„Whether or not gas will be employed in future wars is a matter of conjecture, but the effect is so deadly to the unprepared that we can never afford to neglect the question.“ Das Zitat von US-General John J. Pershing aus dem Jahr 1919, der als Zeitzeuge den Einsatz chemischer Kampfstoffe im Ersten Weltkrieg erlebte, besitzt unverändert Gültigkeit und dient heute noch als Antrieb für die Weiterentwicklung der ABC-Abwehrfähigkeiten der Bundeswehr.
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 gilt der Einsatz von ABC-Kampf- und Gefahrstoffen durch staatliche Akteure als konkrete Bedrohung. Der Einsatz chemischer Stoffe ermöglicht es, statische Pattsituationen in dynamische Gefechtshandlungen zu überführen. Zusätzlich verstärkt Russland seine Drohkulisse durch das Thema Kernwaffen, deren Stationierung und Einsatzoptionen. Im September 2024 gab der russische Präsident Putin die Anpassung der entsprechenden Einsatzdoktrin bekannt. Die im Jahr 2022 veröffentlichte NATO Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Defence Policy greift die Lehren aus Pershings Zitat auf und adressiert die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen, Akteure und Entwicklungen der Gegenwart. Im Einklang mit diesen Prinzipien betont die NATOStrategie: „NATO’s populations, territories and forces will be defended and secure against the threat or use of chemical, biological, radiological or nuclear materials and weapons of mass destruction. The proliferation, threat or use of Weapons of Mass Destruction and their delivery systems will not undermine NATO’s deterrence and defence. NATO forces will be able to operate effectively, fight and prevail in any environment.
Bedeutung für uns und die Fähigkeitsentwicklung
Die Bundeswehr der Zeitenwende legt den Schwerpunkt erneut auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Erforderliche Fähigkeiten müssen sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgebaut oder neu entwickelt werden. Das Ziel ist, den jeweiligen dimensionsspezifischen Auftrag auch unter ABC-Bedrohungen oder Bedingungen zuverlässig zu erfüllen. Das Systemverständnis der ABC-Abwehr erfordert umfassende Anpassungen und Modernisierungen der materiellen Ausstattung. Gleichzeitig ist ein Umdenken bei der Härtung kritischer Infrastruktur und von Wehrmaterial notwendig. Kontinuierliche Weiterentwicklungen, technologische Innovationen und gezielte Anpassungen in den Bereichen ABC-Schutz, ABC-Aufklärung und Dekontamination sind notwendig, um aktuellen und zukünftigen ABC-Bedrohungen wirksam zu begegnen. Zukunftsweisende Technologien wie Künstliche Intelligenz, autonome Systeme und Quantentechnologie werden auch bei den ABC-Abwehrkräften der Bundeswehr eine zentrale Rolle spielen.
ABC-Schutz
Der ABC-Individualschutz bildet die erste Verteidigungslinie für alle Angehörigen im Geschäftsbereich BMVg im Falle eines ABC-Ereignisses. Durch das Tragen der ABC-Schutzmaske in Verbindung mit persönlicher Schutzbekleidung wird das Personal vor direktem Kontakt mit ABC-Kampf- und Gefahrstoffen sowie deren Wirkungen geschützt. Künftige Entwicklungen im ABC-Individualschutz sollen die Schutzwirkung und den Tragekomfort verbessern und die physiologische Belastung verringern.
Besonderes Augenmerk liegt auf dem Schutz vor Aerosolen, die als Stoffgemische zur Verbreitung biologischer oder chemischer Kampfstoffe genutzt werden können. Moderne Schutzanzüge werden mit neuen Materialien ausgestattet, die eine verbesserte Filterwirkung gegen Aerosole bieten, ohne die Bewegungsfreiheit oder den Tragekomfort einzuschränken. In einigen Bereichen der Bundeswehr wie bei Brandschutzpersonal oder Kampfmittelabwehrkräften kann die eingeführte persönliche ABC-Schutzbekleidung nicht getragen werden. Daher werden Alternativen entwickelt, die von ABC-Unterbekleidung bis hin zu Einwegschutzbekleidung reichen.
Auftragsbedingt kann es erforderlich sein, die Operationsführung über einen längeren Zeitraum in einem kontaminierten Gebiet aufrechtzuerhalten. Dafür muss ABC-Sammelschutz insbesondere für Waffensysteme und Plattformen bereitgestellt werden. Stationäre militärische Einrichtungen, die unter kontaminierten Bedingungen uneingeschränkt funktionsfähig bleiben müssen, benötigen ABC-Sammelschutz. Mobiler ABC-Sammelschutz, wie er in Fahrzeugen, Schiffen und Booten seit Jahren eingesetzt wird, ist bewährt. Heutzutage besteht jedoch ein wachsender Bedarf an transportablem ABC-Sammelschutz, etwa in Form modularer Container und Zelte, um flexibel auf unterschiedliche Einsatzszenarien reagieren zu können.
Transportabler ABC-Sammelschutz wird mit fortschrittlichen Luftfiltersystemen ausgestattet, die gereinigte Luft kontinuierlich bereitstellen und gleichzeitig vor Aerosolen schützen. Die Integration verbesserter Schleusensysteme gewährleistet den sicheren Übergang von Personal und Material. Aufbau, Betrieb und Abbau sollen effizient, schnell und ohne zusätzliche Personalbindung erfolgen.
Neben dem Schutz von Personal ist die Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Infrastruktur und Wehrmaterial gegen die Auswirkungen von ABC-Kampf- und Gefahrstoffen entscheidend. Die sogenannte ABC-Härtung verfolgt mehrere Ziele: das Überleben von Besatzungen und Bedienern zu sichern, die Funktionalität des Materials zu erhalten und die Operationsfähigkeit durch Dekontaminierbarkeit oder Oberflächenschutz wiederherzustellen. Zu den Einzelmaßnahmen der ABC-Härtung zählen die Integration von ABC-Sammelschutz, die Verbesserung der Dekontaminierbarkeit von Wehrmaterial durch geeignete Oberflächenmaterialien und optimierte Formgebung sowie der Schutz integrierter Elektronik vor nuklearen elektromagnetischen Impulsen (NEMP).
Die ABC-Bedrohung erfordert, Maßnahmen zur Härtung konsequent in den Rüstungsprozessen zu planen und umzusetzen. Nur so können Geräte, Systeme und Plattformen auch unter ABC-Bedingungen zuverlässig funktionieren oder nach einem ABC-Ereignis einsatzbereit bleiben. Das Zusammenspiel aus ABC-Individualschutz, flexiblem und transportablem ABC-Sammelschutz sowie Maßnahmen der ABC-Härtung ist entscheidend, um in allen Dimensionen unter ABC-Bedingungen bestehen zu können.
Von Autorenteam ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr – Abteilung Grundlagen/Weiterentwicklung