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Konzeptzeichnung für einen Airbus-Beitrag zum NATO-Projekt Next-Generation Rotorcraft Capability. (Grafik: Airbus)

Luftbeweglichkeit: Der Ritt der elektronischen Walküren

Konzeptzeichnung für einen Airbus-Beitrag zum NATO-Projekt Next-Generation Rotorcraft Capability. (Grafik: Airbus)
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Vor der Osterpause befasst sich unsere Serie zu Defiziten der NATO-Partner im Falle eines US-Rückzugs noch mit dem Thema Luftbeweglichkeit. Wenngleich hier keine großen technologischen Lücken bestehen, stellten die USA doch rein quantitativ stets den größten Anteil der Lufttransportfähigkeiten im Bündnis. Das lag nicht zuletzt an ihren weltweiten Verpflichtungen, die auch ehemalige europäische Groß- und Kolonialmächte weder im gleichen Umfang beibehielten noch bezahlen konnten. Für die Zwecke der Bündnisverteidigung waren die Europäer weniger auf eigene strategische Verlegefähigkeiten angewiesen denn auf transatlantische Verstärkungen und Nachschub per Luft- und Seeweg. Auf der taktischen und operativen Ebene blieb Luftbeweglichkeit dennoch bedeutsam: zur raschen Verlegung von Truppen und Material zwischen Nordkap und Mittelmeer, aber auch zur unmittelbaren Unterstützung auf dem Gefechtsfeld.

Insbesondere bei den Drehflüglern trugen trotzdem die US-Streitkräfte spätestens mit dem Anwachsen der amerikanischen Heeresflieger zur zweitstärksten „Luftwaffe“ der Welt während des Vietnamkrieges die weitaus größten Kapazitäten im Bündnis bei. Zwar ging angesichts der Bedrohung durch die tiefgestaffelten, weitgehend mobilen Flugabwehrsysteme des Warschauer Pakts auf einem potenziellen europäischen Schlachtfeld niemand von raumgreifenden hubschraubergestützten Angriffsoperationen zu den Klängen von Wagners Walkürenritt aus wie in „Apocalypse Now“. Das Prinzip der schnellen Schwerpunktbildung blieb aber angesichts quantitativ überlegener gegnerischer Bodenkräfte wichtig. Nicht nur zum schnellen Heranführen von Reserven, sondern auch zur unmittelbaren Luftnahunterstützung am vorderen Rand der Verteidigung durch Kampfhubschrauber, die dafür im Tiefstflug die Deckung des Geländes nutzten.

Luftbeweglichkeit gestern, heute und morgen

Selbst im Vergleich zur relativ hubschrauberstarken Bundeswehr des Kalten Krieges war dieser Gedanke in der U.S. Army mit eigenen Heeresfliegerbrigaden nicht nur auf der Korps-, sondern auch der Divisionsebene erheblich umfassender verwirklicht. Seine Erprobung im Ernstfall blieb glücklicherweise aus. Der isolierte Einsatz von Hubschrauberverbänden zu Operationen in der Tiefe des gegnerischen Raums erwies sich später sowohl durch die USA im Irak als auch durch Russland in der Ukraine als verlustanfällig. Der Ukraine-Krieg demonstrierte natürlich auch den Paradigmenwechsel zum zunehmenden Einsatz von Drohnen für Aufklärungs- und Angriffszwecke im bisherigen bodennahen Lebensraum des bemannten Drehflüglers. Nicht zuletzt strichen die USA bereits 2022 die bemannte Aufklärungskomponente aus ihrem Future Vertical Lift (FVL)-Programm, mit dem die gegenwärtige Hubschraubergeneration abgelöst werden soll.

Bei der Bundeswehr soll zunächst der Leichte Kampfhubschrauber H145M die Fähigkeit zum Manned-Unmanned Teaming abbilden.
Bei der Bundeswehr soll zunächst der Leichte Kampfhubschrauber H145M die Fähigkeit zum Manned-Unmanned Teaming abbilden. (Grafik: Airbus)

Da sich allerdings auch die Fähigkeiten zur Drohnenabwehr rasant entwickeln, bleiben bemannte Plattformen als Rückgrat im Verbund mit Drohnen Teil der Planungen. Tatsächlich hat die NATO nach Berichten vom vergangenen Jahr die geforderte Zahl von Hubschrauberverbänden im Bündnis von 90 auf 104 erhöht. Als „Verband“ gilt dabei ein Bataillon amerikanischen Typs mit zwei bis drei Dutzend Maschinen, die in Brigaden mit Kampf- und Transporthubschraubern organisiert sind. Derzeit gibt es anderthalb solcher US-Brigaden in Europa. Diese Struktur gab es bislang in der Bundeswehr mit ihren Hubschrauberregimentern und -geschwadern von jeweils etwa 40 Maschinen nicht. Mit der Aufstellung einer operativen „Aviation Brigade“ durch das Kommando Hubschrauber des Heeres im Verbund mit der Luftwaffe in diesem Jahr ist eine entsprechende Entwicklung jedoch absehbar.

Fokusverschiebung vom Transport- zum Kampf- zum Mehrzweckhubschrauber

Zugleich verschiebt sich der Fokus von den Transport- zu Kampffähigkeiten. Dabei ändern sich die Vorstellungen vom klassischen Kampfhubschrauber andererseits zum Mehrzweck-Drehflügler, der neben anderen Rollen auch als Führungsmaschine für Drohnenschwärme dient. Von diesen aufgeklärte Ziele bekämpft er entweder durch die Drohnen selbst oder abstandsfähige Lenkwaffen wie die israelische Spike NLOS (Non-Line-of-Sight) mit bis zu 50 Kilometern Reichweite. Bei der Bundeswehr soll zunächst der neu eingeführte Leichte Kampfhubschrauber (LKH) vom Typ Airbus H145M diese Funktion des Manned-Unmanned Teaming übernehmen. Angesichts der Entfernungen, die eine schnelle Schwerpunktbildung etwa bei einem Angriff überlegener Bodenkräfte auf das osteuropäische NATO-Gebiet überwinden müsste, sind seine Reichweite und Zuladung allerdings ungenügend.

Insgesamt soll die nächste Drehflüglergeneration höhere Geschwindigkeiten und Reichweiten aufweisen als konventionelle Hubschraubertypen. Im Rahmen des FVL-Programms haben die USA im mittleren Segment bereits die Bell V-280 Valor als Nachfolger des Sikorsky UH-60 Black Hawk ausgewählt. Bell Helicopters, die gemeinsam mit Boeing schon das vor allem vom U.S. Marine Corps für triphibische Operationen „über den Horizont“ eingesetzte Kipprotorflugzeug V-22 Osprey entwickelt hat, setzt dabei auf ein modifiziertes System, bei dem für den Übergang zwischen Vertikal- und Horizontalflug statt der ganzen Triebwerksgondeln nur noch die Proprotor-Achsen geschwenkt werden. Innerhalb der NATO existiert parallel das Projekt Next-Generation Rotorcraft Capability (NGRC) zur Ablösung der gegenwärtigen mittleren Hubschrauber – Black Hawk, NH90, Super Puma und der AW101 von Leonardo – ab etwa 2035.

Die nächste Drehflüglergeneration in der NATO

NGRC ist eine 2020 von Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien und Italien gestartete Initiative, der später auch die Niederlande und Kanada beitraten. Die USA und Spanien sind Beobachter, als Auftraggeber für die Entwicklung fungiert die NATO Support and Procurement Agency (NSPA). Ziel ist eine Plattform, die eine Geschwindigkeit von mindestens 180, vorzugsweise aber 220 Knoten (333 und 407 km/h) und 1.650 Kilometer Reichweite erzielt und 16 voll ausgerüstete Soldaten oder vier Tonnen Nutzlast (zweieinhalb intern) befördern kann. Das Projekt überlappt teilweise mit dem Programm Next Generation Military Helicopter (NGMH) im Rahmen einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit in der EU. Mit diesem wollen Finnland, Italien und Schweden unter französischer Führung zunächst Upgrades für die gegenwärtigen Hubschraubertypen entwickeln.

In den USA soll das Kipprotorflugzeug Bell V-280 Valor den UH-60 Black Hawk ablösen.
In den USA soll das Kipprotorflugzeug Bell V-280 Valor den UH-60 Black Hawk ablösen. (Foto: Bell)

Diese Technologien sollen dann auch für die nächste Drehflüglergeneration verwendet werden können. Angesichts der militärischen Forderungen wird es sich dabei nicht mehr um konventionelle Hubschrauber handeln. Letztes Jahr vergab die NSPA im Rahmen von NGRC Aufträge für Konzeptstudien an Airbus, Leonardo und Sikorsky. Diese sollen bis Oktober 2025 jeweils bis zu zwei Vorschläge machen, aus denen voraussichtlich bis 2027 eine bevorzugte Option ausgewählt werden soll. Airbus entwickelt dafür das Konzept eines Verbundhubschraubers, der Haupt- und Heckrotor mit Schubpropellern für den Hochgeschwindigkeits-Marschflug verbindet und auf Erfahrungen mit den Technologiedemonstratoren X³ und RACER basiert. Sikorsky wird das Konzept mit Koaxialrotor und Schubpropeller wie bei seiner SB-1 Defiant verwenden, die im US-Wettbewerb der V-280 Valor unterlag.

Europäische Lücke im schweren Transportsegment

Leonardo, die bereits als AgustaWestland und zuvor als Agusta eine enge Zusammenarbeit mit Bell pflegte, hatte bereits vor Auftragsvergabe eine Vereinbarung mit dem amerikanischen Hersteller zur Entwicklung eines Kipprotordesigns unterzeichnet. Dabei wird es sich wohl nicht einfach um eine Ableitung der V-280 handeln, obwohl eine Weiterverwendung von bei dieser eingesetzten Technologien anzunehmen ist. Jedoch hat Leonardo auch das ursprüngliche Gemeinschaftsprojekt Bell-Agusta 609 als AW609 alleine weiterentwickelt. Obwohl sich die Zertifizierung dieses auf Technik der V-22 beruhenden kleineren Kipprotorflugzeugs für den zivilen Einsatz um mittlerweile über 15 Jahre verzögert hat, hat das Unternehmen dadurch vermutlich eigene Kompetenzen erworben. Fraglich ist wie auch im Falle Sikorskys nur, inwieweit sich NATO-Mitglieder nach den kürzlichen Erfahrungen noch auf amerikanische Technologiebeiträge verlassen wollen.

Wie bei den während des kurzzeitigen US-Embargos der militärischen Unterstützung für die Ukraine Berichten zufolge gesperrten ATACMS Präzisionsraketen und der folgenden Diskussion über das Kampfflugzeug F-35 betrifft das vor allem mögliche Abhängigkeiten von der Software und deren Updates. Auch die nächste Drehflüglergeneration wird in ihren Leistungen und deren Erhalt beziehungsweise Steigerung voraussichtlich stark Software-bestimmt sein. Das wirft nicht zuletzt die Frage nach eigenen europäischen Fähigkeiten im schweren Transportsegment auf. Die weithin verwendeten Boeing CH-47 Chinook, von denen Deutschland gerade erst 60 Stück zum Zulauf ab 2027 bestellt hat, werden zwar absehbar bis nach Mitte des Jahrhunderts in Dienst bleiben. In dieser Klasse hat Europa jedoch niemals selbst ein Modell entwickelt, noch gibt es bislang Pläne hierfür.

Ersatz für den amerikanischen Beitrag

Auch der letzte Versuch hierzu basierte auf dem dynamischen System des Sikorsky CH-53K King Stallion. Um dieses sollte Eurocopter für das deutsch-französische Projekt Future Transport Helicopter einen neuen Rumpf entwickeln , der selbst ein geschütztes Fahrzeug vom Typ Dingo hätte aufnehmen können. Dieses ambitionierte Vorhaben wurde angesichts eines Bedarfs von nur 60 Maschinen zugunsten der Beschaffung eines marktverfügbaren Typs verworfen. In den USA sehen Bell und Boeing im Rahmen des FVL-Programms die Entwicklung eines viermotorigen Tandemflügel-Kipprotorflugzeugs auf Grundlage der V-22 bis etwa 2060 vor. Dieses soll Zuladung, Geschwindigkeit und Reichweite der C-130 Hercules mit Senkrechtstartfähigkeit verbinden. Drängender wäre im Fall eines US-Rückzugs aus der NATO allerdings der Ersatz der gegenwärtigen amerikanischen Kapazitäten.

Momentan ist beim Deutschen Heer der NH90 und bei der Luftwaffe die CH-53 Hauptträger der Luftbeweglichkeit.
Momentan ist beim Deutschen Heer der NH90 und bei der Luftwaffe die CH-53 Hauptträger der Luftbeweglichkeit. Letztere soll durch die CH-47F ersetzt werden. (Foto: Bundeswehr)

Diese umfassen in den erwähnten anderthalb Brigaden insgesamt drei Kampf-, zwei schwere und ein leichtes Transporthubschrauberbataillon. Im Bündnisfall wäre mit insgesamt mindestens vier Brigaden zu rechnen. Gemäß der an dieser Stelle schon einmal aufgemachten Rechnung müssten bei einem Ausfall der USA die übrigen Verbündeten ihre Beiträge um etwa 20 Prozent über die neuen Minimum Capability Requirements erhöhen. Deutschlands noch zuvor geplanter Bestand sollte am Ende des Jahrzehnts neben 60 CH-47 (ohne Marine-, aber mit Trainingshubschraubern) 82 NH90 und 168 H145M in verschiedenen Versionen betragen – nach NATO-Zählweise also etwa zehn bis zwölf Bataillone. Mit den neuen Forderungen und Ersatz für den US-Beitrag würde sich dies auf 14 bis 17 steigern, jeweils zur Hälfte für Kampf- und Transportzwecke.

Neue Lösungen für künftige Bedarfe

Je nach Zeithorizont müsste der zusätzliche Bedarf noch mit Hubschraubern der gegenwärtigen Generation gedeckt werden. Wollte man dabei auf amerikanische Modelle verzichten, würde sich im schweren Transportsegment vermutlich eine Kapazitätslücke ergeben. Allerdings könnte diese wohl mit einer Mischung aus leichteren Drehflüglern sowie Starrflüglern weitgehend überbrückt werden. Und die gute Nachricht lautet: Im Bereich des Starrflügel-Transports hat Europa keine relevanten Fähigkeitslücken. Die vorhandenen Typen einschließlich des Airbus A400M decken die Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung bis in den strategischen Bereich hinein ab. Auszubauen wären vielleicht noch Spezialfähigkeiten wie zur Luftbetankung. Doch ist neben den nationalen Tankerflotten die in Eindhoven und Köln/Bonn stationierte Multinational MRTT Unit der NATO mit bislang zehn Airbus A330 MRTT durchaus erweiterungsfähig.

Die amerikanische C-130 findet sich ebenfalls und wurde aufgrund ihrer besseren Einsatzfähigkeiten auf kurzen und unvorbereiteten Flugfeldern für die gemeinsame deutsch-französische Transportstaffel zur Unterstützung von Spezialoperationen noch neu beschafft. In ihrer Gewichtsklasse erscheinen inzwischen allerdings auch Alternativen wie die düsengetriebene brasilianische Embraer C-390 Millenium, die in kleineren Stückzahlen von je zwei bis sechs Maschinen von mittlerweile sieben europäischen NATO-Mitglieder beschafft oder bestellt worden ist. Denn das gehört ebenfalls zum Gesamtbild dazu: mittlerweile gibt es auch außerhalb Europas und der USA Lieferanten und Mitentwickler moderner Verteidigungstechnik für das Bündnis. Wenn Partner für neue Technologien gesucht werden, könnte der Blick künftig durchaus etwa nach Japan oder Südkorea gehen.

Stefan Axel Boes

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