in eine Entwicklung mit MBDA einzusteigen. Wir waren in der Lage, in diesem Jahr einen Vertrag für eine erste Konzeptphase im Rahmen einer europäischen Ausschreibung zu unterschreiben und treiben damit auch die Entwicklung eines Hyperschallverteidigungsflugkörpers voran. Wir nennen das Programm HYDIS (Anm. der Red.: Hypersonic Defence Interceptor System).

Welche besonderen Lehren zieht MBDA Deutschland aus dem Ukrainekrieg?

Der Kriegsverlauf in der Ukraine verdeutlicht: Wir brauchen neue Fähigkeiten, um beispielsweise Drohnen abzuwehren. Dazu tragen wir auch als MBDA bei, indem wir zum Beispiel Hochtechnologiesysteme wie den Laser voranbringen. Außerdem haben wir der Bundeswehr auch einen leistungsfähigen Flugkörper zur Drohnenabwehr vorgeschlagen. Die Small Anti Drone Missile soll im Rahmen des Luftverteidigungssystems Nah- und Nächstbereichsschutz Teilprojekt 3 berücksichtigt werden und dient als Ergänzung zur Rohrwaffe des Skyranger 30. Aus meiner Sicht gibt es nicht das eine Wirkmittel gegen den Drohnenkrieg, sondern es wird immer ein Mix aus elektronischem Kampf und kinetischen Wirkmitteln sein.

Der auch in der Ukraine eingesetzte Flugkörper Brimstone wird als Luft-Boden-Bewaffnung für die Eurofighter der Luftwaffe beschafft. (Foto  © MBDA)
Der auch in der Ukraine eingesetzte Flugkörper Brimstone wird als Luft-Boden-Bewaffnung für die Eurofighter der Luftwaffe beschafft. (Foto  © MBDA)

Wie beurteilen Sie die aktuellen Rüstungsprozesse der Bundeswehr? Gibt es seitens Ihres Unternehmens hier besondere Wünsche?

Grundsätzlich würde ich sagen, dass sich schon einiges verbessert hat. Wir sehen, dass sich die Beschaffungsprozesse beschleunigen. Der Wille ist da, schneller zu werden und auch ein Stück weit mehr Risiken auf Kundenseite einzugehen. Was ich mir wünschen würde, ist, dass wir einen verstetigten Rahmen für eine solide finanzielle Ausstattung schaffen, der das unternehmerische Risiko – gerade Beschaffungsthemen – auch langfristig begleiten lässt. Für mich ist das Thema Verteidigungshaushalt eine der großen Herausforderungen, vor der die Bundesrepublik steht.

Wo sehen Sie die Notwendigkeit bei MBDA, sich technisch weiterzuentwickeln?

Das Thema Künstliche Intelligenz ist für uns einer der Haupttreiber. Das Thema bezieht sich nicht nur auf die Produktentwicklung, sondern auch auf die Art und Weise, wie wir arbeiten. Wir nutzen Künstliche Intelligenz zur Optimierung unserer Prozesse oder als Handwerkszeug für unsere Ingenieure. Künstliche Intelligenz wird uns wesentliche Effizienzsteigerungen bei der Entwicklung bringen, aber sie wird selbstverständlich auch ein entscheidendes Element mit Blick auf die Leistungsfähigkeit unserer Produkte sein.

Herr Gottschild, danke für die Informationen und das interessante Gespräch.

Im neuen HARDTHÖHENKURIER lesen Sie den ganzen Beitrag.

 

 

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