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„Wir können nicht mehr nur auf internationales Recht setzen – wir müssen uns wehren können!“

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Interview mit Siemtje Möller MdB, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin der Verteidigung

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie sind eine sicherheitspolitische Expertin. Hat Sie der Angriff auf die Ukraine überrascht? Den Sicherheits- und Verteidigungspolitikern war immer klar, dass Russland ein Gegenspieler ist. Russland hat andere politische Traditionen, andere Interessen als die Staaten Westeuropas und ein eigenes Sicherheitsbedürfnis, was durchaus verständlich ist. Von Russland geht eine Herausforderung für unsere eigene Sicherheit aus. Nicht nur für die Bundesrepublik, sondern insbesondere für die baltischen Staaten, für Polen und die Südostflanke des Nato-Bündnisses. Die Einschätzung eines grundlegenden Wandels der Sicherheitslage teile ich deshalb nicht. Wir haben ja schon immer ernst genommen, dass Russland andere Interessen verfolgt als wir. Über mehrere Monate hinweg haben wir sehr genau verfolgt, was für ein Kräftedispositiv Russland an die ukrainische Grenze verlegt hat. Unsere Einschätzung war, dass Russland aus dem Stand heraus in der Lage wäre, die Ukraine anzugreifen.

Niemand wollte aber von dem schlimmsten Fall ausgehen, dass Russland tatsächlich militärische Mittel einsetzt, um eigene vermeintliche Interessen durchzusetzen. Was vorher also in der Theorie bei der Einschätzung verschiedener Abschreckungsszenarien durchdiskutiert, aber nicht für wahrscheinlich bewertet wurde, ist nun eingetreten. Die eher theoretische Betrachtung hat sich jetzt mit einer enormen Brutalität konkretisiert. Viele wollten dies nie wirklich wahrhaben, aber nun ist es Realität geworden.

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Am 1. Dienstsitz des BMVg in Bonn stellte sich die Parlamentarische Staatssekretärin Siemtje Möller den Fragen von Chefredakteur Burghard Lindhorst. (Foto © Lindhorst)

Eigentlich sollte solch kriegerisches Handeln vorbei sein, der Vergangenheit in Europa und der Welt angehören. Richtig. Ich komme aus der Tradition der Vereinten Nationen. Eine Politik des Interessenausgleiches über Regelwerke ist mir wichtig. Kein Mitglied der VN greift ein anderes Land an. Alle erkennen die Grenzen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an und versuchen, einen Interessenausgleich über Recht, über Verträge und in Gesprächen herzustellen. Deswegen ist der klassische symmetrische Krieg, den Russland jetzt begonnen hat, ohne dass sprachlich verniedlichen zu wollen, „old school“. Wir dachten, das gehört der dunkelsten Vergangenheit des europäischen Kontinents an. Dass ein klassischer symmetrischer Krieg mit konventionellen mechanisierten Mitteln, in dem Tausende von Menschen sterben, jemals wieder in Europa stattfindet, hatten wir nicht gedacht. Daher ist es tatsächlich eine Zeitenwende und eine neue, aber leider auch alte sicherheitspolitische Lage auf dem Kontinent.

Darauf müssen wir reagieren. Deutschland will endlich eine Nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten. Die Nationale Sicherheitsstrategie ist schon vor dem Ukrainekrieg im Koalitionsvertrag geboren worden. Das haben alle Partner der Ampel-Koalition miteinander beschlossen. Wir brauchen eine eigene einheitliche Strategie statt eines vielschichtigen, mehrstimmigen Chores. In einem gemeinsamen Papier soll klar aufgeschrieben werden, was eigentlich aus der außenpolitischen Tradition der Bundesrepublik heraus die künftigen Handlungsfelder ausmacht. Dazu gehört eine einheitliche Verteidigungsstrategie vom klassischen Krisenmanagement bis zur Bündnis- und Landesverteidigung, die an enormer Aktualität und Brisanz gewonnen hat. Der brutale Angriffskrieg Russland hat gezeigt, dass wir nicht mehr nur auf internationales Recht setzen können. Gegen diese Bedrohung müssen wir uns wehren können. Das alles muss sich in der Sicherheitsstrategie widerspiegeln. Welche Verbände brauche ich für eine klassische Landes- und Bündnisverteidigung? Wie interoperabel ist das mit unseren Bündnispartnern? Wie viel militärische Mobilität stelle ich zur Verfügung, insbesondere auf der Drehscheibe Deutschland? Wie gestalte ich die Cyberfähigkeiten? Wie schütze ich Kritische Infrastruktur? Welche weiteren Handlungsfelder gibt es? Alles muss eingebettet sein in den europäischen Kontext und die Planungen der NATO. Wir sind nie allein. Wir sind immer zusammen mit unseren Freunden für den Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent verantwortlich. Die Erarbeitung ist also insgesamt ein sehr komplexer Vorgang.

Nun soll das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro kommen und zudem dauerhaft das Zwei- Prozent-Ziel erfüllt, wenn nicht sogar leicht übertroffen werden. Wie errechnet sich das? Im Gegensatz zu früher ist die mittelfristige Planung der Haushaltslinie des Einzelplans 14 nicht mehr abfallend, sondern gleichbleibend bei etwas mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommt dann jedes Jahr ein Anteil aus dem Sondervermögen obendrauf. Hinzu kommen noch andere Titelgruppen, so etwa aus dem Einzelplan 60. Insgesamt gehen wir von rund 70 Milliarden aus. Dadurch kommen wir über das Zwei- Prozent-Ziel hinaus.   

 Die Beschaffungsprozesse müssen beschleunigt werden. Das gilt erst recht in dieser angespannten sicherheitspolitischen Lage. Wie kann das gehen? Wann immer die Bundesrepublik Mittel verausgabt, ist sie an die Bundeshaushaltsordnung gebunden. Dafür gibt es Regeln, an die man sich halten muss, egal ob normaler Haushalt oder Sondervermögen. Alle Ausgaben müssen den Bestimmungen, insbesondere den Vergaberichtlinien, gerecht werden. Die Möglichkeit der Direktvergabe anstelle eines langwierigen Vergabeverfahrens wollen wir ausweiten. Das erlauben die Bestimmungen der EU und wurde in der Vergangenheit auch schon in Einzelfällen gemacht. Ein Weg führt beispielsweise über die OCCAR. Ein anderes Mittel ist die Änderung der Unterschwellenverordnung auf eine Grenze von 5.000 Euro, um Kapazitäten im BAAINBw nicht mit kleinteiligen Vergaben zu blockieren, sondern diese Arbeitszeit – rund 20 Prozent – für die großen Projekte mit einzubringen. Wir brauchen keinen „German Sonderweg“ bei der Vergabe. Es gibt auch andere Instrumente, um schneller zu werden. Bis vor wenigen Wochen hatten sich alle darüber beklagt, wir hätten nicht genügend Geld. Jetzt wird es kommen, und wir können endlich die Bundeswehr gemäß den Bedarfen so ausstatten, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden kann.

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Mitflug im Eurofighter beim Taktischen Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“ im Jahr 2019 (Foto © Lindhorst)

#MöllerMittendrin: das ist Ihr Motto. Eng an den Menschen, ihre Erfahrungen und Erlebnisse teilen. Ein Höhepunkt war sicherlich der Mitflug in einem Eurofighter. Da waren Sie Bundestagsabgeordnete, jetzt sind Sie Parlamentarische Staatssekretärin, also Vorgesetzte. Haben sich Ihre Besuche und Kontakte dadurch geändert? Ich habe einen recht gleichbleibenden Eindruck. Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Viele Menschen, die ich kennenlerne, haben tolle Fähigkeiten und Talente. Jetzt, als Parlamentarische Staatssekretärin, habe ich hierfür noch mehr Möglichkeiten. Das Umdenken ist wohl eher bei mir. Vorher bin ich einfach in die 4. Einfahrt nach Wilhelmshaven gefahren, habe „Moin“ gesagt, mit dem Kommandeur eine Tasse Kaffee getrunken und dabei erfahren, welche Schiffe gerade wo im Einsatz sind und welche Herausforderungen sich da stellen. Das geht so nicht mehr. Ich werde jetzt immer erst einmal protokollarisch begrüßt. Ich kann nicht mehr ganz so flexibel einfach mal irgendwo vorbeikommen. Daran muss ich mich erst gewöhnen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Angehörige der Bundeswehr ein großes Thema. Auch für Sie als Politikerin und zweifache Mutter? Ja, das kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung nur bestätigen. Die Politik, genauso wie das Pendeln bei der Bundeswehr, verlangt den Familien viel ab. Nicht nur denjenigen, die die Arbeit erledigen, sondern ganz besonders auch denen, die zu Hause bleiben. Auch meine Familie muss mich viel abgeben, auf mich verzichten. Ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass der Anteil, den ich nicht mehr für das Familienleben erbringen kann, so liebevoll übernommen wird und ich trotz aller Belastungen zu Hause immer noch mit offenen Armen empfangen werde.

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, vielen Dank für das interessante Gespräch und viel Erfolg bei Ihren wichtigen Aufgaben!  

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