Fährt der im US-Wahlkampf vielbeschworene „Trump-Zug“ ins Weiße Haus demnächst auch Friedenstruppen in die Ukraine? Amerikaner sprechen gerne vom „Ticket“, auf dem die Namen des Präsidentschaftskandidaten einer Partei und seines „running mate“ für den Vizepräsidenten-Posten stehen. Also etwa Trump-Vance 2024. Oder Biden-Harris 2024, woraus dann plötzlich Harris-Waltz 2024 wurde. Für das kommende Jahr scheint sich aber eine ungewöhnliche Kombination abzuzeichnen: Trump-Macron 2025. So jedenfalls der Eindruck, den man nach Trumps Besuch in Paris Ende letzter Woche haben könnte, während schon seit einigen Wochen vertrauliche Absprachen insbesondere zwischen Frankreich und Großbritannien über eben das Thema möglicher europäischer Friedenstruppen für die Ukraine stattfinden.
Sein ehemaliger und künftiger französischer Kollege Emmanuel Macron weiß offensichtlich immer noch, wie man bei Trump die richtigen Knöpfe drückt: eine Einladung zur Wiedereröffnung der Kathedrale Notre Dame mit Ehrenplatz in der ersten Reihe zwischen Macron und dessen Frau – während sich der amerikanische Noch-Präsident Biden wohl nicht zufällig von seiner eigenen Frau vertreten ließ – und zuvor ein Vier-Augen-Gespräch im Elysee-Palast. Bei dem der Franzose den Amerikaner überredete, statt des geplanten weiteren Einzelgesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi diesen direkt hinzuzubitten.
Russische Besorgnis über Trump-Aussagen
Anschließend verkündete Trump per Social Media, dass letzterer zu einem „Deal“ über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg bereit sei und forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, an den Verhandlungstisch zu kommen. Die Besorgnis in Russland darüber zeigte sich unmittelbar in den Reaktionen pro-russischer Medien und Propagandaquellen. Diese verbreiteten die Darstellung, Selenskyi habe sich mit der Bitte um weitere amerikanische Unterstützung eine Abfuhr bei Trump geholt, der vielmehr ihn zu einem Waffenstillstand aufgefordert habe. Selenskyi habe dies zurückgewiesen. Im Übrigen konzentrierten sich diese Quellen auf die Aussage Trumps, dass die Ukraine bereits 400.000 Soldaten verloren habe, was als Zahl der Gefallenen dargestellt wurde. Dabei ignorierten sie geflissentlich den früheren Satz, dass Russland sogar 600.000 Tote und Verwundete zu verzeichnen habe.
Als Basis für die angebliche Ablehnung Selenskyis zogen sie einen anschließenden Telegram-Post heran, in dem dieser die ukrainischen Verluste auf 47.000 Gefallene und 370.000 Verwundete aller Kategorien präzisierte, und auf die Bedeutung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine hinwies. Während an allen genannten Zahlen Zweifel angebracht sind, unterstützt der Wortlaut der Statements aber keinesfalls die russische Interpretation, die Selenskyi statt Putin zum Adressaten der Verhandlungsforderung Trumps machen. Angesichts der aus dem Trump-Team berichteten Herangehensweise, die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten entweder durch Kürzung oder weitere Aufstockung der Ukraine-Hilfe zu erzwingen, scheint die Besorgnis gerechtfertigt, dass Selenskyi sich in Paris erfolgreich als kompromissbereit präsentieren konnte. Und damit Putin zum hauptsächlichen Ziel weiteren Drucks in dieser Richtung wird.
Scheidender und kommender Präsident von öffentlichem Druck befreit
Umso lieber stürzten sich dieselben Quellen anschließend auf ein Interview des Fernsehsenders NBC mit Trump, das im Wesentlichen einen Rückfall in den Wahlkampf für das heimische Publikum darstellte. Auf entsprechend platte Fragen antwortete Trump dort ebenso platt, dass natürlich die Hilfen für die Ukraine komplett gestrichen werden und die USA aus der NATO austreten könnten. Ähnliches gilt für ein Interview mit dem „Time Magazine“ in dieser Woche, das ihn gerade erneut zur „Person des Jahres“ gekürt hat. Dort kritisierte er unter anderem die amerikanische Erlaubnis zum Einsatz von US-Präzisionswaffen gegen Ziele im russischen Hinterland durch die Ukraine – womit er sich zuvor auffällig zurückgehalten hatte.
Trump neigt also weiterhin zu spontanen Meinungsausbrüchen, wenn er nicht gerade von erfahrenen Dompteuren wie Macron geleitet wird. Umgekehrt muss man solche wie Putin oder den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un von ihm fernhalten, die ihn schon zu den haarsträubendsten Aussagen gegen amerikanische Interessen verleitet haben. Allerdings ist er nach der Wahl innenpolitisch ebenso von Rücksichtnahmen auf populistische Themen befreit wie Joe Biden – was die zwischen beiden bislang weitgehend geräuschlos koordinierte Ukraine-Politik in der aktuellen Übergangsphase erklärt. Noch einmal als Präsident antreten kann Trump laut US-Verfassung nicht. Und gewählt wurde er vor allem aufgrund wirtschaftlicher Sorgen der amerikanischen Wähler, für die Außenpolitik traditionell kaum eine Rolle spielt.
Selbst dann sind laut Umfragen auch zwei Drittel der republikanischen Wähler pro-ukrainisch eingestellt. Trumps Kernanhängerschaft, die im Wahlkampf tatsächlich auf dieses Thema ansprang, wird ihm ungeachtet seiner tatsächlichen Entscheidungen weiter folgen und eine andere Realpolitik wie immer ignorieren oder wegerklären. Zusätzlich profilieren kann er sich nur noch auf internationaler Bühne. Etwa durch die Mediation eines Waffenstillstands in der Ukraine, der weder ihn persönlich noch die USA insgesamt schwach aussehen lässt, indem er einfach Putins Forderungen erfüllt. Die Wahl des „Falken“ Keith Kellogg als sein künftiger Ukraine-Beauftragter, der den Konflikt aus einer Position amerikanischer Stärke heraus lösen will, weist bereits in diese Richtung.
Gleiche Meinung, unterschiedliche Motivation
Währenddessen traf Emmanuel Macron am Donnerstag dieser Woche zu Gesprächen mit der polnischen Regierung in Warschau ein. Dabei ging es auch um mögliche europäische Friedenstruppen, um einen Waffenstillstand in der Ukraine abzusichern. Wobei der kolportierte Umfang von 40.000 Mann mit fünf Brigaden, davon eine polnisch geführte, nicht auf Regierungsquellen, sondern Planspielen französischer Think Tanks zu beruhen scheint. Macron und Trump stimmen letztlich darin überein, dass die Europäer mehr Lasten in der internationalen Sicherheitspolitik schultern sollten, wenn auch aus unterschiedlicher Motivation. Macron hat dabei sicherlich wie stets eine größere europäische Unabhängigkeit von den USA und eine mögliche französische Führungsrolle im Sinn.
Trump seinerseits ist nach Meinung vieler Beobachter kein amerikanischer Isolationist, obwohl er durchaus isolationistische Reflexe unter seinen Wählern bedient. Eigentlich ist er demnach jedoch lediglich der letzte in einer Reihe amerikanischer Präsidenten seit Bill Clinton, die dem Glauben anhingen, mehr Verteidigungslasten auf ihre Verbündeten übertragen zu können, dabei aber gleichzeitig die Führungsrolle der USA unverändert beibehalten zu können. Joe Biden war hier ein Rückgriff auf die Generation des Kalten Krieges, die ansonsten in den 1990er Jahren mit George Bush Senior als Präsident endete. Das spiegelt sich in den angeblichen Plänen von Trumps Teams wieder, wonach die USA die Sicherheit der Ukraine nach einem Waffenstillstand mit weiterer Militärhilfe garantieren, die Europäer dagegen den Waffenstillstand auf eigene Kosten mit Friedenstruppen überwachen würden.
Europäische Friedenstruppen: Wie es nicht gehen wird
Diese Arbeitsteilung wird genau so natürlich nicht funktionieren. Einerseits hatten die Europäer – EU plus Großbritannien und Norwegen – in Geld ausgedrückt bereits Ende Oktober 40 Prozent mehr Hilfe für die Ukraine geleistet als die USA. Nach Ausschöpfung aller jetzt von beiden Seiten bewilligten Mittel werden sie auf mehr als das Doppelte kommen. Das berücksichtigt noch nicht, dass die US-Hilfe zu einem großen Teil aus eingelagerten Waffensystemen besteht. Die zwar mehr zur unmittelbaren Rettung der Ukraine beigetragen haben als die schwachen europäischen Materialreserven, aber wohl kaum zum Nennpreis ersetzt werden dürften. Umgekehrt hat der Aufbau von Produktionskapazitäten in Europa zwar viel zu lange gedauert. Aber dessen Investitionen fließen mittlerweile nicht zuletzt in die Fertigung europäischer Firmen in der Ukraine selbst.
Insofern hat Europa hier nichts gutzumachen und muss nicht vom Feld gehen, um sich allein auf das Stellen von Friedenstruppen zu verlegen. Diese wiederum wären ohne amerikanische Rückversicherung zweifelhaft in Umsetzung und Effektivität. Macron mag sich ein solches Engagement als Meilenstein unabhängiger europäischer Sicherheitspolitik vorstellen. Aber schon in Warschau war zu hören, dass solchen „Spekulationen“ ein Ende gesetzt werden müsse. Ohne Rückgriff auf NATO-Strukturen ist ein Einsatz dieser Größenordnung ohnehin unwahrscheinlich. Zumal Großbritannien als zweite wahrscheinliche Führungsnation neben Frankreich nicht länger in die EU-Strukturen als nächstbeste Lösung eingebunden ist. Denkbar wäre allenfalls eine Zwitterlösung – etwa mit Führung durch das Eurocorps, das sowohl für NATO- als auch EU-Operationen zur Verfügung steht.
Und Deutschland?
Außenministerin Annalena Baerbock wollte kürzlich, noch vor dem Pariser Treffen, auch die Beteiligung Deutschlands an möglichen Friedenstruppen für die Ukraine nicht ausschließen. Dafür erhielt sie im gerade ausgebrochenen Bundestagswahlkampf umgehend viel Kritik. Dabei hatte sie eigentlich zunächst mal nur die früher ebenfalls gern kritisierte deutsche „Ausschließeritis“ vermieden, bei der Regierungspolitiker auf die Frage nach möglichen Einsätzen als erstes immer aufzählten, was man auf keinen Fall tun werde. Allerdings beschleicht den Beobachter der europäischen Sicherheitspolitik natürlich der Verdacht, dass in den fünf Friedenstruppen-Brigaden der französischen Planspiele neben jeweils einer selbst, britisch und polnisch geführten möglicherweise auch eine eines anderen größeren Ukraine-Nachbarn – etwa Rumänien – und eben eine deutsche enthalten sind.
Auch das ist angesichts der Mühe, mit der die Bundeswehr gerade erst eine neue Brigade für Litauen aufzustellen versucht, schwer vorstellbar. Tatsächlich ist das deutsche Heer bereits mehr oder weniger vollständig für die durchhaltefähige Verteidigung des Baltikums gegen Russland verplant. Eine Aufgabe, die auch nach einem Waffenstillstand in der Ukraine bestehen bliebe. Für unmittelbare Nachbarn wie Polen (das aber auch Grenzen mit der russischen Exklave Kaliningrad und Belarus hat) und Rumänien sowie beim Schutz der NATO-Südostflanke engagierte Verbündete wie Frankreich würde es Sinn machen, ein weiteres Vordringen Russlands schon in der Ukraine zu verhindern. Doch bereits Großbritannien, das Führungsnation für die Verteidigung Estlands ist, muss sich fragen, ob die an einer Stelle eingesetzten Friedenstruppen an der anderen fehlen würden.
Vor Friedenstruppen braucht es erstmal Frieden
Als noch verfügbarer und schnell einsetzbarer Verband existiert immerhin die deutsch geführte EU Battlegroup 2025, die erstmals auch die neue Rapid Deployment Capability der EU mit möglicher Verstärkung durch Luft-, Marine- und weitere Streitkräfte auf 5.000 Mann abbildet. Im Kern bleibt diese allerdings ein verstärktes leichtes Infanteriebataillon, das vor allem für Szenarien wie Peacekeeping- und Evakuierungsoperationen mit einer maximalen Dauer von 120 Tagen vorgesehen ist – nicht dafür, die russische Armee von einer Waffenstillstandsverletzung abzuschrecken. Besser als nichts für die Anfangsphase vielleicht, und als politischer „Stolperdraht“ ebenso geeignet wie eine Panzerdivision. Aber symptomatisch für die praktischen Probleme, die eine glaubwürdige Umsetzung aller Gedankenspiele für europäische Friedenstruppen bedeuten würde.
Vor allen Umsetzungsproblemen steht allerdings die Frage, ob überhaupt ein Waffenstillstand in der Ukraine erreicht werden kann. Da Russland gegenwärtig weiter vorrückt, ist dieser nicht in seinem Interesse, solange seine territorialen und politischen Forderungen an die Ukraine nicht erfüllt sind. Keinesfalls kann es einem Einfrieren der Fronten zustimmen, solange ukrainische Streitkräfte bei Kursk noch auf seinem eigenen Territorium stehen. Andernfalls müsste es in Verhandlungen über einen Austausch besetzter Gebiete einsteigen. Solange die Ukraine weiter Verhandlungsbereitschaft signalisiert, könnte sie dann auf eine Steigerung der US-Hilfe unter Trump hoffen. Sehr wahrscheinlich muss der Preis für Putin noch steigen, bevor er Verhandlungen auf Grundlage von weniger als seinen Maximalforderungen als bessere Alternative akzeptiert.
Die Quadratur des Kreises
Wahrscheinlich wird das nicht wirklich vor Trumps Zielmarke am 20. Januar geschehen. Das gäbe Europäern und Amerikanern aber immerhin Zeit, sich auf ein realistisches Konzept zur Wahrung eines künftigen Waffenstillstands zu einigen und mit weiteren Akteuren die Quadratur des Kreises zu lösen. Weder Russland noch viele NATO-Mitglieder wollen sich in der Ukraine direkt gegenüberstehen. Die eigentlichen „Friedenstruppen“ an einer Waffenstillstandslinie kämen vielleicht besser aus neutralen Staaten. Etwa aus dem Kreis der BRICS-Mitglieder, die sich bereits ostentativ an Friedensinitiativen versucht haben. In Frage kämen beispielsweise Indien, Brasilien und Südafrika. Dagegen würde vermutlich keine Seite gerne die Grundlage für eine chinesische Militärpräsenz auf dem europäischen Kontinent schaffen.
Jede westliche Präsenz, ob als Friedenstruppen bezeichnet oder anders, würde dagegen der Abschreckung dienen. Sie müsste deswegen notwendigerweise äußerst robust, aber nicht unbedingt direkt an der Kontaktlinie stationiert sein. Wenn es das für Russland leichter macht, könnte dies nominell eine europäische Operation sein. Sie würde aber zwingend auf NATO-Strukturen zurückgreifen und zumindest in unterstützender Funktion sowie Eventualfallplanung eine amerikanische Beteiligung einschließen. Das gilt etwa für Führungs-, Aufklärungs- und Luftunterstützungs- sowie -transportfähigkeiten. All dies unter einen Hut zu bringen, wird bestenfalls komplex. Doch im Vergleich zu der Aufgabe, zunächst einen Waffenstillstand herbeizuführen, der die Ukraine nicht einfach Russland ausliefert, ist es wahrscheinlich das kleinere Problem.
Stefan Axel Boes