Auf dem Gefechtsfeld bildet die sogenannte Rettungskette den Auftragsschwerpunkt des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Mit dieser soll die notfallmedizinische Versorgung Verwundeter, Verletzter und Erkrankter auch im Bündnisfall in angemessener Zeit und Qualität sichergestellt werden. Ein durchgängig digitalisierter Prozess mit zusätzlicher Vernetzung der beteiligten medizinischen Akteure soll die Durchführung dieser Aufgabe künftig verbessern.
Prozess Rettungskette
Im Falle einer Einsatzverwundung kommt ein Prozess aus verschiedenen Stationen und Beteiligten zur Anwendung, um die betroffenen Soldatinnen und Soldaten möglichst schnell und medizinisch adäquat zu behandeln. In mehreren Schritten werden diese einsatz- und notfallmedizinisch versorgt, transportbereit gemacht, in sanitätsdienstliche Einrichtungen verlegt und dort therapiert. Die hierfür erforderlichen Fähigkeiten lassen sich folgendermaßen kategorisieren:
- Role 1: ermöglicht schnelle notfallmedizinische Stabilisierung bzw. truppenärztliche Versorgung,
- Role 2: erlaubt die akute notfallchirurgische Erstversorgung,
- Role 3: bietet ausgewählte fachärztliche Abschlussbehandlung bzw. die Vorbereitung auf strategischen Weitertransport in
- Role 4: zum Beispiel ein Bundeswehrkrankenhaus, eine Universitäts- oder BG-Klinik.
Zwischen diesen Einrichtungen kommen unter anderem (un-)gepanzerte Fahrzeuge, Hubschrauber, Flugzeuge und im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung auch Busse, Züge oder Schiffe zum Einsatz. Diese müssen koordiniert und gesteuert werden. Der von zahllosen Variablen abhängige End-2-End-Prozess wird als Rettungskette bezeichnet.
Großes Digitalisierungspotenzial
Besondere Herausforderungen für die Rettungskette sind die Einsatzbedingungen vor Ort. Dazu zählen ein gestörtes Netz, begrenzter Nachschub, Lärm, Erschöpfung sowie nachrangige Priorität der Rettung, die im Gefecht lageangepasst erfolgt. Das bedeutet hohe Dynamik und vernetzte Abhängigkeiten, denn medizinische Erfordernisse müssen ständig mit der militärischen Lage harmonisiert werden. Wenn eine digitale Anwendung eine hohe Anzahl an täglichen Behandlungsfällen unterstützen soll, müssen der Koordinations- und Kommunikationsbedarf auf das Wesentliche reduziert, Flexibilität für schwankende Bandbreiten und redundante Datenspeicherung geschaffen sowie das medizinische Personal mit dem Fokus auf ihre Patienten unterstützt und entlastet werden. So könnten beispielsweise Sensoren zur Überwachung von Vitalwerten – etwa in Wearables oder in militärischer Ausrüstung – eine zeitliche Überbrückung bis zum Einsatz professioneller medizinischer Leistungen ermöglichen. Ein umständliches Handling wie zum Beispiel das Klicken durch unterschiedliche Formularebenen oder „Einzelnotrufe“ mit Verwundetenkarten könnten hingegen Menschenleben kosten.
Eine Architektur als Grundlage
Um die komplexe Situation bei der Rettungskette operativ zu überblicken, hat die BWI für das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr im Zuge einer Komplexanalyse zunächst eine operationelle Referenzarchitektur der Rettungskette angefertigt. Diese folgt dem Architektur-Framework der NATO, einem Standard für die Entwicklung und Beschreibung von Architekturen für militärische Zwecke. Aus dieser Analyse werden die erforderlichen IT-Funktionalitäten sowie Anforderungen an die IT-Lösungen – zum Beispiel von Systemen für das Battle Management, die sanitätsdienstliche Führung- und Einsatzsteuerung oder die mobile Patientendokumentation – abgeleitet. Gemeinsam bewerten der Sanitätsdienst und Experten von BWI und dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe mit geeigneten Technologien im Rahmen von Experimenten die Machbarkeit von Lösungsansätzen. Die Ergebnisse fließen dann in die Lösungskonzepte einer digitalisierten Rettungskette ein – und kommen damit letztlich all jenen zugute, die künftig eine Einsatzversorgung benötigen werden.